Vernunftordnung und Differenzenlogik – die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen

Vernunftordnung und Differenzenlogik – die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen

Was bedeutet Rationalität, wenn Unsicherheit nicht beseitigt werden kann?

Bei der Beschreibung und Codierung von Bewegungsentwürfen gibt es zwei Ursachen, die dazu beitragen, dass Entscheidungen auf ihrer Basis unsicher bleiben.

  • Erstens sind präzise Vorhersagen in der Ökonomie grundsätzlich nicht möglich. Sie beziehen sich nämlich auf Erwartungen, die auch von den Erwartungen anderer Marktteilnehmer abhängen.
  • Zweitens bleibt die Formulierung und Codierung von Bewegungsentwürfen eine Frage der Sichtweise, der Auslegung von Bedeutungen und der Verständigung auf Annahmen.

Kenntnisse, Einschätzungen, Präferenzen sind bei unterschiedlichen Empfängern nicht gleich. So liefert eine Codierung nur scheinbar eindeutige Antworten: die Reduktionen der Codierung eröffnen zusammen mit der generellen Unvorhersehbarkeit zukünftiger Gegenwarten ein Spannungsfeld von Bewertungen. Diese können nicht mehr in falsch und richtig eingeordnet werden. Wir müssen also davon ausgehen, dass es auch bei dem Versuch, eine gemeinschaftliche Erzählung eines Entscheidungsraums zu erstellen, zu unterschiedlichen Auffassungen kommt. Und keine von von ihnen kann noch beanspruchen, allgemeingültig zu sein. (Zur gemeinschaftlichen Erzählung von Entscheidungsräumen als plausibilisierte Quasigewissheit: Priddat, Erwartung, Prognose, Fiktion, Narration; Zur Epistemologie des Futurs in der Ökonomie, Metropolis-Verlag.)

Rekonstruktion von Rationalität

Damit stellt sich auch die Rationalität von Entscheidungsgrundlagen anders dar. Sie kann sich nicht mehr ausschließlich auf ein Vernunftmodell von Ordnung stützen, in dem es ein von allen geteiltes Wissen gibt. Sie muss eine Balance mit den Differenzen der Bewertungen finden. In dieser ist sowohl fokussierte Argumentation als auch die Legitimierung vertretbarer andere Sichtweisen möglich. Das ist besonders deshalb zu beachten, weil mit der Erzählung des möglichen Entscheidungsraums auch eine Vertrauensarena geschaffen werden soll. Hierin dürfen sich Entscheider gemeinschaftlich legitimiert zutrauen, eine Entscheidung zu treffen.

Bei den Erläuterungen der beiden Pole von Einvernehmen und Anerkennung nehme ich noch einmal Bezug auf das Modell einer abstrakten Cash-Flow erzeugenden Maschine. In dem Modell codiere ich Investitionen mit dem ROI auf Basis eines discounted cash-flow Methode. Siehe auch den Beitrag „Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz“.

Vernunft

Eindeutigkeit und Orientierung

In einer Ordnung, die davon ausgeht, dass es möglich ist, durch Argumentation den bestmöglichen Standpunkt für eine Entscheidung zu finden, spielt die Vorstellung von Vernunft eine große Rolle. Zustimmung wird demjenigen Standpunkt zugesprochen, von dem man annimmt, dass er sich aus einem allgemein einsehbaren Grund folgern lässt. So werden legitime Gründe und Sachpositionen knappgehalten und andere Positionen zur Rechtfertigung gezwungen. Auftretende Differenzen werden durch Begründung vernünftiger und Verweigerung der Anerkennung irrationaler Standpunkte reduziert. Geteiltes Wissen folgt dem Wunsch nach Eindeutigkeit und Orientierung.

Am Beispiel der Codierung von Cash-Flow Vorhersagen durch den ROI bedeutet dies, dass Annahmen und Einschätzungen als begründet und ausreichend sicher akzeptiert werden. Anwendungsfälle, in denen sich die einzelnen Investitionen, die miteinander verglichen werden sollen, nicht groß voneinander unterscheiden, erreichen dieses Ziel.

Unsicherheit macht Einigkeit unwahrscheinlich

In einer Situation, in der grundsätzliche Unsicherheit besteht, ist die Koordination durch geteiltes Wissen aber ein unwahrscheinlicher Mechanismus sozialer Handlungskoordination. Er bestärkt eventuell bestehende tiefliegende Konflikttendenzen. Außerdem läuft er grundsätzlich Gefahr, mögliche Kapazitätsgrenzen der Kommunikation zu sprengen, weil einfach nicht alles diskutiert werden kann. Mit der Zumutung der Umorganisation von Überzeugungen erreicht er im schlimmsten Fall die Belastungsgrenzen der Teilnehmer.

Bei der Bewertung von Cash-Flow-Vorhersagen treten unterschiedliche Auffassung häufig auf, wenn sehr unterschiedliche oder sehr individuelle Investitionen bewertet werden sollen. Investitionen im Projektgeschäft sind ein solcher Fall. Abgesehen davon, dass Projektverläufe und die aus ihrem Ergebnis zu erwartenden Geld-Rückflüsse nur sehr schwer vorherzusagen sind, verknüpfen sich Projekte häufig mit nicht-monetären und individuellen Erwartungen, die einen Einfluss auf die Beurteilung monetärer Aspekte nehmen. Dieser Einfluss ist oft kaum aufzulösen.

Bei Gelingen starke Koordination

Im Erfolgsfall ermöglichen Zustimmung und geteiltes Wissen jedoch eine starke Form der Handlungskoordination.

Anerkennung

Legitimität anderer Sichtweisen

Mit der Verständigung auf unterschiedliche Standpunkte erfolgt eine Ausweitung der legitimerweise vertretbaren Sichtweisen. Auf die Anerkennung von Differenz zielende Erzählungen vergegenwärtigen einen lebensweltlichen Kontext, aus dem heraus unterschiedliche Sprecherpositionen nachvollziehbar gemacht werden. Sie erreichen damit die Bestätigung von Individualität, einen Bereich einer vom System anerkannter abweichender Rationalität und eine normative Legitimität von Differenz.

Das lässt sich wieder gut an der Situation im Projektcontrolling erläutern. Ein Bewegungsentwurf, der aus der Vorhersage von Cash-Flows besteht, kann gut in die verschiedenen Lebenszyklus-Phasen des Projektes zerlegt werden. Gibt es verschiedenen Auffassungen über die Cash-Flows einzelner Phasen, dann kann die Vorhersage hier in Alternativen formuliert und bei der Analyse berücksichtigt werden. Tritt dieser Fall an mehreren Stellen auf, dann lässt sich sogar eine Verteilung möglicher ROIs aufstellen. Auf jeden Fall sollte die Differenz Anlass zum Gespräch und vielleicht zur Erhebung weiterer Informationen sein.

Die Anerkennung von Differenz kann in einer Situation der Unbestimmtheit entscheidend sein für eine gemeinschaftliche Erzählung der gegenwärtigen Zukunft. Differenzen greifen möglicherweise Risiken und Bedenken auf, die zur Vermeidung riskanter oder strittiger Handlungen führt. Auf diese Weise werden Fehleinschätzungen von Bewertungsfragen oder Vorhersagen zwar nicht als solche identifiziert, es besteht aber die Möglichkeit, dass aus Vorsicht allzu kritische Deutungen von Codierungen nicht angewendet werden.

Ein Mindestbestand an Übereinstimmung ist notwendig

Bestimmte Praktiken der Verständigung versagen allerdings auch, wenn ein bestimmter Bestand an Überzeugungen nicht mehr geteilt wird. In unserem Beispiel ist das dann der Fall, wenn die Verwendung der Kennzahl vollständig abgelehnt wird. Einverständnis und Anerkennung ergänzen sich an dieser Stelle. Die Relativierung von Ordnungsansprüchen kann es erlauben, dass thematisch eingegrenzte, fokussierte Argumentationen erfolgreich sind. Sie werden dann als Basis der Handlungskoordination wirksam und entlasten die Alltagskommunikation von Konsenszumutungen.

Im Ergebnis könnten in unserem Beispiel zwar alle Beteiligten die Verwendung des ROI unterstützen. Aber sie identifizieren vielleicht Konstellationen, in denen sie sich nicht auf die Kennzahl verlassen und bei Bedarf auf weitere Informationen zugreifen wollen. Diese gemeinschaftliche Einschätzung schafft dann genau die Vertrauensarena, innerhalb derer die Gemeinschafft das Treffen von Entscheidungen legitimiert.

Was bedeutet das?

Differenzierte Entscheidungsräume

In Situationen, in denen Unsicherheit eine eindeutige Einschätzung verhindert, treten fast immer unterschiedliche Sichtweisen auf. Das ist nicht zu verhindern und auch weiter kein Problem, solange sie den Anlass bieten, den Ursachen in weiteren Gesprächen oder Analysen auf den Grund zu gehen. Oder sie werden als Unterschiede akzeptiert und stecken damit den Entscheidungsraum anders ab. Die Differenz bleibt dann als Unsicherheit im Entscheidungsraum enthalten, ist aber zumindest schon benannt.

Eine weitere Analyse sowie eine differenziertere Gestaltung des Entscheidungsraums setzt zwei Dinge voraus:

(1) Die Beschreibung des Bewegungsentwurfs und seine Codierung sind so weit transparent, dass sie von den Beteiligten nachvollzogen werden können. Eine bessere Kommunikation von Annahmen und Methoden sollte hier bestehende Lücken schließen. Oder eine weitere Berechnung differenziert die Schwachstellen.

(2) Die Zerlegung des Analysegegenstands, hier also des Bewegungsentwurfs, erlaubt eine differenziertere Betrachtung. Sie stellt damit mehr Bereiche zur Verfügung, innerhalb derer Übereinstimmung oder Differenz festgestellt werden kann. Im Idealfall können Bereiche, in denen eine unterschiedliche Einschätzung vorliegt, präzise herausgearbeitet werden. Das stärkt Bereiche, in denen man sich einig ist, so dass sie einen möglichst großen Raum einnehmen.

Ein dynamischer Prozess

Ein auf diese Weise abgesteckter Entscheidungsraum kann eine gewisse Zeit eine stabile Basis für Entscheidungen sein. Üblicherweise bleiben die Verhältnisse aber nicht über längere Zeiträume stabil. Änderungen können deshalb erwartet werden. Das kann die Bereiche, in denen es zu Differenzen kommt, verschieben und neue Gespräche und Analysen notwendig machen.

Warum ist diese Feststellung interessant?

Für einen Praktiker aus dem Controlling ist es sicherlich nicht überraschend, dass die Beteiligten die Entscheidungsräume untereinander aushandeln. Wer Verhandlungen führt, weiß auch, dass es leichter ist, eine Verhandlungslösung zu finden, wenn man den Verhandlungsgegenstand differenziert. Jede Partei hat dann die Möglichkeit, eigene Ziele zu erreichen und gleichzeitig Zugeständnisse zu machen. Und natürlich wissen alle erfahrenen Controller, dass die Verhandlung der Entscheidungsräume ein fortwährender, dynamischer Prozess ist. Es lässt sich nicht verhindern, auch wenn es immer mühsam ist.

Anforderungen an Controlling Systeme

Daraus ergeben sich die folgenden Anforderungen an Informationssysteme im Controlling:

  1. Informationsprozesse müssen transparent sein. Die Klärung von Hintergründen und Details macht es erforderlich, bei Bedarf an verschiedenen Stellen weitere Informationen und Verfahren einzubauen. Es ist nicht vorhersehbar, wann und wo der Bedarf entsteht.
  2. Informationsprozesse müssen eine flexible Basis für die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen sein. Auch hieraus ergibt sich die Anforderung, Informationen bei Bedarf weiter differenzieren zu können. Und eventuell muss die Informationsversorgung auch mal wieder vereinfacht werden.
  3. Die Architektur von Controlling-Systemen sollte diese Anforderungen unterstützen. Ich favorisiere dafür modulare Konzepte. Aber das müssen wir ein anderes mal aufgreifen.

In der Hoffnung, dass beim nächsten Mal alles besser wird:
Make your Computers fly!

Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz

Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz

Wie stellen Controller eine Entscheidungsgrundlage her und wie kann sie durch Controlling-Prozesse automatisiert werden?

Der Steuerung liegt immer ein Bewegungsentwurf zugrunde. Er bezieht sich auf eine zukünftige Gegenwart und liefert eine Begründung für die zu treffenden Entscheidungen. Man nennt das eine Entscheidungsgrundlage. Sie wird meist vom Controlling bereitgestellt. Die Beschreibung ist dabei immer unsicher, weil die zukünftige Gegenwart nicht mit der gegenwärtigen Zukunft übereinstimmen muss.

Beispiel

Um den Vorgang zu erklären, wählen wir als Beispiel eine Cash-Flow generierenden Maschine. Sie wird im Rahmen einer Investitionsentscheidung beschafft und erzeugt dann in der Folge Cash-Flows. Im Beispiel soll dies eine abstrakte Maschine sein, so dass die Cash-Flows genauso aus der Investition in einen Kundenkredit, aus der Investition in eine Aluminium Strangpressmaschine oder aus dem Erwerb eines ganzen Unternehmens stammen können. Der Bewegungsentwurf für eine solche Investition besteht in unserem Beispiel deshalb aus Cash-Flows. Die Investition erzeugt Cash-Flows im Zeitpunkt der Investition und die abstrakte Maschine erzeugt sie während ihrer Lebenszeit. Diese Vorstellung enthält eine weitere Abstraktion. Denn es interessiert uns nicht nur nicht, was für eine Maschine die Cash-Flows erzeugt. Sondern auch alle anderen nicht-monetären Motive spielen keine Rolle. Diese Feststellung ist wichtig für unser Beispiel.

Codierung als Reduktion

Codierung

Die Allgemeinheit des Beispiel-Modells ist wichtig, weil ich jetzt versuchen kann, verschiedene Investments miteinander zu vergleichen. Um das zu tun, erstelle ich die Kennzahl „Return on Investment“ (ROI), die ich mit der Discounted-Cash-Flow Methode errechne. Dabei werden die im Bewegungsmodell erwarteten Cash-Flows mit einem risikoadjustierten Zins auf den Anfangszeitpunkt der Investition diskontiert und dem Investment gegenübergestellt. Das ist grundsätzliche eine einfache Methode, die jedem Investment einen Wert zuweist, der es codiert.

Entscheidungsgrundlage

Wenn ich in der Rolle eines Entscheiders bin, der Investitionsentscheidungen trifft, ohne sich um die Zusammensetzung des eingesetzten Kapitals kümmern zu müssen, kann ich die Investments jetzt nach ihrem ROI sortieren und mich z.B. für die Investments mit dem höchsten ROI entscheiden. Die Kennzahl stützt sich auf ein klares, methodisch sauberes Konzept, das eine wirksame Basis für eine Erzählung zur Entscheidung liefert. Sie kann wenigstens prinzipiell konsensfähig sein.

Probleme im Detail

Die Probleme liegen hier jedoch im Detail. In die Berechnung des ROI gehen viele Annahmen z.B. darüber ein, mit welchen Cash-Flows in der Zukunft zu rechnen ist. Der ROI unterstellt außerdem, dass es bei der Investitionsentscheidung ausschließlich um einen berechenbaren Geldwert geht, dass Nebenziele z.B. aus einem sozialen Engagement (soweit man sie nicht ebenfalls in Geldwerte umrechnen will) keine Rolle spielen. Zuletzt ist auch der risikoadjustierte Diskontzins alles andere als eindeutig bestimmbar. Er hängt ab vom Risiko des Investments. Damit bestimmt sich der Zins aus einer Risikoeinschätzung der zukünftigen Cash-Flows sowie einer Preiseinschätzung für diese Risiken.

Die Kennzahl reduziert als eine Codierung ihre Aufmerksamkeit auf ausgewählte Effekte und ignoriert alles andere. Das macht sie effizient und nachvollziehbar. Über ihre Berechnungsvorschrift kann ich die Erzeugung der Kennzahl automatisieren. Wenn sie meine Entscheidungsgrundlage darstellt, dann kann ich die Entscheidungsgrundlage automatisiert erzeugen.

Semantische Komplexität

Bei geringen Unterschieden gut anwendbar

Es ist klar, dass sich die Bedeutung des Wertes, den unsere Kennzahl ausweist, nicht unmittelbar jedem Empfänger erschließt. Die Bewertung funktioniert noch gut, wenn ich mit dem gleichen Rechenverfahren sehr ähnliche Investments bewerte und ihre Codierung durch die Kennzahl vergleiche. Das könnten z.B. gleichartige, festverzinsliche Wertpapiere sein, die von ähnlichen Emittenten stammen und sich im Wesentlichen in ihrer Restlaufzeit unterscheiden. Ich kann den ROI dann einfach als Aussage über den Vergleich auffassen, ohne dass ich seinen Wert als eine absolute Größe einordne.

Mit den Unterschieden wachsen die Schwierigkeiten

Sobald die Unterschiede zwischen den Investitionen größer werden, muss ich mich aber fragen, ob die von mir getroffenen Annahmen der Berechnung einen Vergleich noch zulassen. Jeder andere Nutzer der Codierung kennt vielleicht noch nicht einmal meine Annahmen. Er stellt sich zusätzlich die Frage, ob die Annahmen überhaupt zuverlässig und außerhalb von Interessenkonflikten getroffen worden sind.

Die Interpretation ist entscheidend

Wir sprechen hier von semantischer Komplexität, weil es um die Bedeutung des Zeichens (hier dem ROI als Wert) geht, mit dem wir das Investment codiert haben. Die unbeantwortbaren Fragen sorgen dafür, dass die Codierung erstens hätte anders ausfallen können. Und zweitens sorgen sie dafür, dass der Empfänger die Deutung der Kennzahl nach seinem eigenen Kenntnisstand vornehmen muss. Von dem weiß er aber nicht, ob er für eine verlässliche Bewertung ausreicht. Wenn der Empfänger der Codierung die hierdurch entstehende Unsicherheit über die Bedeutung der Kennzahl nicht ausreichend verarbeiten kann, dann wird das Ziel, eine Entscheidung mit der Beschreibung des Bewegungsentwurfs zu rechtfertigen, nicht mehr erreicht.

Was bedeutet das?

Codierung führt immer zu semantischer Komplexität

Die Voraussetzung für die Automatisierung von Entscheidungsgrundlagen besteht darin, dass die Beschreibung von Bewegungsentwürfen codiert wird. Die Codierung basiert dabei auf der Abstraktion des Bewegungsentwurfs, in unserem Beispiel der selektiven Beobachtung von Cash-Flows, und der Projektion der Cash-Flows auf einen Wert, den ich z.B. nach seiner Größe ordnen kann. In unserem Beispiel ist dieser Wert der ROI. Selbstverständlich hätte man jede Entscheidung der Abstraktion und der Projektion auch anders treffen können, aber das ist hier nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Codierung der Entscheidungsgrundlage an anderer Stelle, nämlich beim Empfänger, zu einer semantischen Komplexität führt, die der Empfänger bearbeiten muss. Das passiert immer, egal welche Entscheidungen ich bei der Codierung treffe.

Das Ziel ist gefährdet, kann aber gerettet werden

Maßnahmen, die zur Automatisierung von Entscheidungsgrundlagen getroffen werden, müssen also damit rechnen, dass es für den Nutzer der Entscheidungsgrundlage schwieriger wird, die Bedeutung der Codierung einzuordnen und sie richtig einzusetzen. Sie laufen damit Gefahr, für die Rechtfertigung von Entscheidungen weniger relevant zu werden. Das ist nicht immer der Fall. Und es können Maßnahmen ergriffen werden, die es den Nutzern von Entscheidungsgrundlagen erleichtern, die Komplexität zu behandeln.

Maßnahmen zur Behandlung von semantischer Komplexität

Abhilfe ist in dieser Situation an zwei Stellen möglich.

Erleuterung der Bewertung

Erstens kann neben der Kennzahl eine Erläuterung ihrer Berechnung und der in die Berechnung eingeflossenen Annahmen kommuniziert werden. Das wird außerdem erreicht, wenn die Berechnung weiter differenziert wird. Bei der Investition in eine Aluminium Strangpressmaschine können die erwarteten Cash-Flows z.B. in Gruppen eingeteilt werden, je nachdem ob ein kompliziertes oder ein einfaches Presswerkzeug eingesetzt wird. Die Absatzmärkte und Margen unterscheiden sich für diese Gruppen, so dass die Differenzierung einen besseren Einblick in Chancen und Risiken verschafft. Die Erläuterung von Annahmen kann z.B. enthalten, auf welche Weise der Diskontzins abgeleitet oder ermittelt wird. Diese Zusatzinformation erleichtert den Vergleich mit anderen Bewertungen. Erläuterung und Differenzierung schließen potenzielle Lücken bei der Nachvollziehbarkeit der Bewertung.

Fine Tuning durch Verwendung

Zweitens kann sich ein Zutrauen in die Bewertung der Kennzahl durch wiederholte Verwendung und Rückschau der Ergebnisse entwickeln. Vertrauen entsteht dann durch positive Erfahrungen mit der Verlässlichkeit und Vorhersagekraft der Kennzahl. Die Analyse und Diskussion von Ursachen im negativen Fall und falls hilfreich die Anpassung der Berechnungsverfahren vergrößert die Chancen auf positive Erfahrungen und die Wirksamkeit der Kennzahl. Gleichzeitig stärken sie das nötige Wissen zur Interpretation der Kennzahl.

In diesem zweiten Maßnahmenbündel wird die Herstellung der Kennzahl zum Thema der Analyse, die zur Anpassung der Beobachtung bzw. Beschreibung des Bewegungsentwurfs führt. Stellen wir z.B. als Investor einer Strangpressmaschine fest, dass die Margen bei der Produktion von Aluminiumsträngen mit einfachen Werkzeugen niedriger ausfallen als ursprünglich angenommen, dann können wir diese Annahme anpassen. Oder wir stellen fest, dass unsere Kunden Zahlungsfristen für Rechnungen regelmäßig überziehen. Dann richten wir den Bewegungsentwurf, der den zeitlichen Verlauf der Cash-Flows beschreibt, an der neuen Beobachtung aus.

Das grundsätzliche Problem bleibt zwar bestehen, dass unser Bewegungsmodell Unsicherheiten enthält und damit Komplexität in die Deutung der Kennzahl verschiebt. Die Verwendung und Deutung der Kennzahl entwickelt sich aber in einem evolutionären Prozess zu einem verlässlicheren Verfahren, das nicht-anschlussfähige Berechnungen, Annahmen und Auslegungen mit der Zeit eliminiert.

Warum ist diese Feststellung interessant?

Meine Beschreibung, zu welchen Effekten die Verwendung von Kennzahlen führt, ist nicht gerade weltbewegend. Immerhin wissen wir jetzt, dass Kennzahlen erklärt werden müssen. Wozu also die Mühe und die Verknüpfung mit den Fremdwörtern?

Anforderungen an Informationssysteme im Controlling
  1. Informationssysteme müssen sich darauf einstellen, Nutzern Kennzahlen zu erläutern und deren Bedeutung zu differenzieren. Unschärfen von Deutungen werden dabei nicht immer an den gleichen Stellen auftreten. Das macht es erforderlich, je nach Bedarf, an anderen Stellen detailliertere Informationen einzubauen.
  2. Wenn sich das Zutrauen in Kennzahlen durch praktische Übung verbessern soll, dann ist es auch notwendig, Anpassungen an der Berechnung zu ermöglichen. Dazu muss die Berechnung in den Informationssystemen transparent sein und Änderungen erlauben.
Muster für die Behandlung von Komplexität

Der Vorgang, den ich hier beschrieben habe, ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir Komplexität behandeln. Das ist in der soziologischen Systemtheorie ausführlich beschrieben. Wir haben hier ein einfaches Beispiel gesehen. Die Systemtheorie liefert aber Erklärungen auch für kompliziertere Zusammenhänge, die wir an anderer Stelle gut gebrauchen können.

  1. Sie hilft uns z.B. Anforderungen an Controlling-Systeme zu formulieren und dabei Begründung und Vollständigkeit zu prüfen.
  2. Sie zeigt uns Potenzial und Grenzen von Automatisierungen und kann auf Möglichkeiten für den Einsatz künstlicher Intelligenz hinweisen, bei der wir nicht fürchten müssen, nicht mehr Herr unserer Erzählungen zur Steuerung zu sein.
  3. Und, was mir wichtig ist: Systemtheorie ist keine Wissenschaft, die sich auf weichen Faktoren beschränkt. Ich habe ganz absichtlich ein Beispiel gewählt, das sich auf monetäre Faktoren bezieht und dabei ein großes mathematisches Gewicht haben kann. Das passt gut zusammen.

In dem Beitrag Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit habe ich das Muster zur Handhabung von Komplexität weiter beschrieben. Der Text ist etwas umfangreich, behandelt dafür aber auch Auswirkungen und Anwendungen der Abgeschlossenheit.

In diesem Sinne: Make your Computers fly!

Eine englische Version des Beitrags habe ich auf LinkedIn unter dem Titel „Automation between reduction and emergence“ gepostet.

Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung:
Tel. +49-160 5438306 oder
per mail an frank@fp-consulting.org

Vollständige Kontrolle ist eine Illusion

Vollständige Kontrolle ist eine Illusion

Ich fahre gerne Motorrad. Aus Erfahrung weiß ich, dass die vollständige Kontrolle aller Fahrbedingungen beim Motorrad – leider – nicht zu erreichen ist. Das hat das Motoradfahren mit der Steuerung von Unternehmungen gemeinsam.

Die vollständige Kontrolle der Fahrt ist beim Motorrad nicht möglich, weil man es mit verschiedenen Ungewissheiten zu tun hat. Als erstes ist es nicht möglich, festzustellen, was genau eine „richtige“ Steuerung des Motorrads wäre. Man kennt das aus der Diskussion um „richtige“ Kurvenlinien und manchmal auch von den Stammtischen, wie ein Motorrad überhaupt durch eine Kurve gelenkt wird. Dazu kommen unbekannte Umweltbedingungen, wie der Straßenbelag, mögliche Hindernisse und andere Verkehrsteilnehmer. Und obendrein bleibt das Motorrad nur stabil, solange man es fährt. Wenn man es nicht fährt, dann fällt es um.

Anders als bei der Unternehmenssteuerung gibt es beim Motorrad nur eine begrenzte Zahl von Steuerungsmöglichkeiten: Gas, Bremse, Kupplung und zwei Lenkerenden, die ich je nachdem, in welcher Richtung ich eine Kurve fahren will, auf der rechten oder linken Seite nach vorne drücke. Die Risiken sind klar zu benennen: dass die Fahrt ungewollt endet, z.B. weil das Motorrad dazu neigt, eine rutschige Stelle auf der Straße mit allen seinen Teilen genauer inspizieren zu wollen.

Steuerung während der Fahrt

Aufgrund der übersichtlichen Anzahl von Hebeln für die Steuerung lässt sich der Ablauf gut beschreiben. Bevor ich z.B. eine Kurve fahre, mache ich mir immer eine Vorstellung von dem Bewegungsauflauf, der dafür erforderlich ist. Das gilt auch, wenn mir das nicht so bewusst ist. Ich sehe mich, bevor ich die Kurve erreiche, quasi schon selbst, wie ich die Kurve fahre. Ich nenne das einen Bewegungsentwurf.

Während der Fahrt durch die Kurve vergleiche ich meine Beobachtungen mit dem Bewegungsentwurf, und reagiere, wenn es zu relevanten Abweichungen kommt. Entweder passe ich meine Steuerung so an, dass ich dem Bewegungsentwurf wieder näherkomme, oder, was seltener der Fall ist, weil meistens schnell gehandelt werden muss, ich verändere den Bewegungsentwurf noch einmal. Der zweite Fall tritt vor allem dann ein, wenn sich der ursprüngliche Bewegungsentwurf z.B. wegen eines Hindernisses nicht mehr ausführen lässt. Es hilft mir dann, wenn ich mich auf ein Reaktionsmuster für solche Fälle vorbereitet habe. Man kann solche Situationen vorher gedanklich durchgehen und in manchen Fällen auch konkret üben.

Wegen der nicht erreichbaren vollständigen Kontrolle über die Situation während der Fahrt, bleiben Risiken, die es klein zu halten, aber auch zu akzeptieren gilt. Um die Risiken zu begrenzen, setze ich z.B. intelligente Technik in Form eines kurvenabhängigen ABS ein, trage immer gute Schutzkleidung und bereite mich mental und durch Übungen auf unvorhergesehene Situationen vor.

Bewegungsentwurf in Form einer Erzählung

Zentral für die Steuerung ist der Bewegungsentwurf. Bei Unternehmungen in einem sozialen Umfeld, in dem genaue Vorhersagen praktisch unmöglich sind, entsteht der Bewegungsentwurf als gemeinschaftliche Erzählung mit einer plausibilisierten Quasigewissheit: Die Plausibilität erlaubt es, auf hinreichende Gründe für Entscheidungen zu vertrauen, während die Gemeinschaftlichkeit der Erzählung vor allem die Anschlussfähigkeit von Entscheidungen wahrscheinlicher macht. Prognose wird nun anders interpretiert: Nicht mehr als Vorhersage einer zukünftigen Gegenwart, sondern als Erzählung eines möglichen Entscheidungsraums, den man sich gemeinschaftlich festlegt. Die Erzählung generiert eine fiktive Gewissheit, die ausreicht, zu entscheiden (Birger P. Priddat, Erwartung, Prognose, Fiktion, Narration; Zur Epistemologie des Futurs in der Ökonomie, Metropolis-Verlag).

Elena Esposito hat genauer erläutert, wie das geschieht. Sie beschreibt, wie z.B. die Fiktionen eines Romans auf die Wirklichkeit zurückwirken. In der explizit fiktiven Realität des Romans kann sich ein Leser zurechtfinden, weil der Roman auf präzise, überprüfbare und nicht willkürliche Weise eine Welt beschreibt, die nicht existiert. Die Fiktion wirkt wie ein Spiegel, in dem die Gesellschaft ihre eigene Kontingenz reflektiert. Wahrscheinlichkeitstheoretische Modell funktionieren ebenso. Sie stellen eine irreale, aber realistische Realität dar, gerade weil sie diese vereinfachen und auf diese Weise eine regelmäßigere und besser geordnete Realität zur Verfügung stellen, die nicht „zirkulär“ und um die Wechselwirkungen zwischen Beobachtern und Zeithorizonten bereinigt ist (Elena Esposito, Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität, Suhrkamp).

Bewegungsentwürfe sind ein zentraler Bestandteil bei vielen Aktivitäten, die eine Steuerung verlangen. Bei der Steuerung von Unternehmen sind sie jedoch abstrakt und geprägt durch die kooperative Informationsverarbeitung in sozialen Systemen. Klassische Controlling Aufgaben und quantitative Methoden sind dabei ebenso wichtig, wie die richtige Erzählung.

Ich nehme die Fragen, wie in Unternehmen gesteuert wird und welche Anforderungen sich an die Gestaltung von Controlling Systemen ergeben, in weiteren Artikeln auf. Bisher erschienen sind:

Weitere Artikel werden folgen.

Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Begriffsbestimmung und Bedeutung für die Organisation von Kommunikation. 

Was nennen wir operationale Abgeschlossenheit? Die Frage begegnet uns immer häufiger und nicht nur in der Soziologie, in der das Konzept maßgeblich von Niklas Luhmann beschrieben wurde. Operationale Geschlossenheit meint, dass jedes System selbst eine Vorgehensweise wählt, ob, wie und wodurch es auf seine Umwelt reagiert. Das bleibt leider abstrakt und erklärt nicht, wie die Geschlossenheit aussieht und wie sie funktioniert. Mit diesem Text will ich erklären, was die in der sozialen Systemtheorie verwendete Figur eines operativ abgeschlossenen Systems bedeutet. Dafür ist es wichtig, ein Beispiel zu finden, mit dem man die Vorgänge erklären kann, die sich dabei ereignen. Wenn die Erklärung gut zugänglich sein und die Tragweite des Konzeptes deutlich werden soll, brauche ich ein allgemeines Beispiel, dem jeder folgen kann, und das nicht danach aussieht, als fänden die Vorgänge nur in sehr speziellen Kontexten statt.

Ich wähle deshalb diesen Text als ein Beispiel für ein operational abgeschlossenes System. Das mag überraschen, weil die Art des Beispiels vermuten lässt, dass es doch abstrakt bleibt. Ich werde versuchen, das zu vermeiden. Der Vorteil meines Beispiels ist, dass es so alltäglich ist, dass man mir die Allgemeinheit abnehmen wird. Es lassen sich auch andere Beispiele finden, die das Phänomen noch besser in seinen verschiedenen Ausprägungen erklären und gleichzeitig die Tragweite deutlich werden lassen. Das sollten wir aber erst in einem nächsten Schritt verfolgen.

Mein Text als Beispiel

Wenn ich meinen Text schreibe, dann habe ich vor Augen, welchen Zweck der Text erfüllen soll. In diesem Fall soll er einem Leser erklären, was man unter operationaler Abgeschlossenheit versteht, wie sie funktioniert und welche Effekte sie erzeugt. Zuletzt will ich noch die Tragweite des Konzeptes deutlich machen.

Reduktion

Ich beginne also zu schreiben und wähle bestimmte Gedanken aus, die mir durch den Kopf gehen und die ich dem Leser vorstellen will. Alles, was mir einfällt, kann ich nicht erzählen. Ich kann auch nicht alles Sagen, wovon ich vielleicht nur eine vage Vorstellung habe, weil mir die Worte dafür fehlen. Also reduziere ich die Gedanken, die ich vortrage, auf einen Kern, der in der Lage ist, Aufmerksamkeit, Anteilnahme und vielleicht eine gewisse affektive Besetzung zu erzeugen. Er soll dabei gleichzeitig deutlich machen, was ich sagen will. In der Reduktion auf diese Gedanken liegt auf jeden Fall eine Energieersparnis. Sie liegt sowohl bei mir, dem Autor, weil ich nicht alles aufschreiben muss. Und sie liegt beim Leser, der ja auch nicht unbegrenzt Zeit zum Lesen hat.

Schemata

Beim Schreiben verwende ich meistens ein Schema, das es dem Leser erleichtert, meinen Gedankengängen zu folgen. Das könnte das Schema sein, dem das klassische Drama folgt, also etwa:

  • Worum geht es?,
  • Wer hat wann was, wo getan, oder was ist passiert?,
  • Was passierte dann?,
  • Und was bedeutet das jetzt?,
  • Was schließlich passiert ist, oder was es bedeutet.

Solche Schemata erlauben es dem Leser, der Argumentation leichter zu folgen. Aus Gewohnheit und praktischer Übung weiß er dann schon, wie der Argumentationsverlauf sein wird.

Sequenzbildung

Den Text gliedere ich in einzelne Abschnitte. Sie behandeln jeweils einen Teil des Handlungsverlaufs und sind in sich besser zu verstehen. Sie reduzieren die Datenmenge, die pro Abschnitt zu verarbeiten ist. Die Abschnitte werden von mir anschließend verknüpft, so dass sich aus den Abschnitten eine Argumentation ergibt. Diese ist hoffentlich in der Lage, das Ziel des Textes zu erreichen. Die Sequenzbildung, die ich so einrichte, erlaubt die Anteilnahme an der Argumentation und bereitet eine Art Problemlösungsgemeinschaft vor. Die Sequenz läuft in der positiven Wendung des Textes aus, der Erklärung und vielleicht dem Aha-Effekt beim Leser.

Gegenseitige Toleranz

Ein entscheidender Beitrag für die Aufnahme des Textes durch den Leser besteht dabei in der von mir nicht vollständig festgelegten Argumentationskette zwischen den Abschnitten des Textes. Die vollständige Kontrolle über die Argumentation wird mir schon deshalb nicht gelingen, weil ich mich mit dem Umfang des Textes beschränken muss. Und ich kann nicht wissen, welches Vorwissen und welche Vorstellungen der Leser des Textes mitbringen wird. Vielleicht versteht er Argumente anders oder kann ihnen nicht folgen, weil er eine andere Vorstellung von den Umständen hat, auf die ich meine Argumente stütze. Diese nicht vollständig determinierte Zone zwischen den Modalitäten der Verknüpfung erlauben es dem Leser nun aber, seine eigenen Erwartungen an die Argumentation beim Lesen des Textes einzubringen. Er kann sich den Text in bestimmten Grenzen so zurechtbiegen, dass er zu seinem Vorverständnis passt.

Auf diese Weise ist der Text in der Lage, sich zwischen die Rollenfunktionen von mir als Autor und dem zukünftigen Leser des Textes zu schieben. Wenn es gut läuft, dann hat der Leser Verständnis oder Toleranz für den Text und der Text hat Toleranz für den Leser.

Reflexion durch den Autor

Wenn der Text jetzt geschrieben ist, dann hat er seine ganz eigene Struktur. Sie besteht aus der Auswahl von Begriffen, dem Plot, also den Einzelereignissen und ihrer Verbindung zu Episoden. Damit ist festgelegt, was in meinem Text als Ereignis gelten darf. Und es gibt eine Rollenerwartung an den Autor und den Leser, die sich in einer Erwartung an Teilnahme und Teilhabe zeigt.

In Gedanken gehe ich noch einmal durch, ob der Text, so wie er ist, in der Lage sein wird zu sagen, was ich ausdrücken will. Die Auswahl der Begriffe wird noch einmal vor dem Hintergrund des Gesamtwerkes geprüft. So auch der Plot. Sind die Reduktion und die Sequenzierung gelungen? Wird der Leser in der Lage sein, der Argumentation zu folgen, auch wenn er an manchen Stellen vielleicht zögert? Dies ist ein reflexiver Vorgang, der sich auf die im Text vorhandenen Elemente stützt, seine Selektionen vor dem Hintergrund möglicher Außenweltbezüge und meiner Erwartungen prüft, und sich vor allem an dem Sinn des Textes orientiert. Eventuell muss ich an meinen Selektionen noch einmal etwas ändern. Der reflexive Vorgang selektiert die Selektionen, die der Autor im Text vorgenommen hat.

Aufnahme des Textes durch den Leser

Der Leser des Textes geht ähnlich vor wie der Autor. Der Leser nimmt das Schema des Textes wahr, seine Sequenzierung und Rahmung. Er nimmt die Innenwelt des Textes auf, also seine Begriffe, die Verknüpfungen zwischen Abschnitten. Und er aktualisiert die Außenweltbezüge des Textes mit seinen eigenen Vorstellungen und seiner eigenen Auslegung der Bezüge. Die Lücken, die ich als Autor bei der Verknüpfung der Sequenzen oder der Detaillierung der einzelnen Ereignisse gelassen habe, füllt der Leser nach seinen Vorstellungen. Er interpretiert den Text und muss sich schließlich fragen, ob er der Argumentation folgen konnte und ob der Text ihm die Fragen beantwortet hat, die er an den Text hat.

Normalerweise bleibt dabei ein Rest an unerklärten Begriffen und Bezügen übrig. Sie müssen zu der Frage führen, ob der Leser den Text wirklich verstanden hat und wie gut die Fragen durch den Text beantwortet wurden. Vor dem Hintergrund seiner Interpretation prüft der Leser deshalb noch einmal, ob er den Text auch anders lesen könnte. Kann er Begriffe anders auslegen, die Lücken in den Verknüpfungen anders füllen, und vor allem kann er dieser anderen, alternativen Interpretation mit seinen Erwartungen und mit seinem Vorverständnis dann noch folgen? Der Leser vollzieht so einen ähnlich reflexiven Prozess, wie der Autor, nur andersherum. Er verwendet die Elemente, die ihm der Text bietet, versieht sie mit seiner Interpretation der Außenweltbezüge des Textes und seinen eigenen Vorstellungen.

Autor und Leser sind über den Text auf eine lose Art miteinander verbunden.
Gemeinsame Sinnwelt von Autor, Text und Leser

Die Vorgänge, die Autor und Leser mit dem Text vollziehen, sind sich auf eine gewisse Art ähnlich. Sie verwenden jeweils die Elemente des Textes und ihre eigenen Vorstellungen, um eine gemeinsame Sinnwelt zu erzeugen. Diese Sinnwelt, oder um einen Begriff von Maurice Merleau-Ponty zu verwenden, diese Zwischenleiblichkeit ist operational abgeschlossen. Sie arbeitet mit der abgeschlossen Menge von Elementen, die sich aus den Elementen des Textes und den Elementen des Weltbildes von Autor oder Leser ergeben, die sie zum Verständnis des Textes abrufen. Unter diesen Elementen wird ausgehandelt, ob sich ein konsistenter und sinnvoller Zusammenhang herstellen lässt. Der Sinn der Aktionen bestimmt dabei das Zielbild. Es bleibt aber fragil, weil es sowohl beim Autor als auch beim Leser diese nicht vollständig determinierten Zonen im Text gibt, die es erforderlich machen, den Sinn des Lesens oder Schreibens mit seinem Ergebnis abzugleichen.

Weil die Sinn-Ergebnis-Verknüpfung in solchen Systemen immer kontingent, das heißt nicht vollständig bestimmbar bleibt, zwingen die Selektionen des Systems, also die Auswahl von Begriffen oder die Auswahl der Interpretation von Begriffen, das System dazu, sich selbst, also seine Selektionen noch einmal zu hinterfragen. Dieser reflexive Prozess gehört zwangsläufig zur operationalen Abgeschlossenheit sozialer Systeme.

Abgeschlossenheit der Struktur des Textes

Wenn man den Begriff der operationalen Abgeschlossenheit noch etwas abstrakter auffasst, dann lässt er sich auch auf den Text selbst anwenden. Der Text ist zwar nicht in der Lage, seine Elemente eigenständig zu reflektieren, aber er löst einen solchen Prozess bei jedem Lesen aus. Dabei determiniert er durch seine Begriffe, den Plot und die Ereignisse, was ein Leser als Grundstoffe für seine Interpretation zur Verfügung hat. Diese Elemente beziehen sich im Text nur gegenseitig aufeinander. Für eine Interpretation bleibt nichts anderes übrig als das, was der Text zur Verfügung stellt.

Der Leser kann nur anhand der Elemente des Textes prüfen, ob die Mitteilungen des Textes sinnvoll sind, oder ihm durch eine andere Auslegung sinnvoll erscheinen können. Die Grundform, auf der die Interpretation des Textes beruht, ist operational abgeschlossen.

Der Text enthält nur zusätzlich noch jene Lücken der nicht vollständig determinierten Begriffe und Argumente, die Autor und Leser für sich zusammen mit dem Text erschließen. Der Text lässt einen größeren Spielraum bei der Interpretation von Begriffen, Bildern, Metaphern, bei der Auslegung des Erzählschemas und bei den tatsächlichen Rollen, die vom Autor und vom Leser beim Schreiben oder Lesen des Textes eingenommen werden, als das später in der Zwischenleiblichkeit der Fall ist, die sich zwischen Text und Leser bildet.

Auswirkungen der Abgeschlossenheit

Systemverhalten ist kontingent

Einer der wichtigsten Effekte dieser Abläufe und damit der operationalen Abgeschlossenheit ist, dass jedes der hier beschriebenen Systeme nicht alle ihre Geheimnisse preisgibt. Ein Leser des Texts kann nicht wissen, was der Autor mit dem Text wirklich sagen wollte und welche Zwiesprache zwischen Autor und Text stattgefunden hat. Nicht einmal der Autor kann sagen, was der Text wirklich aussagt, weil er nicht wissen kann, wie ein Leser die Außenweltbezüge und Lücken des Textes füllt. Der Autor kann sich nicht sicher sein, dass er den Text so geschrieben hat, dass was er sagen wollte beim Leser ankommt.

Was zwischen Leser und Text vorgeht, kann uns der Leser zwar sagen, aber was ist mit dem Unsagbaren, den latenten Zweifeln, die der Leser vielleicht hat? Wir können über dieses Ringen des Lesers mit dem Text nur das erfahren, was uns der Leser berichtet. Und auch dann bleibt es für uns nur zu einem Teil nachvollziehbar.

Abgeschlossenheit als Bedingung der Möglichkeit, Information zu verarbeiten

Es ist ziemlich einleuchtend, dass die Beschränkung dessen, was gesagt wird, die einzige Möglichkeit ist, überhaupt etwas zu sagen. Wer alles sagt, sagt im Grunde genommen nichts. Der Text als Struktur operiert auf einer Selektion von Elementen, also Begriffen, Schemata, usw., die als ein abgeschlossenes Gebilde aufeinander verweisen, und auch nur so eine Information erzeugen. In der Systemtheorie würde man sagen, die Abgeschlossenheit des Textes ist die Bedingung der Möglichkeit, Information zu sein.

Gleiches gilt für die Verarbeitung von Informationen in Systemen. Jedes System, das Informationen verarbeitet, muss auswählen, welche Informationen es verwenden und welche es ignorieren oder verwerfen will. Andernfalls würde es mit der Menge an Daten, die es aufnimmt, nicht fertig werden und zu keinen Ergebnissen kommen. Mit dieser Selektion von Informationen verschließt sich das System gegenüber bestimmten Einflüssen. Auch die Regeln, nach denen Informationen interpretiert und verarbeitet werden, müssen sich beschränken. Das System verarbeitet die aufgenommenen Informationen nach seinen Regeln und erzeugt ein Ergebnis. Auch hier gilt, ohne Selektion welche Informationen aufgenommen werden und wie sie verarbeitet werden, käme kein System zu einem Ergebnis.

Teilbarkeit von Systemen

Es ist außerdem gut zu erkennen, dass es die im Text angelegte Sequenzierung erlaubt, das Konzept der operationalen Abgeschlossenheit auch auf Teile des Textes anzuwenden. Diese Sicht kann man weiterführen bis auf die Ebene einer einzelnen Bezeichnung. George Spencer Brown hat in seinen ‘Laws of Form’ beschrieben, wie selbst der Vorgang des Bezeichnens ein operational abgeschlossener Prozess ist, der reflexiv auf sich selbst verweist. Nach seiner Darstellung ist Bezeichnen das gleiche, wie eine Unterscheidung zu treffen. Durch die grundlegende Operation des Unterscheidens entsteht letztlich, mehrfach zusammengesetzt, der Raum, an dem wir uns orientieren und über den wir reden.

Systembildung aus Kommunikationen

Um das Konzept in die andere Richtung zu erweitern, also zu einem Begriff der soziologischen Systemtheorie, müssen wir im ersten Schritt den Begriff des Textes, auf den der Kommunikation erweitern.

Ein abstrakter Kommunikationsbegriff

Kommunikation enthält dann außerdem andere Arten von Texten, nämlich z.B. Bilder und Gesten, die sehr ähnlich funktionieren und sich auch aus Innenwelt- und Außenweltbezügen zusammensetzen. Man kann schnell für sich selbst prüfen, dass das Gesagte auf Bilder und Gesten anwendbar ist. Und es kann wiederum auch auf Handlungen erweitert werden, wenn man einen Punkt berücksichtigt: nicht jede Handlung ist im Sinne des Systems automatisch auch Kommunikation. Eine Handlung erzeugt immer ein Signal, das nur dann als Kommunikation im System aufgefasst wird, wenn der Empfänger mit ihr eine Intention verbinden muss. Wer genau im Einzelfall handelt, ist dann aber schon wieder komplizierter, und muss uns hier nicht im Detail interessieren.

Konstitution durch Kommunikation

Mit dem allgemeineren Begriff der Kommunikation können wir nun in einem zweiten Schritt den Soziologen folgen und verstehen, was sie mit operationaler Abgeschlossenheit von sozialen Systemen meinen. Diese Systeme bilden sich als Selektionen von Kommunikation und funktionieren, wenn die ausgewählte Kommunikation im System anschlussfähig ist und deshalb fortgesetzt wird. Was anschlussfähig ist oder wird, entscheidet sich an dem Sinn, der das System begründet. Diese Systeme sind operational abgeschlossen, weil sich Kommunikation immer nur auf Kommunikation bezieht (in ihrer besonders allgemeinen Definition) und dabei gleichzeitig die durch den Sinn begründeten Selektionen durchführt.

Die Kommunikation enthält Innenwelt- und Außenweltbezüge. Sie ist also weder von dem isoliert, was in der Umwelt passiert, noch vollständig von ihr abhängig. Für einen Außenstehenden bleiben die Verarbeitungsregeln des Systems auf diese Weise nicht vollständig durchschaubar. Soziale Systeme kommunizieren außerdem mit sich selbst über ihre eigene Kommunikation und selektieren dadurch ihre Selektionen. Ihr Sinn wird durch diesen reflexiven Prozess eventuell präziser eingesetzt, oder neu gefasst. So kann er sich auf ein verändertes Umfeld einstellen.

Die Abgrenzung sozialer Systeme von ihrer Umwelt geschieht, weil sie ausschließlich aus Kommunikationen bestehen, über die Selektion derjenigen Kommunikationen, die im System Beachtung und Anschluss finden. Wenn wir festlegen wollen, was genau zu einem System gehört und was nicht mehr, haben wir es deshalb mit einer ziemlich fluiden Definition zu tun.

Vernetzung von Systemen

Da soziologische Systeme selbst auch Kommunikation erzeugen, die an ihre Außenwelt gerichtet ist, kommt es selbstverständlich vor, dass Systeme an der Gestaltung von anderen Systemen beteiligt sind. Der in diesen aus Systemen zusammengesetzten Systemen verhandelte Sinn, und damit die Selektionen ihrer Kommunikation, sind selbstverständlich andere als diejenigen der beteiligten Systeme. Ich vermeide es hier außerdem sorgfältig, von Hierarchien zu sprechen, weil die Vorstellung einer Über- oder Unterordnung nicht notwendig ist. Es entwickeln sich zumindest Netzwerke, die eine Landschaft aus Sinnzusammenhängen von Kommunikationen begründen. Die Bedeutung einzelner Systeme ergibt sich eher daraus, wie viele und welche Kommunikationsströme bei ihnen zusammenfließen. Manchmal ist ihre Bedeutung daran zu erkennen, mit welchen Objekten, z.B. Gebäuden, sie sich umgeben, oder wie ihre Sprecher auftreten bzw. kommunizieren.

Strukturierung durch Sinn

Zusammenfassend können wir feststellen, dass sich das Prinzip der operationalen Geschlossenheit an sehr vielen Stellen beobachten lässt. Es durchzieht unsere Lebenswelt von der einfachen Bezeichnung von Irgendetwas bis zur Gestalt sehr wirkmächtiger Systeme und Institutionen. Und es ist dabei in den verschiedensten, oft fluiden und auch oft undurchsichtigen Konstellationen zu beobachten.

Was all diesen Erscheinungen gemeinsam ist, das ist der Versuch, die Welt durch Sinn zu strukturieren, und damit sonst problematische Komplexität der Welt zu ordnen, handhabbar zu machen. Dieser Versuch hat nur leider seinen Preis. Die Reduktion der Verarbeitungsregeln und ihre operationale Abgeschlossenheit sorgen dafür, dass sie selbst und damit auch ihre Ergebnisse nicht transparent sind. Die Ordnung, so wie sie entsteht, enthält also einen unbegründeten, positivistischen Kern: Selbst schon die Unterscheidung von George Spencer Brown setzt voraus, dass ein Beobachter eine Differenz formuliert und dafür eine Ordnung vorliegt, vor der sich die Differenz abhebt.

Die Reichweite von Sinn

Und noch ein wichtiger Punkt ist zu machen. Anhand meines Textbeispiels habe ich erläutert, wie sich die Bedeutung von Begriffen und Strukturen im Text mit der Aktualisierung der Interpretation der Außenweltbezüge des Textes durch den Leser verändert. Mit der allgemeiner zu verstehenden Kommunikation, die in einem sozialen System verwendet wird, geschieht das Gleiche. Texte, Bilder, Handlungen werden vor dem Hintergrund ausgewertet, der für sie in dem jeweiligen Umfeld und den jeweiligen Momenten maßgeblich ist. Sie aktualisieren dabei direkt oder indirekt, welche Selektionen von Selektionen ausgeführt werden und wie konstituierender Sinn verstanden wird. Einfacher ausgedrückt, die Kommunikation aktualisiert das Weltverständnis des Systems und damit die Basis für die Interpretation von Kommunikation.

Im Ergebnis unterscheidet sich theoretisch, fast immer aber auch praktisch, was innerhalb eines Systems unter einem Begriff verstanden wird und wie die Strukturen der Kommunikation, also z.B. die Sequenzen eines Textes, wirken. Unsere Welt besteht aus einem Patchwork an Weltverständnissen.

Update des Kommunikationsschemas

Wir können uns deshalb von dem klassischen Kommunikationsschema verabschieden, das auf dem Vierschritt des Senders, der Codierung einer Nachricht, der Decodierung der Nachricht und dem Verständnis des Empfängers beruhte. Es nimmt an, dass Sender und Empfänger den gleichen Code verwenden. Das trifft aber nicht zu. Die Übermittlung einer Nachricht ist kein passiver Vorgang, sondern bedarf der aktiven Übersetzung, einer Neucodierung der Nachricht. In einem Sprachraum befinden sich deshalb Zonen von geringerer und größerer Sinndichte. Die Übertragung von Nachrichten enthält ein Moment der Brechung, das Übersetzung und Transformation in sich trägt. Und sie macht die Fähigkeit, mehrere ‚Sprachen‘ verwenden zu können, zu einer wichtigen funktionalen Eigenschaft von Kulturräumen.

Die Kosten gemeinsamen Verständnisses

Man ahnt es vielleicht schon. Wir können die Zonen unterschiedlicher Sinndichte und die Zonen unterschiedlichen Weltverständnisses als in einem gewissen Ausmaß gegeneinander operational abgeschlossen betrachten. Das wird insbesondere überall dort gut sichtbar, wo sich Sprache als Ausdruck einer funktionalen Spezialisierung formt, einerseits um Sachverhalte differenzierter verhandeln zu können, andererseits vielleicht auch, um sich abzugrenzen. Am Beispiel der Sprache erkennt man aber auch gut, dass die operationale Abgeschlossenheit keinesfalls strikt sein muss. Sie macht sich manchmal nur dadurch bemerkbar, dass sich bestimmte kulturelle Milieus nicht mehr gut verstehen, oder dass ein kultureller Geltungsanspruch in der Peripherie seiner räumlichen Ordnung zunehmend Begrenzung erfährt. Es entsteht das Bild eines „Pluriversums finiter Raumwelten“[1], das nicht mehr einheitlich strukturiert werden kann. Die rationalistische Vorstellung, dass sich Wissen ohne Widerstand und auf weitere Strecken ohne zusätzliche Kosten verbreiten lässt, ist unrealistisch geworden.

[1] Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 114

Fazit

Konnte der Text erklären, was operationale Abgeschlossenheit ist und wie sie funktioniert? Wurde deutlich, was die Auswirkungen sind und welche Tragweite das Konzept hat? Wir schließen hier mit der Reflexion, die ich ganz am Anfang meines Textes beschrieben habe. Welche Behauptungen über unsere Welt stellt der Text auf, die Sie veranlassen, Ihre Erwartungen noch einmal zu reflektieren?

Das Schema verfolgen

Folgen wir noch einmal den Schritten des Dramas: Wir sind den Wegen gefolgt, die wir als Autor und Leser gemeinsam mit dem Text gehen. Der Text hat uns, wenn es gut gelaufen ist, jeweils einen Spielraum gelassen, der es uns erlaubte, unsere eigenen Interpretationen einzubringen. Er war uns gegenüber tolerant und wir ihm gegenüber wahrscheinlich auch. Sonst hätten sie vielleicht nicht bis hierher gelesen. Wir haben jeder für uns eine eigene Vorstellung davon entwickelt, was operationale Abgeschlossenheit ist und was sie bewirkt. Der Text hat wahrscheinlich seine eigene Vorstellung davon. Die kenne nicht einmal ich als Autor.

Der Text nimmt Komplexität auf

Aber was bedeutet das jetzt? Wir stellen fest, die operationale Abgeschlossenheit ist die Voraussetzung dafür, dass ein durch Sinn strukturiertes Medium entsteht, mit dem wir über Sachverhalte in unserer Welt kommunizieren. Anteil daran haben die Konzentration auf das Gesagte und genauso die Lücken, die das Nicht- oder Nicht-genau-gesagte lassen. Die Lücken schließen sich zum Teil, indem sich die Elemente des Textes auf sich selbst beziehen, und den Leser mit seinen Vorstellungen zu einem Spiel einladen.

Der Text handelt geschlossen und offen zugleich und nimmt dabei einen Teil der Komplexität auf, die unser Thema bestimmt. So sind wir als Autor und Leser in der Lage uns über ein Thema zu verständigen, das nie zu Ende diskutiert werden kann.

Systeme handhaben Komplexität

Soziale Systeme, mit denen wir es in unserem Alltag zu tun haben, gehen genauso vor. Sie absorbieren einen Teil der Komplexität, mit der wir es in unserer Welt zu tun haben, indem sie uns eine vereinfachte Antwort auf eines oder mehrere unserer Anliegen geben. In einer Familie z.B. muss ich mich nicht mehr um die Frage der Zugehörigkeit kümmern. Die Familie als System nimmt diese Schwierigkeit auf. Wie jeder weiß, ist die Komplexität damit nicht verschwunden, sondern durch die Familie in andere Formen der Komplexität transformiert, die gelegentlich auch zu anderen Problemen führt.

In jedem Fall ist es die besondere Form der operationalen Abgeschlossenheit, die geschlossen und offen zugleich dafür sorgt, dass die Verhältnisse eine Zeit lang als stabil aufgefasst werden können und so das Zusammenleben ermöglichen. Die Grenzen der Systembildung sind mal stabil und mal veränderlich, sie sind mal klar und mal eher fließend. Das macht die Widerstände aus, die mit dem Begriff der Systemtheorie und der operationalen Abgeschlossenheit verbunden sind. Ohne diese Mühen wäre sie aber auch gar nicht so leistungsfähig, die Vielfalt und Komplexität unserer Welt handhabbar zu machen und zugleich Veränderung zuzulassen.

Die Aussichten sind nicht schlecht, sondern anders

Die Aussichten sind nicht schlecht, sondern anders

Was tun, wenn die Zukunft ungewisser wird?

Ausgangslage

Unsere Zuversicht wird durch die aktuellen Krisen auf eine harte Probe gestellt. Die Corona-Pandemie lässt uns an unserer Handlungsfähigkeit zweifeln. Die längst überwunden geglaubten imperialistischen Bestrebungen von China und Russland lassen uns um das friedliche Miteinander auf der Welt fürchten. Und die heranbrechende Klimakatastrophe weist darauf hin, dass das Leben auf der Erde um einiges schwieriger und unberechenbarer wird. Die beiden erstgenannten Krisen lassen zudem befürchten, dass es um die Bewältigungskompetenz aller Nationen zusammen nicht gutsteht.

Horizonte schrumpfen

Das hat wirtschaftliche Auswirkungen. Wenn Geld nämlich dazu dient, Zeit zu gewinnen, also den Zeitpunkt nach vorne in die Zukunft zu verlegen, an dem man darüber entscheiden muss, wie man die eigenen Ressourcen einsetzen sollte (Esposito 2010), dann ist es klar, dass der Wert des Geldes bei steigender Unsicherheit kleiner wird. Die Unsicherheit wird größer, je weiter die Entscheidung in die Zukunft verlagert wird. Mit der Unsicherheit schrumpfen die Horizonte. Investitionsentscheidungen werden tendenziell eher von den schnell verfügbaren Ergebnissen bestimmt.

Schwierige Bedingungen

Ebenfalls von allen drei Krisen betroffen sind die globalen Netzwerke, über die Lieferungen erfolgen. Lock-Downs, zunehmende politische Risiken und steigende Kosten der Logistik zwingen dazu, über Lieferungen aus dem Nahbereich oder zumindest eine Diversifizierung nachzudenken. Zu allem Überfluss sind auch noch Fachkräfte und Experten knapp. Es fehlt sowohl an Nachwuchs als auch an verfügbarer Erfahrung. Notwendige Veränderungen müssen unter schwierigen Bedingungen erreicht werden.

Ein dreifacher Druck auf die Margen

Garner Finance (Gartner CFO Playbook 2022) stellt einen dreifachen Druck auf zukünftige Margen fest:

  • eine anhaltend hohe Inflation,
  • knappe und teure Fachkräfte und
  • Unsicherheiten von Lieferketten, die über das Jahr 2022 hinaus anhalten werden.

Zugleich fordern sie, gestärkt aus den aktuellen Krisen hervorzugehen, um rechtzeitig an der nächsten Erholung teilzunehmen. Dazu müssen die Zielkonflikte zwischen knappen Ressourcen und erforderlichen Investitionen auf die richtige Weise aufgelöst werden. Es wird darum gehen, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren und vor allem in digitale Automatisierung zu investieren. Es ist klar, dass dafür die richtigen Mitarbeiter zu finden sind. Um für diese Herausforderungen die richtigen Entscheidungen z.B. durch eine Investitionsrechnung vorzubereiten und schließlich zu treffen, müssen wir uns auch ansehen, wie wir in einem wirtschaftlichen Umfeld überhaupt zu Entscheidungen kommen.

Wie wir Entscheidungen treffen

Es sagt sich so leicht, dass Entscheidungen immer unter Unsicherheit getroffen werden. Das ist auch richtig, aber um entscheiden zu können, müssen wir wenigstens von einer Annahme über die Zukunft ausgehen, sonst ist die Entscheidung beliebig. Annahmen über die Zukunft entwickeln wir in Form von Prognosen. Was zukünftig geschieht, wissen wir aber nicht. Wir haben lediglich Erfahrungen, dass vieles, was wir entscheiden, round about and so far zukünftig eintritt (Priddat 2016). In sozialen und wirtschaftlichen Kontexten sind Prognosen darüber hinaus besonders schwierig, weil die Prognose ihre eigene Basis verändert, sobald sie bekannt wird. So ist überhaupt nicht ausgemacht, dass das, was wir als gegenwärtige Zukunft entwerfen, mit der zukünftigen Gegenwart übereinstimmen wird.

Eine Fiktion des Wahrscheinlichen

Wenn sich aber Entscheidungen (in einem engen Sinn) rational nicht auf Prognosen stützen können, dann bleibt nur, Entscheidungskontexte auf der Basis von Annahmen und Notwendigkeitskonstruktionen zu entwerfen, die das prinzipiell Unbegründbare begründen lassen (Esposito 2010). Die Prognose wird auf diese Weise nicht als bestimmbares Ereignis, sondern als Fiktion des Wahrscheinlichen zur Grundlage einer gemeinschaftlichen Erzählung.

Diese Erzählung dient als Ersatz für eine gemeinschaftliche Erfahrung, die für die Zukunft ja nicht vorliegt. Erst über diesen Ersatz wagt man sich, in die Zukunft zu entscheiden. Sie gewinnt über das Wahrscheinliche die Form einer plausiblen Erzählung/Fiktion (Priddat 2016). Und in der Plausibilität haben wir eine Art von Versicherung, richtig zu handeln, ohne genau zu wissen, ob oder wie. Diese Versicherung ist die der Anschlussfähigkeit der Handlung, nicht aber die, das beste Ergebnis prognostiziert zu haben (Priddat 2016).

Zwei Ebenen einer Entscheidung

Aufgrund dieser Verhältnisse findet eine Entscheidung auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Sie hat eine taktische und eine soziale Ebene.

Die taktische Ebene einer Entscheidung

Auf der taktischen Ebene geht es darum, handlungsfähig zu bleiben. Die Regel lautet: Entscheide also immer so, dass du, wenn nicht eintritt, was du erwartet hast, nicht handlungsunfähig wirst. Dazu ist es notwendig, in Alternativen zu denken, und ein Handlungsprogramm für jede mögliche Zukunft zu haben. Auf diese Weise entsteht ein Möglichkeitsraum, innerhalb dessen reaktions- und adaptionsfähig disponiert werden kann. Eine Zukunft, die anders als erwartet eintritt, ist damit kein Unglück, sondern die Möglichkeit, anders zu handeln.

Die soziale Ebene einer Entscheidung

Auf der sozialen Ebene wird das Narrativ des möglichen Entscheidungsraums verwendet. Dabei geht es nicht um die Bestimmtheit der Prognose, sondern um eine gemeinschaftliche Sicherheit. Wenn die Erzählung über zukünftige Ereignisse und ihre Wirkzusammenhänge plausibel erscheint und gemeinschaftlich geteilt wird, dann entsteht eine Vertrauensarena. In dieser traut man sich, zu entscheiden und in ihr werden weitere Entscheidungen Anschluss finden. Entscheider werden durch die gemeinschaftliche Vorstellung der Zukunft motiviert und organisieren ihre Handlungen auf ihrer Grundlage. Da die Vorstellungen von Zukunft nicht strikt an die empirische Realität gebunden sind, ist Fiktionalität auch eine Quelle der Kreativität (Beckert 2011).

Was ist zu tun?

Mir geht es hier hauptsächlich um die Entscheidungsvorbereitung der Unternehmenssteuerung. Ich habe die Bedeutung einer möglichst breit getragenen Erzählung herausgestellt. Mit den aktuellen Herausforderungen schrumpfender Horizonte, knapper Mittel und dem Anwendungsdruck vorhandenen Automatisierungspotenzials müssen vor allem unsere Erzählungen umgehen können. Um der Erzählung diese Fähigkeit zu verleihen, muss eine gute Entscheidungsvorbereitung gleichzeitig

  • mit spitzem Bleistift rechnen,
  • eigenes Automatisierungspotenzial nutzen (schnell sein) und sich dabei gleichzeitig auf neue Fragestellungen einstellen können (anpassungsfähig sein),
  • als Basis für die Erzählungen und das Selbstbild des Unternehmens funktionieren und
  • sich von unerwarteten Entwicklungen nicht überraschen lassen.
Technik optimieren

Für die taktische Ebene von Entscheidungen, den eher technischen Aspekten, heißt das in der Entscheidungsvorbereitung, alle fortschrittlichen Mittel dort einzusetzen, wo sie nützlich sind, gleichzeitig aber sich auch selbst zum Thema zu machen. Wieviel Automatisierung steht der Anpassungsfähigkeit entgegen? Wie viele, oder welche Kennzahlen helfen wirklich bei der Entscheidung? Darüber hinaus muss eventuell der Blickwinkel erweitert werden. Der Blick auf Veränderung und Chance mit Hilfe von Simulation und Backtesting ist einem mechanistischen Weltbild sicherlich überlegen.

Transparenz und Klarheit schaffen

Die Übertragung der taktischen Entscheidungsvorbereitung auf die soziale Ebene erfordert vor allem Transparenz und Klarheit. Es muss nachvollziehbar sein, was man misst und woher die Entscheidungsempfehlung kommt. Nur so kann ein Außenstehender die Schlussfolgerungen annehmen und bei Bedarf anpassen. Diese Forderung stellt hohe Anforderungen z.B. an die Begründung mathematischer Modelle oder noch mehr an den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Für die Steuerung eines Unternehmens ist vor allem die Erzählung handlungsleitend. Ist sie anschlussfähig und vertrauensstiftend, dann schafft sie Zuversicht und eröffnet die gewünschten Möglichkeitsräume.

Verweise

Beckert, J. (2011): Imagined Futures: Fictionality in Economic Action, Verweis aus Priddat 2016

Esposito, Elena (2010): Die Zukunft des Futures, Die Zeit des Geldes in Finanzwelt und Gesellschaft

Priddat, Birger P (2016): Erwartung, Prognose, Fiktion, Narration, Zur Epistemologie des Futurs in der Ökonomie: Wie Wahrscheinlich ist das Wahrscheinliche? Prognose als plausible Narratio

Nachhaltige Steuerung

Nachhaltige Steuerung

Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Steuerung von Unternehmen

Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen

Nachhaltigkeit ist bei der Steuerung von Unternehmen keine neue Anforderung. In der aktuellen Debatte bekommt der Begriff aber eine veränderte Bedeutung. Statt lediglich das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens zu betrachten, geht es nun auch darum, soziale und ökologische Belange zu berücksichtigen. Für die Bundesregierung z.B. bedeutet diese Forderung, gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen gerecht zu werden. Dafür bedürfe es einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung (siehe Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Weiterentwicklung 2021).


Reaktion auf eine wahrgenommene Selbstgefährdung

In die Aufmerksamkeit gerückt

Das Thema umfassender Nachhaltigkeit ist in unsere Aufmerksamkeit gerückt, weil uns Spannungen zwischen funktionaler Differenzierung und sozialer Ungleichheit sowie ökologische Bedrohungen zunehmend sichtbar werden. Es fordert uns zum Handeln, weil wir seine Bedrohungen nicht mehr als unabwendbare Gefahren, sondern als gestaltbare Risiken verstehen. Gefahren wandeln sich in Risiken, wenn erkennbar wird, wie ein Schaden durch eigenes Handeln abgewendet werden kann. Wenn Schäden vermeidbar werden, dann erscheinen sie als selbst verschuldet und die mangelnde Abwehr als Selbstgefährdung. Die Last der Selbstverschuldung treibt uns zur Suche nach Orientierung und zum Handeln.


Gefahr und Risiko

Gefahr

Schäden sind aus der Umwelt zu erwarten – sie sind nicht beeinflussbar

 

Nachhaltigkeit

Die Debatte ist eine Reaktion auf eine wahrgenommene Selbstgefährdung

Risiko

Schäden, die über systemeigene Entscheidungen vermieden werden können

Aus der Gestaltbarkeit von Risiken ergibt sich eine Last der Selbstverschuldung


Verantwortung für das Unternehmen und seine Umwelt

Eine neue Sicht nach Außen

Bei der Steuerung von Unternehmen geht es zunächst einmal um das Unternehmen selbst. Die Basis für alle Überlegungen zur Nachhaltigkeit ist deshalb seine Überlebensfähigkeit. Das entspricht dem klassischen nach innen gerichteten Blick. Neu an der Nachhaltigkeitsdebatte ist, dass sie ebenso einen Blick auf Nachhaltigkeitsthemen außerhalb des eigenen Unternehmens einfordert.

In der Nachhaltigkeitsdebatte geht es um die Bereiche Wirtschaft, Ökologie und Soziales. Anders oder zumindest stärker als in der Vergangenheit wird in allen Bereichen die Übernahme von Verantwortung eingefordert. Bei der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit z.B. geht es nicht mehr nur darum, dass das Unternehmen für sich selbst wirtschaftlich arbeitet.


Nachhaltigkeitsbereiche

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Finanzielle Stabilität (Faire Erträge, Risikobewusstsein, dauerhafte Beschäftigung, Verlässlichkeit)

Ökologische Nachhaltigkeit

Begrenzung des Verbrauchs von ökologischen Ressourcen (Klima- und Umweltschutz, nachhaltiger Konsum)

Soziale Nachhaltigkeit

Verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Ressourcen (Gesundheit, Bildung, Gleichberechtigung, Partnerschaft)


Neue Erwartungen

Es wird zusätzlich erwartet, dass ein Unternehmen seinen Beitrag als Partner für Andere anerkennt und aus diesem Grund für Stabilität und Verlässlichkeit sorgt. Das gilt ähnlich für die beiden anderen Nachhaltigkeitsbereiche. Das Unternehmen soll sein eigenes Handeln beobachten und Rückwirkungen auf sich selbst und seine Umwelt reflektieren.

Dieser Ansatz rückt die Erwartungen der Stakeholder des Unternehmens ins Bild. Die nächste Grafik zeigt mögliche Erwartungen.


Stakeholder: Erwartungen an Unternehmen

Kunden

B2B: nachhaltige Lieferkette, Effizienz

B2C: politische Präferenzen, Kosten-Nutzen-Erwartung

Mitarbeiter

Übereinstimmung von Zielen und Werten, Gesundheit, Bildung, Partnerschaft

Regulierung, Behörden
& Medien

Stellvertretende Interessenwalter

Investoren / Kapitalmarkt

Finanzierungskonditionen, Erwartung besserer Ergebnisse, politische Präferenzen

Lieferanten

Reputation, dauerhafte Kundenbeziehung


Erwartungen in Einklang bringen

Die Gestaltung eines Geschäftsmodells kann man als den Versuch verstehen, die Erwartungen der Stakeholder so miteinander in Einklang zu bringen, dass ein lebensfähiges System ‚Unternehmen‘ entsteht. Wenn sich die Erwartungen der Stakeholder wesentlich ändern, steht folglich eine Überarbeitung des Geschäftsmodells an.

Leider sind Veränderungen von Erwartungen nicht unbedingt immer klar zu benennen. Wir erleben z.B., dass Forderungen nach klimaschonenden Produkten erhoben werden, das Kaufverhalten von Kunden dem aber nicht unbedingt folgt.

Ein schrittweiser Prozess

Es wird daher so sein, dass die Veränderung von Geschäftsmodellen eher ein schrittweiser Prozess sein wird, der von Unsicherheiten begleitet ist. Diese Unsicherheit ist eine besondere Herausforderung für die Steuerungsprozesse des Unternehmens. Sie müssen sich auf mehrfach verändernde Anforderungen und die Anpassung von Maßnahmen einstellen und brauchen dafür anpassungsfähige Strukturen.


Unternehmenssteuerung auf Nachhaltigkeit anpassen

Das klassische Steuerungsmodell basiert auf einem Zyklus aus Zielen, Maßnahmen und Beobachtung. Aus einer systemischen Perspektive erweitere ich das Modell um ein paar Aspekte (siehe Grafik – weitere Informationen finden Sie in dem Beitrag „Ein Unternehmen ist keine Maschine„).


Nachhaltige Steuerung

Zukunft / Vision

Ziele, Entscheidung für eine mögliche Zukunft

Bewegungsentwurf

Basierend auf einer aus Erfahrung gebauten Ursachenkarte

Aufmerksamkeit (Fokus)

Selektion – Entscheidungen mit dem Ziel, weiterhin anschlussfähig zu sein

Beobachtung

Tatsächlich erzielte Ergebnisse, gesehen wird nur, was beobachtet wird

Nachhaltige Steuerung
Reflexion

Abweichungen – Rückschlüsse, wie sich das Unternehmen verhalten wird

Erzählung

Die imaginierte Zukunft – Sinn und Verhalten des Unternehmens


Entscheidung für eine Zukunft

Mit der Vision einer Zukunft entscheidet sich das Unternehmen für eine von ihm selbst für möglich gehaltene Zukunft. Diese Vision besteht aus verschiedenen Komponenten, beinhaltet aber immer eine Art von Erzählung, die das Verhalten des Unternehmens auf bestimmte Tätigkeiten einschränken und ihm so einen Sinn gibt.

Bewegungsentwurf und Fokussierung der Aufmerksamkeit

In einer operativen Detaillierung wird daraus ein Bewegungsentwurf, der für alle Beteiligten den Rahmen weiterer Entscheidungen und Handlungen für einen Zeitraum in der Zukunft festlegt. Er basiert auf einer aus Erfahrung gebauten Ursachenkarte und verbindet Zielsetzungen mit den Fähigkeiten des Unternehmens. Gleichzeitig wird der Fokus der Aufmerksamkeit im Unternehmen auf diejenigen Sachverhalte gelenkt, die den Bewegungsentwurf bestimmen: Ziele, Einflussfaktoren, Fähigkeiten.

Beobachtung und Reflexion

Während der Tätigkeit des Unternehmens – meist zu bestimmten Zeitpunkten – werden die Ergebnisse der Handlungen beobachtet und mit dem Bewegungsentwurf verglichen. Abweichungen von den erwarteten Ergebnissen führen zu einem aktualisierten Bild, das sich das Unternehmen von sich selbst und seiner Umwelt macht.

Anpassung des Selbstbildes als Steuerungsleistung

Das Bild soll möglichst zutreffende Rückschlüsse darauf erlauben, wie sich das Unternehmen zukünftig verhalten wird. Die Anpassung des Bildes und seiner Operationalisierung im Bewegungsentwurf führen in der Folge zu anderen Entscheidungen und begründen so die erfolgreiche Steuerung des Unternehmens.

Die veränderten Erwartungen der Stakeholder aus der Nachhaltigkeitsdebatte bilden die Grundlage für die Überarbeitung des Selbstverständnisses des Unternehmens. Es entscheidet sich möglicherweise für eine andere Version der Zukunft und lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Sachverhalte. Die Anpassung der Steuerung auf Nachhaltigkeit besteht also im Kern in der Überarbeitung des Geschäftsmodells. Änderungen im Controlling folgen daraus.


Die Verbesserung der Reflexionsfähigkeit

Autonomie und Legitimität fremder Logiken anerkennen

Im Grundsatz werden die neuen Anforderungen der Nachhaltigkeit damit nicht anders verarbeitet als frühere Anforderungen auch. Eines ist ungeachtet der Ähnlichkeit jedoch anders. Bei seinen Handlungen soll das Unternehmen viel mehr als früher fremde Logiken in sein eigenes Operieren mit einrechnen. Dafür muss es Autonomie und Legitimität fremder Systeme als Grundlage der systemeigenen Routinen anerkennen. Klar ist, eindimensionale Versuche, die Welt zu ordnen und somit unveränderliche Priorität für das eigene Handeln abzuleiten, sind nicht mehr möglich. Es ist unvermeidbar, fremde Logiken in die Planung von Handlungen des Unternehmens mit einzubeziehen.


Potenziale der Steuerung

Reflexionssteigerung

Soziale, ökologische und wirtschaftliche Gefährdungen registrieren

Potenzial

Selbstbeobachtungen den Umweltbeobachtungen gegenüberstellen

Folgen und Reaktionen auf eigenes Operieren einbeziehen

Mögliche Zustände vergleichen und Handlungen auswählen


Vorhersagen werden schwieriger

Mit der Einbeziehung fremder Logiken wird die Planung und vor allem die sichere Vorhersage von Handlungsabläufen des eigenen Unternehmens erheblich schwieriger. Vorhersagen eines Planungsmodells sind nicht sicher. Es ist deshalb oft sinnvoll, mögliche Abweichungen vom Verlauf als erwartete Schwankungen gleich in den Bewegungsentwurf aufzunehmen. Eine Planung, die also verschiedene Steuerungskapazitäten und Kontexte verbinden will, sollte als Entscheidungsunterstützung aktiv Zukunftsszenarien modellieren.

Folgen von Handlungen durch Simulationen erkennen

Das Ziel solcher Simulationen besteht zugleich darin, die Reaktionen von Geschäftspartnern mit den eigenen Handlungen zu verbinden. Mit ihrer Hilfe lassen sich mögliche Zustände vergleichen und Handlungen bewerten. Unter Berücksichtigung der eigenen Ziele, z.B. in Bezug auf die finanzielle Stabilität oder die Verlässlichkeit von Lieferketten, kann ein passender Bewegungsentwurf für das weitere Agieren ausgewählt werden.


Fazit

Reflexionsfähigkeit verbessern

Es stellt hohe Anforderungen an die Reflexionsfähigkeit der Unternehmen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Mit dem Aufbau geeigneter Reflexionsflächen kann es gelingen, Folgewirkungen eigener Handlungen transparent und die Bedingtheit gegenseitiger Aktionen greifbar zu machen. Wie schaffen wir also diese Reflexionsflächen?

Umgang mit Komplexität

Wir müssen unsere Fähigkeit verbessern, mit Komplexität umzugehen. Komplexe Themen sind dabei nicht einfach nur kompliziert. Komplex bedeutet, dass sie sich einer Beschreibung grundsätzlich entziehen und Teile kontingent – d.h. nicht vorhersehbar – bleiben werden. Für den Umgang mit Unvorhergesehenem braucht es vor allem Anpassungsfähigkeit. In dem Beitrag „Flexibilität mit Services erreichen“ beschreibe ich, wie das erreicht werden könnte.

Simulation mit anpassungsfähigen Modellen

Wir müssen lernen, unsere Handlungsabläufe in Szenarien zu simulieren. Dazu gehört es, Modelle zu entwerfen, die die richtige Balance zwischen kompliziert und verständlich finden. Und es gehört dazu, für Struktur und Parameter der Modelle ein effektives Backtesting einzusetzen (siehe hierzu auch „Entspannter mit Backtesting?„). Auf diese Weise lernen auch die Modelle mit Veränderungen umzugehen.

Ergebnisse, die Identifikation erlauben

Wir müssen die Ergebnisse so erklären, dass sie nachvollziehbar sind und Identifikation erlauben. Erzählungen beinhalten durch die in ihnen enthaltene Reduktion ein schöpferisches Moment. Sie erlauben Aufmerksamkeit und Anteilnahme, weil die Sprache als kontingentes Medium die Kontingenz des Gegenstandes aufnehmen kann.

Suche nach zukunftsfähigen Steuerungskonzepten

Die Nachhaltigkeitsdebatte ist damit aber auch eine Suche nach wirksamen pluralen Steuerungskonzepten. Sie versucht nicht funktionale Differenzierung zu reduzieren, sondern auf Selbststeuerung umzuorientieren. Wenn es gelingt, kann sie dadurch auch eine Verbesserung des Reflexionsvermögens von Sozialzusammenhängen unterstützen.

Begeben wir uns also auf die Suche nach Steuerungskonzepten, die auch in Zukunft in einer freien und multipolaren Welt funktionieren. Dies könnte eine Aufgabe sein, die weit über die Steuerung von Unternehmen hinausreicht.

Gerne diskutiere ich Details oder erkläre, was nicht klar genug geworden ist. Sprechen Sie mich einfach an, wenn Sie Anregungen oder Fragen haben.

Frank Pieper
Mail: frank@fp-consulting.org
Tel.: +49-160 5438306

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Flexibilität mit Services erreichen

Flexibilität mit Services erreichen

Wie können wir flexiblere Informationssystem schaffen? Wir brauchen sie gerade bei der Steuerung, um mit den Anforderungen mitzuhalten. Meist sind hoch integrierte Funktionssysteme auch im Controlling relativ starr. Behindern sie dann vielleicht eine kreativ-lernende Organisation?

Auf dem Weg zur kreativ-lernenden Organisation

In seiner Arbeit „Selbstorganisation und Gestaltung informationeller Systeme in sozialer Ordnung“ stellt Klaus Fuchs-Kittowski heraus, was erforderlich ist, damit Informationssysteme kreativ-lernende Organisationen nicht behindern, sondern möglichst befördern. Controlling- und Steuerungssysteme erscheinen zwar oft als technische Einrichtungen, letztlich operieren sie aber in einer sozial verankerten Umgebung. Klaus Fuchs-Kittowski hebt diese Unterscheidung hervor:

„Wichtig wird dafür die Unterscheidung zwischen maschineller (syntaktischer) und menschlicher (semantischer) Informationsverarbeitung, zwischen Speicher und Gedächtnis, zwischen Informationsverarbeitung und Erzeugung von Information und Wissen.“

Ich fasse den Text nur sehr knapp zusammen und versuche die Forderungen, die ich aus der Arbeit herauslese, auf die konkrete Design-Strategie von Services zu übertragen.


Selbstorganisation und Gestaltung informationeller Systeme

Klaus Fuchs-Kittowski (Link zu Wikipedia), in Selbstorganisation in Wissenschaft und Technik, Wissenschaftsforschung Jahrbuch 2008, Werner Ebeling, Heinrich Parthey (Herausgeber), Berlin, 2009

Mechanistisches Weltbild überwinden

Klaus Fuchs-Kittkowski schreibt in seinem Beitrag, wir müssten unser mechanistisches Weltbild überwinden. Auf diese Weise könnten wir unsere Systeme einer flexiblen Arbeitsweise anpassen. Informationssysteme sind nämlich kein Abbild der realen Welt oder des realen Arbeitsgeschehens. Sie sind stattdessen Teil einer von Akteuren konstruierten Welt. Sie tragen genauer gesagt dazu bei, neue Bedeutungen und Werte zu schaffen.

Offene Entwicklungsprozesse und autonome Tätigkeiten

Die Gestaltung von Informationssystemen sollte folglich zuerst vom Nutzerverhalten ausgehen und mit der Arbeitsgestaltung beginnen. Es empfiehlt sich, die Aufgabe ganzheitlich zu betrachten und eine Lösung mit möglichst autonomer Tätigkeit zu erreichen. Es geht um einen offenen Entwicklungsprozess und eine vorwiegend evolutionäre Systemgestaltung.

Anpassungsfähige Strukturen

Modulare, vernetzte, virtuelle Organisationen benötigen Informationssysteme mit anpassungsfähigen Strukturen. Solche Strukturen sind wichtig, weil diese Organisationen in unserer sozialen Umwelt mit großer Komplexität umgehen. Bei der Modellierung von Arbeitsprozessen steht das Ziel, Komplexität zu reduzieren, im Mittelpunkt. Befreien wir zusätzlich die Prozesse aus ihrem Kontext, so werden sie ohne die Abhängigkeit von ihrem Kontext universeller einsetzbar. Wir können sie in der Folge in neuen Konstellationen einsetzen.

Kooperativer Lernprozess: für, mit und durch den Nutzer gestaltet

Lösungsansatz mit Services

Ich übertrage diese Gedanken im nächsten Schritt auf die Design-Strategie von Services.

Unabhängig vom konkreten Anwendungsfall

Service-Design beruht hauptsächlich auf der Idee, Arbeitsprozesse unabhängig von ihrem Kontext zu machen. Die Idee der Kapselung will einen Service in seinem Innern möglichst autonom arbeiten zu lassen. Darüber hinaus wollen wir einen Service in verschiedenen Konstellationen einsetzen können. Um diese Freiheit zu erhalten, muss sich der Service von seinem Kontext lösen. Die Loslösung erreicht man wiederum, wenn man ihn allgemeiner als nötig spezifiziert. Der konkrete Anwendungsfall wird dadurch zu einem Spezialfall in einer ganzen Klasse von Aufgabenstellungen.

Selbständige Weiterentwicklung

Als allgemein spezifizierte Lösung ist der Service im weiteren Verlauf flexibler. Er kann jetzt auch andere, ähnliche Aufgaben erledigen. In seinem allgemeinen Rahmen wird er als Lösungskonzept eigenständig. Er hat die Möglichkeit sich selbst zu steuern. Bei Bedarf entwickelt er sich weiter und verfolgt, wo dies geht, eine eigene Entwicklungsstrategie. Das Konzept der Kapselung reduziert darüber hinaus Abhängigkeiten zu Servicenutzern und Serviceprovidern. Der Service muss lediglich abwärtskompatibel bleiben, um Nutzer weiter zu bedienen und Leistungen von Lieferanten annehmen zu können.

Mehr Informationen über die Grundidee hinter der Service-Orientierung finden Sie in dem Beitrag: Was mache ich hier eigentlich? Services!

Dem Service einen allgemeinen Rahmen geben
Große Ähnlichkeit der Ideen

Die allem anderen vorausgehende Übereinstimmung finden die Forderungen von Klaus Fuchs-Kittowski und das Service-Paradigma in der relativen Autonomie von Services. Erst sie erlaubt offene Entwicklungsprozesse und autonome Tätigkeiten. Die Fähigkeit eines Services, sich in dem ihm gegebenen Rahmen selbständig weiterzuentwickeln, verschafft einem auf Services basierenden Lösungskonzept große Anpassungsfähigkeit. Services können nämlich individuell reagieren, ohne dass der Gesamtzusammenhang der Lösung neugestaltet werden muss. Damit haben wir eine allzu mechanistische Vorstellung von Lösungswegen aber bereits auch schon verlassen. Die Weiterentwicklung von Strukturen ist nicht mehr nur von einem Punkt aus zu bestimmen. Dafür entlastet es die Struktur von übergroßer Kompliziertheit.


Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Dieses Vorgehen beim Design von Informationssystemen führt in der Regel zu sehr flexiblen und skalierbaren Lösungen. Ich will aber nicht verbergen, dass auch Nachteile entstehen:

1. Wenn Performance statt Flexibilität im Vordergrund steht

In einem Umfeld, in dem es mehr auf Performance als auf Flexibilität ankommt, ist die Autonomie von Services meist fehl am Platz. Das liegt daran, dass in performance-optimierten Systemen die Gestaltung der Kommunikation zwischen Arbeitsprozessen oft besonders wichtig ist. Folglich sind Kapselung und eine allgemeingültige Formulierung von Schnittstellen in einem solchen Fall oft nachteilig.

2. Wir schlagen mit dem Design vermeintlich einen Umweg ein

Analysten und Entwickler verstehen manchmal nicht, warum man nicht einfach die Anforderungen des Kunden aufnimmt. Dieser Punkt ist selbstverständlich ein berechtigter Einwand. Das Design mit seinem allgemeinen Anspruch erscheint tatsächlich manchmal als Umweg. Darüber hinaus muss auch noch der Spezialfall der konkreten Aufgabe kodiert werden. Den Umweg kann man folglich nur dann einschlagen, wenn er sich später auszahlen wird und der Auftraggeber ihn akzeptiert.


Fazit
Es gibt noch etwas zu tun

Service-Strukturen schaffen Informationslösungen, die sich in einem komplexen Umfeld schneller und zielorientierter an neue Anforderungen anpassen können. Sie sind aber auch nicht immer geeignet. Wenn die Aufgabenstellung beispielsweise einfach ist, oder mit großen Performance-Anforderungen daherkommt, dann ist es meist besser, auf eine integrierte, auf Effizienz ausgerichtete Lösung zu setzen.

In allen Fällen aber, in denen Zukunftserwartungen vage bleiben, wo mit Veränderungen gerechnet werden muss, oder wo sich Anforderungen schnell und überraschend ändern, ist der Service-Gedanke eine vielversprechende Strategie. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass aber gerade diese Szenarien häufiger werden. Das sollte ein Anreiz sein, sich mit den Ideen zur Komplexitätsbewältigung – z.B. dem Service-Paradigma – auseinander zu setzen.

Ich werde an dieser Stelle noch ein Beispiel für eine Service-Lösung anfügen.

Sprechen Sie mich jedoch einfach an, wenn Sie Fragen haben.

Frank Pieper
Mail: frank@fp-consulting.org
Tel.: +49-160 5438306

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Entspannter mit Backtesting?

Entspannter mit Backtesting?

Backtesting – Prüfen, ob die Steuerung greift

Backtesting – technisch und narrativ

Ein allgemeiner Rahmen

Backtesting klingt zunächst sehr technisch. Unabhängig davon ist es ein ganz natürlicher Vorgang und eng mit dem Lernen an sich verbunden. In einem Controlling-Umfeld überwiegen hingegen zunächst die technischen Aspekte. Aus diesem Grund kläre ich sie zuerst. Ich vergesse im Anschluss nicht die Rückbindung des technischen Prozesses in das Selbstverständnis der Organisation.

Mit diesem Beitrag geht es mir – so wie in den meisten anderen – um einen allgemeinen Rahmen, in den sich verschiedene Konzepte und Anforderungen einordnen lassen. Aus diesem Grund spreche ich manchmal von Unternehmen, Organisationen oder allgemein dem System. Gemeint ist in jedem Fall das gleiche. Ich übertrage die Begriffe einfach auf verschieden Größenordnungen von Aufgaben. Im Kern werden sie alle gleichartig bearbeitet und lassen sich auf den Service-Begriff verallgemeinern.

Fangen wir dementsprechend an.

Was ist Backtesting?

Wikipedia bezeichnet als „Backtesting […] den Prozess, eine Strategie, Theorie oder ein Modell zu evaluieren…“ (siehe „Backtesting“). Diese allgemeine Beschreibung hilf uns in unserem Zusammenhang. Die Steuerung von Unternehmungen beruht nämlich darauf, die Aufmerksamkeit auf die sinnvoll erscheinenden Aspekte zu lenken. Zu diesem Zweck stellt ein Bewegungsentwurf diejenigen Aspekte heraus, die für die Arbeit des Unternehmens wichtig erscheinen. Der Bewegungsentwurf bleibt aus dem Grund ein gedankliches Modell, weil es sich auf die Zukunft bezieht. Folglich sollten wir das Modell laufend daraufhin überprüfen, ob wir es noch als eine angemessene Entscheidung über die Zukunft behalten wollen.

Backtesting im Controlling

Ein Bewegungsentwurf ist meist ein technisches Modell

Der Bewegungsentwurf eines Unternehmens kann nützliche Dienste leisten, wenn er sich auf ein technisches Modell der Arbeitsabläufe stützt. Wir stellen uns einfach vor, wir hätten eine Maschine vor uns, die wir steuern wollen. Das Modell erlaubt uns Rückschlüsse darauf, wie sich das Unternehmen verhalten wird. Diese Rückschlüsse sind nachvollziehbar und ohne Umstände für eine Erklärung geeignet. Wir unterstellen dabei entgegen besseren Wissens, dass wir das Unternehmen von außen beeinflussen können. Diesen Mangel beheben wir anschließend wieder, indem wir das technische Modell in der Kommunikation lediglich als Basis für unsere Erzählung nutzen.

Operatives Controlling – Basis: Bewegungsentwurf

Weitere Details können Sie in dem Beitrag „Ein Unternehmen ist keine Maschine“ nachlese.

Auf ein technisches Modell können wir mathematische Verfahren anwenden
Technische Modelle helfen beim Bewegungsentwurf

Mit einem technischen Modell möchte man möglichst realistische Vorhersagen machen, damit die daraus abgeleitete Steuerung wirksam ist. Das hat zwei interessante Aspekte.

1. Die Vorhersagen des Modells sind nicht sicher

Als erstes soll der Bewegungsentwurf, der in dem Modell enthalten ist, für die Nutzer des Modells nachvollziehbar sein. Die mathematische Formulierung hat für die Eindeutigkeit überzeugende Vorteile. Die Mathematik beseitigt nämlich die Ambivalenz, die in sprachlichen Formulierungen enthalten bleibt. Das vermindert die Unsicherheit des gemeinschaftlichen Entwurfs, erhöht aber die Gefahr der übermäßigen Festlegung. Es ist deshalb oft sinnvoll, mögliche Abweichungen vom Verlauf als erwartete Schwankungen gleich in den Bewegungsentwurf aufzunehmen. Die Schwankungen sind vor allem für das Risikomanagement interessant.

2. Ökonomische Vorhersagen entziehen sich manchmal selbst die Basis

In der Ökonomie sind Vorhersagen besonders schwierig. Das liegt daran, dass eine Vorhersage das Verhalten der Mitspieler beeinflusst und damit in den meisten Fällen ihre eigene Basis verändert. Anders als in einem technischen Umfeld sind Vorhersagen in der Ökonomie daher besonders unsicher. Parameter, die für eine Weile gültig waren, können schnell wieder unbrauchbar werden. Gerade wenn sich Märkte schnell verändern, ist es wichtig, die Annahmen eines Modells in angemessenen Abständen zu überprüfen.

Die beiden Aspekte zeigen leider, dass es mit einem Modell schnell kompliziert wird. Einfachheit ist dagegen auch ein Wert. Ein einfaches Modell ist leichter verständlich und kann schneller analysiert werden. Mit der Einfachheit steigt dagegen ebenfalls die Gefahr, dass das Modell falsche Vorhersagen macht. Wir sollten das Modell in diesem Fall häufiger validieren.

Wie läuft der Prozess der Evaluierung praktisch ab?

Der Ablauf eines Backtesting-Prozesses wird am besten als sich wiederholender Kreislauf aufgefasst. Man kann den Kreislauf in 3 Teile aufteilen:

1. Erstschätzung und Normierung

Zusammen mit einer ersten Schätzung legt man gewöhnlich schon zu Beginn fest, welche Qualitätsanforderungen an die Schätzung von Parametern gestellt werden. Sie hängen davon ab, wie veränderlich das Modell ist und welchen Einfluss Fehleinschätzungen haben. Die Anforderungen vereinbart man mit denjenigen, die an der Steuerung beteiligt sind.

Bewegungsentwurf erstellen und Ergebnisse der Arbeit beobachten
2. Verwendung und Beobachtung

Im nächsten Schritt verwendet man das Modell zur Vorhersage. Man beobachtet das Verhalten des Systems und vergleicht die Vorhersage mit den Ergebnissen. Die Ursachen für mögliche Abweichungen findet man entweder darin, dass sich externe Parameter nicht wie erwartet entwickelt haben, oder dass sich das System anders als erwartet verhalten hat. Diese Fälle geben Anlass für eine erneute Schätzung der Verhaltensparameter. Begründet sich die Abweichung durch externe Daten, die sich anders entwickelt haben, lässt sich der ursprüngliche Bewegungsentwurf mit diesen Daten erneut rechnen. Die Beurteilung von Abweichungen ist mit dieser Neuberechnung dann wieder möglich.

3. Neuschätzung und Hypothesentest

Eine Neuschätzung der Verhaltensparameter wird mit den Daten durchgeführt, die man aus der aktuellen Beobachtung erhalten hat. Wenn es zu einer Abweichung kommt, prüft man die Hypothese, dass die Abweichung zufällig aufgetreten ist. Für diese Prüfung steht ein umfangreicher Vorrat an statistischen Verfahren zur Verfügung. Wenn der Zufall die Abweichungen nicht erklären kann, dann muss das Verhalten des Systems tatsächlich anders eingeschätzt werden. Man passt daraufhin die Parameter für die Verwendung in der nächsten Vorhersage an die neueren Daten an.

Daten auswerten und Hypothesen testen

Nach dieser Darstellung ist es beim Backtesting entscheidend, eine Veränderung des Systemverhaltens überhaupt wahrnehmen zu können. Der Kreislauf der Parameterschätzung, Abweichungsanalyse und Neuschätzung ist in einigen Fällen trotz der Wichtigkeit zu schwerfällig. Beobachtung, Interpretation und Hypothesentest fallen in diesen Fällen zeitlich übermäßig weit auseinander. Dem entsprechend kann das Systemverhalten als Teil eines anderen Lösungsweges direkt beobachtet werden. Bei diesem Vorgehen achtet man in der Folge besonders gründlich auf Ausreißer, sowie Trend- und Varianzveränderungen. Auch für diese Art der Beobachtung stehen statistische Mittel zur Verfügung.

Mathematisch- statistische Verfahren

 

  • Parameter-Schätzungen, z.B. Mittelwert und Standardabweichung
  • Anpassungstests, z.B. Prüfung auf Normalverteilung
  • Konfidenzintervalle für Mittelwert und Standardabweichung
  • Prognose- und Toleranzintervalle
  • Prognosekorridore
  • Konfidenzbereiche für die Differenz von Mittelwert und Standardabweichung
  • Test der Differenz von Mittelwert und Standardabweichung

An dieser Stelle lassen sich mathematische Verfahren und Verfahren der künstlichen Intelligenz anwenden. Mit ihnen lassen sich Muster erkennen und Vorstellungen präzisieren.

Um die Verfahren zu beschreiben ist noch etwas zu tun.
Ich muss noch mal in meine Bücher schauen.

Wenn Sie ein gutes, praktisches Beispiel zum Backtesting lesen wollen, dann können Sie bei der Commerzbank schauen. In ihrem Ratgeber empfiehlt sie das Backtesting für eine Handels-Strategie „Was ist Backtesting und warum ist es wichtig?„.

Rückbindung in das Selbstverständnis der Organisation

Es geht auch ohne mathematische Modelle

Die Rückbindung in das Selbstverständnis der Organisation fällt für das Backtesting nicht schwer. Wir haben es nämlich als technischen Vorgang konzipiert, den wir auf die eher technische Komponente des Bewegungsentwurfs anwenden. Man sollte denken, über die üblichen Prozesse der Selbstvergewisserung in einem System wird der Bewegungsentwurf an sich schon wieder integriert. Müssen wir uns in diesem Fall folglich weiterhin gesondert um etwas kümmern?

An diesem Punkt sollten wir noch einmal den Fall behandeln, in dem der Entwurf der Bewegung und das Backtesting gänzlich informell ablaufen. Der Bewegungsentwurf ist dann nicht mathematisch, sondern rein sprachlich formuliert. Vielleicht ist dieser Fall nicht einmal die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel.

Rahmen und operatives Controlling
Rückbindung in die Organisation: Update des Framings.
Narratives und mathematisiertes Backtesting
Erzählungen haben im Unternehmen eine große Bedeutung

Wir können davon ausgehen, dass ein Bewegungsentwurfs mit einem anschließenden Backtesting in einer nicht formellen Variante genauso verwendet wird, wie in seiner technischen Variante. Der Bewegungsentwurf besteht in diesem Fall aus einer Erzählung an Stelle des mathematisierten Modells. Jetzt befördert die Erzählung eine gemeinsame Vorstellung von der vorgesehenen Bewegung. Indem sie mehr Kontingenz zulässt, erleichtert sie die Identifikation von Teilnehmern, die sich sonst vielleicht nicht oder nicht so schnell einigen könnten. Auf der anderen Seite bleibt die gemeinsame Vorstellung dem mathematisierten Bewegungsentwurf gegenüber weniger präzise.

Die drei Teile des Backtesting-Prozesses verlaufen ähnlich wie in einem technischen Modell. Das Systemverhalten wird diskutiert und in einer Erzählung festgehalten. Zu dieser Erzählung gehören die wesentlichen Zusammenhänge des Systemverhaltens genauso wie die Qualitätsanforderungen an die Einschätzung. Schwierige Bereiche werden bei Unsicherheit eingehender diskutiert, so dass sich das gemeinsame Verständnis genauer herausbildet. Für die Abweichungsanalyse, die Beurteilung von Zufällen und die Entscheidung für eine neue Betrachtung des Systems gilt das gleiche. Im Grunde genommen, erfolgen alle Schritte so, wie im technisch formulierten Fall. Es liegt lediglich kein präzise berechenbares Modell vor, das als Diskussionsgrundlage verwendet werden kann.

Fazit: Lasst uns erzählen, was wir machen

Diese Überlegungen führen uns zu einem wichtigen Fazit. Für das Selbstverständnis der Organisation ist es von Bedeutung, dass die erzählerische Basis mit dem Backtesting ebenso aktualisiert wird, wie das technische Modell.

Vielleicht können wir das mal diskutieren?

Mit der Diskussion der informellen Variante wollte ich zeigen, dass man für ein Backtesting kein mathematisches Modell und keine mathematischen Verfahren braucht. Alle technischen und somit präzisen Verfahren leiden hingegen unter dem Mangel, dass sie starre Ergebnisse liefern und eher von Experten verstanden werden. Diese starre Sicht verführt dazu, die berechneten Ergebnisse als gegeben zu betrachten. Starre Ergebnisse erschweren außerdem eine Konsensfindung, wenn es mehrere mögliche Auffassungen über die auszuführende Bewegung gibt.

Ich will deshalb an dieser Stelle noch einmal betonen, dass aller technischer Aufwand nur dann erfolgreich ist, wenn er in die Erzählung der Organisation zurückgebunden wird. Controller haben damit die Aufgabe, ihre Verfahren zu erklären und in Erzählungen über die Organisation zu übersetzen.

Leben wir entspannter, wenn uns das Backtesting und seine Rückbindung gelingen?

Ich denke ja. Wir aktualisieren unsere Entscheidung für eine vermutete Zukunft und vermindern das Risiko, mit dieser Entscheidung falsch zu liegen.

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Was mache ich hier eigentlich? Services!

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Die Grundidee hinter der Service-Orientierung

Bei der Service-Orientierung handelt es sich um ein gedankliches Modell. Mehr erst einmal nicht. Solche Modelle – Frames genannt – helfen uns die Welt zu verstehen. Mit ihnen verallgemeinern wir, so dass wir Gemeinsamkeiten zwischen Situationen erkennen, die wir sonst nicht sehen würden. Diese Verallgemeinerungen helfen uns dabei, uns in neuen Situationen zurecht zu finden, ohne alles von Grund auf neu lernen zu müssen.

Rahmen helfen uns dabei, uns in neuen Situationen zurecht zu finden
Einen Rahmen für ein ökonomisches Modell finden

Zu der Modellvorstellung von Services motivieren überwiegend kommunikative Überlegungen. Sie ist dabei stark ökonomisch orientiert. Einen sehr ähnlichen Ansatz finden wir z.B. in der objektorientierten Programmierung. Dieser ist an der effektiven Strukturierung von Informationen und Programmen interessiert und begründet seine Struktur an Vorgängen von handelnden Individuen, die Aufträge erledigen oder vergeben können.

Services sind eine Möglichkeit, die Tätigkeit eines Unternehmens in einzelne Bestandteile zu zerlegen.

Den Rahmen für das Modell von Services bilden drei Eigenschaften.

  • Die Eigenschaft der Kapselung besagt, dass den Außenstehenden nicht interessieren muss, wie der Service arbeitet, sondern nur, was er liefern kann. Wenn der Service mitgeteilt bekommt, was von ihm erwartet wird, erbringt er seine Leistung unabhängig vom Kontext, in dem das geschieht.
  • Ein Service ist für seine Arbeit selbst verantwortlich und er steuert sich selbst. Wie der Service also seine Leistung erbringt, ist ihm selbst überlassen, solange er die Anforderungen erfüllt. Bei bestimmten Qualitätsanforderungen kommt es dann allerdings doch darauf an, wie die Leistung erstellt wird. Das ist aber ein nachgelagerter Aspekt und mehr eine Frage der Glaubwürdigkeit.
  • Ein Service kann ganz unterschiedlich komplizierte Leistungen erbringen. Es ist möglich, eine einfache Zulieferung als Service zu betrachten. Aber auch ganze Unternehmen können als Service-Einheit gesehen werden. Ihre Leistungen sind dann oft abstrakter oder werden so beschrieben.
Der Sinn von Services

Eines der wichtigsten Motive für das Modell stammt aus der sozialen Systemtheorie. Mit der Kapselung wird auch von außen die Entscheidung für eine Komplexitätsdifferenz sichtbar, die dem Design eines Services zugrunde liegt. Damit ist eine Entscheidung für den Sinn des Services getroffen, den er in unserem Gedankenmodell erhält.

Für den Service bedeutet die Entscheidung für den Zweck, den er erfüllt, eine Reduktion von Unsicherheit. Der Zweck ist die Basis für weitere Entscheidungen. Die Entscheidung tauscht aber die Unsicherheit gegen das Risiko, falsch selektiert zu haben. Für den Designer eines Service-Modells besteht dieses Risiko darin, dem Service einen unpassenden Sinn zu geben. Ein Service-Modell kann deshalb nicht statisch sein.

Bloß keinen Un-Sinn treiben!
Die Nutzung der Idee für das Controlling

Wenn wir dieses Gedankenmodell für das Controlling nutzbar machen wollen, müssen wir es uns etwas genauer ansehen. Wir brauchen eine Vorstellung davon, wie ein Service arbeitet.

Das Modell sieht vor, dass ein Service mit seinen Kunden und Lieferanten kommuniziert

Das ganze Modell könnte also so aussehen:

  • Die Leistungen eines Services werden von außen, also von den Kunden des Services, abgerufen.

  • Ein Bewegungsentwurf bestimmt genauer, wie die Leistung erdacht wird. Er leitet die Entscheidungen, indem er mögliche alternative Wege einschränkt.

  • Die eigentliche Leistung wird erbracht, indem verschiedene Ressourcen miteinander kombiniert werden. Sie können als andere Services gedacht werden, auf die der betrachtete Service zugreift.

  • Das Ergebnis der Arbeit wird dem Kunden übergeben.

  • Der Service beobachtet selbst, wie gut die Arbeit funktioniert hat und wie der Kunde auf die Leistung reagiert. Das erlaubt dem Service Rückschlüsse darauf, wie gut sein Bewegungsentwurf war. Er kann ihn deshalb bei Bedarf anpassen.

  • Dieser Rückschluss auf den Bewegungsentwurf führt gleichzeitig dazu, dass der Service das Bild, das er von sich selbst hat, aktualisiert. Hinzu kommen Beobachtungen, die der Service von seinen Lieferanten und Wettbewerbern macht. Er erschafft sich auf diesem Weg als soziales System in einem ständigen Prozess aus sich selbst heraus neu. Ich bezeichne das Bild, das der Service von sich selbst hat, als Framing.

Die Idee ist breit einsetzbar

Bei all dem ist über die Größe oder Kompliziertheit eines Services nichts gesagt. In der Tat kann man die Beschreibung des Modells sehr allgemein auffassen. Bei einer einfachen, nicht lernfähigen Maschine fällt z.B. die Reflektion über das Ergebnis und den Ablauf der eigenen Arbeit weg. Diese Tätigkeit wird beim Design der Maschine ausgeführt. Entsprechend kann sie sich aber auch nicht an neue Anforderungen anpassen.

Ein Service kann für eine einfache Zulieferung oder eine komplexe Leistung stehen

Nach einer Idee von Bruno Latour können wir eine solche Maschine aber auch als sozialen Akteur verstehen, wenn er unser Handeln bzw. unsere Kommunikation beeinflusst. Ein klassisches Beispiel ist eine Leitplanke oder Fahrbahnmarkierung, die dafür sorgt, dass wir die Straße nicht verlassen.

Auch das, was wir als Kommunikation verstehen, können wir verallgemeinern. Die theoretische Biologie bezeichnet z.B. den Stoffwechsel eines Organismus als Kommunikation mit seiner Umwelt. Die Analogie mit Waren und Dienstleistungen, die von einem Service erstellt werden, bietet sich an.

Fazit

Was haben wir also?

  • Services sind eine Möglichkeit, die Tätigkeit eines Unternehmens gedanklich oder tatsächlich in einzelne Bestandteile zu zerlegen.
  • Die Art der Zerlegung erlaubt es, die Teile als eigenständig zu betrachten.
  • Wieweit ich ein Unternehmen gedanklich oder tatsächlich in einzelne Services zerlege, ist eine Frage des Designs und damit der Zuweisung von Sinn. Die Antwort hängt davon ab, in welcher Umgebung das Unternehmen bestehen muss.

Diese Feststellung ist in ihrer Allgemeinheit wichtig für ein Controlling-Konzept. Die Universalität des Gedankenmodells erlaubt es, Konzepte auf Services, wie die sich selbst steuernde Maschine und wie einen ganzen Konzern, zu übertragen. Wir finden uns damit in neuen Situationen zurecht, ohne vor einem unbekannten, neuen Problem zu stehen. Und wir können Lösungen allgemein entwerfen und darauf hoffen, diese Entwurfsmuster in anderen Fällen wieder anwenden zu können.

Selbstverständlich ist das alles nur ein gedanklicher Ordnungs-Rahmen. Ein abweichendes Design ist im Detail und im Konkreten immer noch möglich und meist auch sinnvoll. Genau das macht es interessant.

Bitte sprechen Sie mich einfach an, wenn wir das diskutieren wollen. Ich freue mich auf jeden Fall auf Ihre Nachricht.

Frank Pieper
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fp-consulting

Rahmen und operatives Controlling

Ein Unternehmen ist keine Maschine

Warum die klassische Steuerung für Unternehmen allein nicht ausreicht

Das klassische Steuerungsmodell geht von einem dynamischen System aus, das nach einer bestimmten Logik gesteuert wird. Die Steuerung beeinflusst den Kurs des Systems und damit welchen neuen Status es einnimmt. Von außen wirken gegebenenfalls noch Störungen auf das System ein. Zusammen mit den dynamischen Eigenschaften und den Steuerungsimpulsen bestimmen sie seinen Status. Das Verhalten des Systems kann gleichzeitig beobachtet werden. Gleichwohl treten eventuell Beobachtungsfehler auf. Die Steuerungslogik nutzt die Beobachtungen, um weitere Steuerungsimpulse zu geben. In ihrer Logik berücksichtigt sie die dynamischen Eigenschaften des Systems. Das Modell wird sehr erfolgreich z.B. dazu verwendet, den Flug einer Rakete zu steuern.

Klassische Vorstellung von Steuerung

Warum lässt sich dieses Modell nicht uneingeschränkt verwenden, um ein Unternehmen zu steuern?

Das oben dargestellte Modell geht davon aus, dass die Steuerung das System von außen beeinflussen kann. Im Unterschied zu diesem Modell sollten wir ein Unternehmen als soziales System verstehen. Es entscheidet nämlich selbst, wie es auf Impulse von außen reagiert. Als soziales System besteht es aus Kommunikationen und erschafft sich aus diesen selbst und ständig neu.

Autopoiesis – das Bild entsteht im Innern
Autopoiesis – das System schreibt sich selbst fort

Der Prozess, in dem sich das System selbst fortschreibt, ist von außerhalb des Systems beeinflusst. Er ist hingegen nicht von dort gesteuert. Nach Humberto R. Maturana, einem theoretischen Biologen, der u.a. die Biologie der Kognition untersucht hat, nennt man den Prozess Autopoiesis. Das System kann nur von innen, aus sich selbst heraus, gesteuert werden.

Wie wird denn dann gesteuert?

Um zu verstehen, wie gesteuert wird, müssen wir uns ansehen, wie sich das Unternehmen auf Kommunikationen gründet. Zunächst nimmt es aus seiner Umgebung nur das wahr, was zu seinem Thema passt. Es nimmt somit nur wahr, was an den Sinn der bisherigen Kommunikation anschlussfähig ist. Dies ist ein Mechanismus zur Reduktion von Komplexität. Er bestimmt, wie das Unternehmen seine Umwelt betrachtet.

Das daraus entstehende Bild ist eine Art aus Erfahrung gebaute Ursachenkarte. Der Bewegungsentwurf erfasst sie noch einmal genauer für die Betriebsleistung. Er ist eine Entscheidung, die den Zweck weiterer Entscheidungen bestimmen soll und sie so eingrenzt. In einer ungewissen Welt entscheidet sich das Unternehmen mit seiner Auswahl für eine mögliche Zukunft, die es zur Basis weiterer Handlungen macht.

Bezugsrahmen – Entscheidung für eine mögliche Zukunft
Und wer steuert?

Leider ist die Sache noch etwas komplizierter. Das Management und die Mitarbeiter des Unternehmens gehören nämlich streng genommen nicht zum Unternehmen, sondern zu seiner Umwelt. Entscheidungen im Unternehmen fallen also nicht durch das Unternehmen. Sie fallen durch Kommunikationen, die das Management und die Mitarbeiter im Unternehmen erzeugen. Sie werden mit der Vorstellung erzeugt, dass sie für weitere Kommunikationen anschlussfähig sind. Der Bewegungsentwurf hat hier die Funktion, die Aufmerksamkeit auf die entscheidenden Sachverhalte zu lenken. Manche Aspekte rücken dadurch in den Vordergrund. In dieser Rolle werden sie als ursächlich für die Betriebsleistung des Unternehmens aufgefasst. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Entscheidungen wie beabsichtigt ausfallen.

Das technische Steuerungsmodell eignet sich an dieser Stelle nebenbei bemerkt gut für den Bewegungsentwurf. Wir stellen uns einfach vor, wir hätten eine Maschine vor uns, die wir steuern wollen. Das Modell erlaubt uns im Anschluss Rückschlüsse darauf, wie sich das Unternehmen verhalten wird. Selbstverständlich geschieht das unter den genannten Einschränkungen. Als Bild kann man es hingegen sehr gut kommunizieren.

Die Aufgaben des Controllers

Über die Frage, wer steuert, kommen wir zu den Aufgaben des Controllings. So wie man es kennt, erstellt das Controlling den Bewegungsentwurf für das Unternehmen in der Form einer Planung. Diese kann mehr oder weniger dynamisch und auch mehr oder weniger mathematisch sein. Sie erfüllt trotz allem immer den gleichen Zweck. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte. Auf diese Weise stärkt sie das gemeinsame Verständnis vom Unternehmen, von seinen Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern. Das wirkt natürlich umso besser, je besser die Planung kommuniziert wird.

Operatives Controlling basiert wesentlich auf einem Bewegungsentwurf

Zu den Aufgaben des Controllings gehört es, den Bewegungsentwurf anschließend mit den Ergebnissen der tatsächlichen Betriebstätigkeit zu vergleichen. Wir interpretieren die festgestellten Abweichungen. Falls es notwendig erscheint, passen wir nachfolgend den nächsten Bewegungsentwurf daraufhin an. So weit so gut.

Nicht nur auf die Zahlen, auf die Erzählung kommt es an

Eines müssen wir aber noch berücksichtigen. Der Bewegungsentwurf basiert in jedem Fall auf einer Modellvorstellung. Andernfalls wäre er auch gar nicht kommunizierbar. Ein Stück weit ist die Modellierung außerdem nur etwas für Spezialisten. Und das Modell kann niemals alle Aspekte der Betriebstätigkeit abbilden. Es bleibt dadurch immer kontingent, also auf eine bestimmte Art unpassend.

Hier kommt die Sprache ins Spiel. Als kontingentes Medium kann sie letztendlich Kontingenz aufnehmen und damit Erklärungslücken und unterschiedliche Auffassungen überbrücken. Auf diesem Weg bleibt die Möglichkeit offen, dass sich im Unternehmen die meisten Beteiligten auf eine gemeinsame Erzählung einigen können. Dies Erzählung ist eventuell die Basis für eine neue Entscheidung über eine neue Zukunft, der alle zustimmen können.

Der Bezugsrahmen wird aus den Erfahrungen aktualisiert, die das operative Controlling sammelt

Fazit. Was heißt das jetzt für das Controlling?

Klassische Controlling Tätigkeiten konzentrieren sich zu weiten Teilen auf die Berechnung von Planungen, Soll-Ist Abweichungen und eventuell noch auf die Analyse von Ursachen.

Bedeutung des Designs

Genauso wichtig ist es aber zu verstehen,

  • wie die Auswahl der Instrumente beeinflusst,
  • worauf sich das Unternehmen konzentriert,
  • welche Bedeutung die Kommunikation von Modellvorstellungen hat, und
  • wie wichtig es ist, die Erkenntnisse in eine Sprache zu übersetzen, die als gemeinsam getragene Erzählung im Unternehmen funktioniert.

Vielen Controllern ist dieser Teil der Arbeit sehr wohl bewusst und sie beklagen, dass sie hierauf zu wenig Aufmerksamkeit verwenden können.

Bedeutung der Flexibilität

Bei der Wahl der Instrumente geht es außerdem darum, worauf sich das Unternehmen fokussiert. Aus der Bedeutung der Wahl wird ebenfalls klar, wie schnell sie sich notfalls Änderungen müssen. Der Werkzeugkasten und die Datenversorgung des Controllings müssen infolgedessen deutlich flexibler sein, wenn sich das Umfeld für ein Unternehmen ändert.

Wenn Sie mehr darüber lesen wollen, wie Sie Ihr Unternehmen und Ihr Controlling flexibler machen, dann lesen Sie vielleicht etwas über die Grundidee hinter der Service-Orientierung. Artikel über die Flexibilität von Organisationen werde ich noch veröffentlichen.

Oder, sprechen Sie mich schlicht und einfach an. Ich freue mich jedenfalls auf eine Diskussion.

Frank Pieper
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