Was tun, wenn die Zukunft ungewisser wird?
Ausgangslage
Unsere Zuversicht wird durch die aktuellen Krisen auf eine harte Probe gestellt. Die Corona-Pandemie lässt uns an unserer Handlungsfähigkeit zweifeln. Die längst überwunden geglaubten imperialistischen Bestrebungen von China und Russland lassen uns um das friedliche Miteinander auf der Welt fürchten. Und die heranbrechende Klimakatastrophe weist darauf hin, dass das Leben auf der Erde um einiges schwieriger und unberechenbarer wird. Die beiden erstgenannten Krisen lassen zudem befürchten, dass es um die Bewältigungskompetenz aller Nationen zusammen nicht gutsteht.
Horizonte schrumpfen
Das hat wirtschaftliche Auswirkungen. Wenn Geld nämlich dazu dient, Zeit zu gewinnen, also den Zeitpunkt nach vorne in die Zukunft zu verlegen, an dem man darüber entscheiden muss, wie man die eigenen Ressourcen einsetzen sollte (Esposito 2010), dann ist es klar, dass der Wert des Geldes bei steigender Unsicherheit kleiner wird. Die Unsicherheit wird größer, je weiter die Entscheidung in die Zukunft verlagert wird. Mit der Unsicherheit schrumpfen die Horizonte. Investitionsentscheidungen werden tendenziell eher von den schnell verfügbaren Ergebnissen bestimmt.
Schwierige Bedingungen
Ebenfalls von allen drei Krisen betroffen sind die globalen Netzwerke, über die Lieferungen erfolgen. Lock-Downs, zunehmende politische Risiken und steigende Kosten der Logistik zwingen dazu, über Lieferungen aus dem Nahbereich oder zumindest eine Diversifizierung nachzudenken. Zu allem Überfluss sind auch noch Fachkräfte und Experten knapp. Es fehlt sowohl an Nachwuchs als auch an verfügbarer Erfahrung. Notwendige Veränderungen müssen unter schwierigen Bedingungen erreicht werden.
Ein dreifacher Druck auf die Margen
Garner Finance (Gartner CFO Playbook 2022) stellt einen dreifachen Druck auf zukünftige Margen fest:
- eine anhaltend hohe Inflation,
- knappe und teure Fachkräfte und
- Unsicherheiten von Lieferketten, die über das Jahr 2022 hinaus anhalten werden.
Zugleich fordern sie, gestärkt aus den aktuellen Krisen hervorzugehen, um rechtzeitig an der nächsten Erholung teilzunehmen. Dazu müssen die Zielkonflikte zwischen knappen Ressourcen und erforderlichen Investitionen auf die richtige Weise aufgelöst werden. Es wird darum gehen, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren und vor allem in digitale Automatisierung zu investieren. Es ist klar, dass dafür die richtigen Mitarbeiter zu finden sind. Um für diese Herausforderungen die richtigen Entscheidungen z.B. durch eine Investitionsrechnung vorzubereiten und schließlich zu treffen, müssen wir uns auch ansehen, wie wir in einem wirtschaftlichen Umfeld überhaupt zu Entscheidungen kommen.
Wie wir Entscheidungen treffen
Es sagt sich so leicht, dass Entscheidungen immer unter Unsicherheit getroffen werden. Das ist auch richtig, aber um entscheiden zu können, müssen wir wenigstens von einer Annahme über die Zukunft ausgehen, sonst ist die Entscheidung beliebig. Annahmen über die Zukunft entwickeln wir in Form von Prognosen. Was zukünftig geschieht, wissen wir aber nicht. Wir haben lediglich Erfahrungen, dass vieles, was wir entscheiden, round about and so far zukünftig eintritt (Priddat 2016). In sozialen und wirtschaftlichen Kontexten sind Prognosen darüber hinaus besonders schwierig, weil die Prognose ihre eigene Basis verändert, sobald sie bekannt wird. So ist überhaupt nicht ausgemacht, dass das, was wir als gegenwärtige Zukunft entwerfen, mit der zukünftigen Gegenwart übereinstimmen wird.
Eine Fiktion des Wahrscheinlichen
Wenn sich aber Entscheidungen (in einem engen Sinn) rational nicht auf Prognosen stützen können, dann bleibt nur, Entscheidungskontexte auf der Basis von Annahmen und Notwendigkeitskonstruktionen zu entwerfen, die das prinzipiell Unbegründbare begründen lassen (Esposito 2010). Die Prognose wird auf diese Weise nicht als bestimmbares Ereignis, sondern als Fiktion des Wahrscheinlichen zur Grundlage einer gemeinschaftlichen Erzählung.
Diese Erzählung dient als Ersatz für eine gemeinschaftliche Erfahrung, die für die Zukunft ja nicht vorliegt. Erst über diesen Ersatz wagt man sich, in die Zukunft zu entscheiden. Sie gewinnt über das Wahrscheinliche die Form einer plausiblen Erzählung/Fiktion (Priddat 2016). Und in der Plausibilität haben wir eine Art von Versicherung, richtig zu handeln, ohne genau zu wissen, ob oder wie. Diese Versicherung ist die der Anschlussfähigkeit der Handlung, nicht aber die, das beste Ergebnis prognostiziert zu haben (Priddat 2016).
Zwei Ebenen einer Entscheidung
Aufgrund dieser Verhältnisse findet eine Entscheidung auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Sie hat eine taktische und eine soziale Ebene.
Die taktische Ebene einer Entscheidung
Auf der taktischen Ebene geht es darum, handlungsfähig zu bleiben. Die Regel lautet: Entscheide also immer so, dass du, wenn nicht eintritt, was du erwartet hast, nicht handlungsunfähig wirst. Dazu ist es notwendig, in Alternativen zu denken, und ein Handlungsprogramm für jede mögliche Zukunft zu haben. Auf diese Weise entsteht ein Möglichkeitsraum, innerhalb dessen reaktions- und adaptionsfähig disponiert werden kann. Eine Zukunft, die anders als erwartet eintritt, ist damit kein Unglück, sondern die Möglichkeit, anders zu handeln.
Die soziale Ebene einer Entscheidung
Auf der sozialen Ebene wird das Narrativ des möglichen Entscheidungsraums verwendet. Dabei geht es nicht um die Bestimmtheit der Prognose, sondern um eine gemeinschaftliche Sicherheit. Wenn die Erzählung über zukünftige Ereignisse und ihre Wirkzusammenhänge plausibel erscheint und gemeinschaftlich geteilt wird, dann entsteht eine Vertrauensarena. In dieser traut man sich, zu entscheiden und in ihr werden weitere Entscheidungen Anschluss finden. Entscheider werden durch die gemeinschaftliche Vorstellung der Zukunft motiviert und organisieren ihre Handlungen auf ihrer Grundlage. Da die Vorstellungen von Zukunft nicht strikt an die empirische Realität gebunden sind, ist Fiktionalität auch eine Quelle der Kreativität (Beckert 2011).
Was ist zu tun?
Mir geht es hier hauptsächlich um die Entscheidungsvorbereitung der Unternehmenssteuerung. Ich habe die Bedeutung einer möglichst breit getragenen Erzählung herausgestellt. Mit den aktuellen Herausforderungen schrumpfender Horizonte, knapper Mittel und dem Anwendungsdruck vorhandenen Automatisierungspotenzials müssen vor allem unsere Erzählungen umgehen können. Um der Erzählung diese Fähigkeit zu verleihen, muss eine gute Entscheidungsvorbereitung gleichzeitig
- mit spitzem Bleistift rechnen,
- eigenes Automatisierungspotenzial nutzen (schnell sein) und sich dabei gleichzeitig auf neue Fragestellungen einstellen können (anpassungsfähig sein),
- als Basis für die Erzählungen und das Selbstbild des Unternehmens funktionieren und
- sich von unerwarteten Entwicklungen nicht überraschen lassen.
Technik optimieren
Für die taktische Ebene von Entscheidungen, den eher technischen Aspekten, heißt das in der Entscheidungsvorbereitung, alle fortschrittlichen Mittel dort einzusetzen, wo sie nützlich sind, gleichzeitig aber sich auch selbst zum Thema zu machen. Wieviel Automatisierung steht der Anpassungsfähigkeit entgegen? Wie viele, oder welche Kennzahlen helfen wirklich bei der Entscheidung? Darüber hinaus muss eventuell der Blickwinkel erweitert werden. Der Blick auf Veränderung und Chance mit Hilfe von Simulation und Backtesting ist einem mechanistischen Weltbild sicherlich überlegen.
Transparenz und Klarheit schaffen
Die Übertragung der taktischen Entscheidungsvorbereitung auf die soziale Ebene erfordert vor allem Transparenz und Klarheit. Es muss nachvollziehbar sein, was man misst und woher die Entscheidungsempfehlung kommt. Nur so kann ein Außenstehender die Schlussfolgerungen annehmen und bei Bedarf anpassen. Diese Forderung stellt hohe Anforderungen z.B. an die Begründung mathematischer Modelle oder noch mehr an den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Für die Steuerung eines Unternehmens ist vor allem die Erzählung handlungsleitend. Ist sie anschlussfähig und vertrauensstiftend, dann schafft sie Zuversicht und eröffnet die gewünschten Möglichkeitsräume.
Verweise
Beckert, J. (2011): Imagined Futures: Fictionality in Economic Action, Verweis aus Priddat 2016
Esposito, Elena (2010): Die Zukunft des Futures, Die Zeit des Geldes in Finanzwelt und Gesellschaft
Priddat, Birger P (2016): Erwartung, Prognose, Fiktion, Narration, Zur Epistemologie des Futurs in der Ökonomie: Wie Wahrscheinlich ist das Wahrscheinliche? Prognose als plausible Narratio