Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung

Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung

Was steuern wir?

Ich habe bis jetzt keine klare Festlegung getroffen, was ich tatsächlich steuern will. Das liegt daran, dass ich diese Frage grundsätzlich offenhalten will. Steuerungen sollen auf vielen verschiedenen Ebenen und für verschiedene Aufgaben funktionieren, auch wenn sie dabei sehr verschiedene Anforderungen erfüllen müssen. Diese Offenheit wird es uns auch erlauben, Steuerungen z.B. hierarchisch zu konzipieren. Dabei konzentriert sich die Steuerung in einer funktional übergeordneten Einheit auf andere Handlungen als die Steuerung in einer Einheit, die Leistungen zuliefert.

In einem konkreten Fall, wenn es darum geht, Steuerungssysteme zu implementieren, kann ich natürlich nicht mehr im Allgemeinen bleiben. Ich werde deshalb die abstrakten Begriffe, die ich brauche, um Steuerungen allgemein zu beschreiben, mit konkreten Beispielen erläutern.

Wir kümmern uns in diesem Beitrag ausschließlich darum, was gesteuert werden soll. Wie die Steuerung funktioniert, beschreibe ich in weiteren Artikeln. Auf dieser abstrakten Ebene geht es bei der Steuerung von wirtschaftenden Einheiten um soziale Systeme. Der Beitrag beschreibt deshalb, was soziale Systeme sind, was sie tun und welchen Einfluss das auf das Controlling und die Steuerung hat.

Was sind soziale Systeme?

Selektion von Kommunikationen

Soziale Systeme werden in der soziologischen Systemtheorie beschrieben, die davon ausgeht, dass sich Systeme ausschließlich aus Kommunikationen zusammensetzen. Nehmen wir als Beispiel ein Projektteam, das die Aufgabe hat, eine Software zu erstellen. Wenn Sie ein Mitglied des Projektteams sind, dann sind Sie, als Person, nicht Teil des sozialen Systems, um das sich die Systemtheorie kümmert. Alles, was Sie im Rahmen ihrer Projektarbeit kommunizieren, ist aber Teil des Systems. Das ist wichtig und es entspricht genau genommen auch unserer Vorstellung. Sie sind ja als Person nicht vollständig in das Projekt verstrickt, Sie nehmen stattdessen eine Rolle ein, in der Sie Beiträge zur Projektarbeit leisten. Diese Beiträge sind die Kommunikationen, um die es geht.

In anderen Systemkonstellationen können die Beiträge, die als Teil der Systemkommunikation geleistet werden, ganz anders aussehen als in einem Softwareprojekt. An die Produktionsstraße eines Automobilherstellers werden z.B. Fahrzeugkomponenten angeliefert. In das System, das die Produktionsstraße betreibt, liefert ein Zulieferer beispielsweise Räder, die Monteure am Fahrzeug anbringen. Dabei betrachten wir sowohl die Lieferung der Räder als auch die Montage am Fahrzeug als Kommunikationen, aus denen sich das System u.a. zusammensetzt. Dies ist eine Verallgemeinerung, die in der Soziologie meines Wissens nicht sehr verbreitet ist. Sie erlaubt es uns aber, den Anwendungsbereich der Theorie so zu erweitern, dass sie auf alle wirtschaftlichen Vorgänge anwendbar wird. Achten Sie bitte mit mir zusammen darauf, dass die Erklärungen in dieser Allgemeinheit sinnvoll bleiben.

Agenten

Systeme entstehen in einem ersten Schritt, wenn handelnde Personen Kommunikationen so auswählen, dass sie im System anschlussfähig sind. In einem Softwareprojekt sind das vielleicht die Funktionsbeschreibungen, die Sie von Experten in einem Interview erfragen. Sie verarbeiten diese Informationen dann in einen Anforderungskatalog für die Software. In der Produktionsstraße für Fahrzeuge wählen Sie die Räder aus, die Montiert werden sollen. In beiden Fällen werden sie prüfen, ob die in das System aufgenommene Kommunikation sinnvoll ist. Im Softwareprojekt werden Sie prüfen, ob die Expertenbeschreibung in den Projektumfang gehört. Bei den Rädern prüfen sie die Spezifikation. Nur wenn alles passt, verarbeiten Handelnde die eingehende Kommunikation im System. Das bedeutet sie ist anschlussfähig.

Um wieder allgemein genug zu bleiben, müssen wir jetzt noch klären, wer diese Handelnden sein sollen. Ich habe mit handelnden Personen begonnen und bin dann zum Schluss wieder allgemeiner geworden. Das liegt daran, dass im allgemeinsten Fall Handlungen von verschiedenen Agenten ausgeführt werden können. Diese Agenten können Menschen sein, aber auch Informationsverarbeitungssysteme oder Roboter. Die Räder könnten auch von einer Maschine an das Fahrzeug gebaut werden. Wir werden später in diesem Artikel klären, warum auch Maschinen oder künstliche Systeme Agenten sein können und wie sie in einem System sozialisiert werden.

Sinnzuschreibung

Um zu erklären, was ein soziales System ist, müssen wir noch klären, wie die Auswahl der Kommunikationen entsteht. Wir haben schon gesehen, dass durch die Auswahl und die Anschlussfähigkeit von Kommunikationen eine gewisse Ordnung entsteht. Diese Ordnung entsteht nicht zufällig, denn sie gründet sich auf eine Sinnzuschreibung zu den Handlungen der Agenten. Die Auswahl von Kommunikationen folgt dem Sinn der Systembildung.

Im Softwareprojekt besteht der Sinn der Auswahl von Interviewergebnissen darin, dass Entwickler mithilfe des Anforderungskatalogs eine Software schreiben sollen, die dem Projektzweck entspricht. In der Produktionsstraße sollen Fahrzeuge hergestellt werden, die den Anforderungen der zukünftigen Käufer der Fahrzeuge entsprechen.

Die Systeme entstehen also durch die auf eine Sinnzuschreibung gegründete Selektion von Kommunikationen.

Wie verhalten sich soziale Systeme und was bewirken sie?

Reduktion von Komplexität

Durch die Selektion von Kommunikationen, die Systeme aufnehmen und verarbeiten, machen sie den ersten Schritt zur Reduktion von Komplexität. Als zweiten Schritt dorthin errichten Systeme eine operationale Abgeschlossenheit, die zwar immer nur partiell ist, aber dazu führt, dass sie sich bei der Verarbeitung von Kommunikationen nur bedingt stören lassen. Systeme verarbeiten Kommunikationen nach ihren eigenen Regeln, die sie nur dann anpassen, wenn sie es selbst für notwendig halten.

Selektion und operationale Abgeschlossenheit sind die Voraussetzung dafür, dass Systeme Informationen verarbeiten und erzeugen können. Diese These kann man gut überprüfen, wenn man sich vorstellt, dass ein System alle Arten von Kommunikationen verarbeitet, die sie erreichen, und dass es keine festen Verarbeitungsregeln im System gibt. Gäbe es beides nicht, dann könnte sich weder ein Akteur, der am Systemgeschehen beteiligt ist, noch ein Empfänger eines Systemoutputs einen Reim darauf machen, welche Bedeutung die ihm vorliegende Kommunikation hat. Selektion und verlässliche Verarbeitung im System führen erst dazu, dass Kommunikation eine interpretierbare Bedeutung bekommt.

Am Beispiel des Softwareprojektes lassen sich diese Überlegungen gut nachvollziehen. Würden diejenigen Akteure, die eine Sammlung von Anforderungen für die Software schreiben, nicht auswählen, welche Informationen sie sammeln, dann wäre die Sammlung für die Entwickler keine Hilfe. Außerdem verarbeiten sie die Interviewergebnisse nach Regeln, die für die Entwickler der Software im nächsten Arbeitsschritt nachvollziehbar ist. Auf diese Weise enthält die Sammlung der Anforderungen Informationen, die den Entwicklern helfen, die Software zu schreiben. Auch hier gilt: würden Interviewer die Anforderungen nicht nach festen Regeln zusammenstellen, sondern z.B. jedes Mal anders, dann können Entwickler das Ergebnis nicht richtig deuten.

Wie operationale Abgeschlossenheit funktioniert und was sie bedeutet, beschreibe ich ausführlich in dem Artikel Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Erzeugung von Information

Am Beispiel der Produktionsstraße können wir die Reduktion von Komplexität nicht so gut nachvollziehen, weil nicht klar ist, was Komplexität in diesem Zusammenhang meint. Etwas abstrakter kann man aber sagen, dass der Gebrauch eines Werkzeugs für einen Nutzer umso komplexer wird, je weniger sich der Nutzer auf die Funktionsweise des Werkzeugs verlassen kann. Bei einem Fahrzeug wird die zweckentsprechende Verwendung kompliziert bis unmöglich, wenn es nicht wie vorgesehen funktioniert. Der Nutzer muss bei einem Fehler Maßnahmen ergreifen, um ihn zu beheben. Wenn ihm das nicht gelingt, nützt ihm das Fahrzeug nichts. Die ursprüngliche Komplexität, die ihm das Fahrzeug beheben sollte, nämlich von einem Ort zum anderen zu kommen, oder irgendetwas von einem Ort zum anderen zu transportieren, bleibt erhalten.

Wir können also den Gebrauch des Werkzeugs so interpretieren, dass das Werkzeug einem Nutzer hilft, das Komplexitätsproblem in eine andere Form zu bringen, die es für ihn lösbar macht. Die Erzeugung von Information geht ähnlich vor: sie bringt komplexere Signale in eine Form, die leichter zu interpretieren ist. Es geht in beiden Fällen also um das in-Form bringen. Die Fälle sind vergleichbar. Es erschließt sich jetzt, dass z.B. die Auswahl von Rädern einer ganz bestimmten Spezifikation, der Auswahl von Interviewergebnissen im Softwareprojekt entspricht.

Selbstreflexivität – Kommunikation über Kommunikation

Durch die operationale Abgeschlossenheit können Außenstehende Systeme nur bedingt beeinflussen. Ein System verändert die Selektion von Kommunikationen und seine Verarbeitungsregeln – eine Selektion von Regeln – nur dann, wenn es durch sein Umfeld irritiert wird. Es vergleicht dann das Ergebnis seiner Selektionen mit dem Sinn, auf den es sich gründet, und passt sich bei Bedarf an neue Einflüsse an. Das System führt Vergleich und Anpassung der Selektionen dabei durch Kommunikation über die produktive Kommunikation des Systems aus. Nicht dem Sinn entsprechende Selektionen werden vom System selbst aussortiert, das heißt sie sind im System nicht mehr anschlussfähig. Dieser Vorgang führt zu einer Evolution der Selektionen des Systems.

In einer Projektsituation kennen wir diese Situation. Die Softwareentwickler beklagen, dass sie die Sammlung der Anforderungen nicht gebrauchen können. Das Team, das die Anforderungen zusammenstellt, diskutiert daraufhin, ob es an der Auswahl der Interview-Ergebnisse oder an der Form ihrer Zusammenfassung etwas ändern muss. Stellt sich die bisherige Auswahl als ungeeignet heraus, wird sie fallen gelassen und durch eine neue ersetzt, die den Sinn der Arbeit mutmaßlich besser unterstützt. Im Beispiel der Produktionsstraße gilt genau das gleiche.

Wir nennen diesen Vorgang selbstreflexiv, weil er sich mit den Mitteln des Systems auf die Arbeit des Systems selbst bezieht. Und noch etwas wird deutlich. Das System kommuniziert mit sich selbst über die Art, wie die produktive Kommunikation ausgeführt werden soll. Es erzählt sich dabei selbst eine Geschichte darüber, wie die Produktion durchgeführt werden soll und vergleicht sie mit seinen Beobachtungen. Werden Selektionen geändert, dann passt sich auch die Geschichte an. Das System schreibt oder erzählt sich selbst also eine Geschichte über sich selbst. Dieser Vorgang wird Autopoiesis genannt.

Ordnung und Risiko

Selbstreflexive, autopoietische, operational abgeschlossene Systeme etablieren durch die oben beschriebenen Vorgänge eine partielle, Komplexität reduzierende Ordnung und eine darauf gegründete Rationalität. Das liegt daran, dass die Selbsterzählung des Systems dazu beiträgt, die Kommunikationen – produktive Kommunikation und Kommunikation über Kommunikation – im System zu deuten. Die Kommunikationen – beide Arten – stützen wiederum die Selbsterzählung des Systems. Dadurch, dass Selektionen wenigsten für eine Zeit lang stabil sind, etablieren sie eine Ordnung im System, die von allen Beteiligten als rational und begründet wahrgenommen wird. Das gilt wenigsten so lange, bis das System und damit seine Ordnung von seiner Umgebung irritiert wird.

Riskante Ordnung

Und darin liegt das größte Problem der Ordnung des Systems. Sie bleibt riskant, weil sich Sinnzuschreibungen und Selektionen jederzeit als fehlerhaft oder hinfällig herausstellen können. Das System übersieht eventuell Einflüsse in seiner Umgebung, die dazu führen können, das es seinen Zweck nicht mehr erfüllt.

An unseren Beispielen kann man diese Gegebenheiten gut beobachten. Am stärksten werden Ordnungen von technischen Verfahren impliziert. Das liegt daran, dass die Auswirkungen von Abweichungen in der Produktion gut vorhergesagt werden können. Die Ordnung des Ablaufs bestimmt auch die Rationalität des Systems. Auswahlkriterien müssen strikt eingehalten werden, um nicht zu Fehlern zu führen. Die gute Vorhersagbarkeit führt auch dazu, dass die Risiken der Festlegung auf die Ordnung des Systems gering sind. Mit geringer Wahrscheinlichkeit aber großem Ausmaß führen in solchen Systemen meist unerwartete Abweichungen zu Schäden.

In einer Projektsituation stellt sich die Situation schon anders dar. Selektions- und Verarbeitungsregeln sind meist sehr viel veränderlicher. Es geht z.B. bei den Anforderungen um Sachverhalte, die sich einer vollständigen Beschreibung gerne widersetzen, strittig werden, oder durch die nachträgliche Verschiebung des Projektauftrags eine andere Priorität bekommen. Projekte sind hier meist sehr wachsam. Es etabliert sich daher eher eine Ordnung für die Verfahrensregeln. Aber auch hier gibt es Diskussionspotenzial, weil Projektteilnehmer andere Erfahrungen oder Vorstellungen haben können. Üblicherweise findet sich aber nach einiger Diskussion eine Ordnung, die das Projekt produktiv werden lässt. Die Risiken bestehen dann darin, dass das System Veränderungen von Umweltbedingungen nicht mehr wahrnimmt.

Welchen Einfluss hat das auf das Thema Controlling und Steuerung?

Steuerung von außen und von innen unterscheidet sich

Die Art, wie sich Systeme konstituieren und verhalten, führt zu der Schlussfolgerung, dass Systeme sich selbst von innen heraus verändern. Eine Veränderung von außen ist prinzipiell nicht möglich. Allerdings gelingt es Einflüssen von außen, Systeme zu irritieren und das System auf diese Weise zur Veränderung zu veranlassen. Das heißt,

  • Eine Steuerung von Systemen erfolgt durch Systeme selbst, also aus ihrem Inneren, indem sie sich verändern. Wer steuert, der handelt als Teil des Systems.
  • Eine Steuerung von Systemen erfolgt von außen, indem ihre Umgebung sie beeinflusst, dadurch irritiert, und sie veranlasst sich selbst zu verändern. Wer steuert, der handelt eher als Stakeholder, denn als Teil des Systems.

Beide Steuerungsmechanismen werden eingesetzt. Wer steuert, muss die Mechanismen aber unterschieden, damit er sie wirksam einsetzen kann.

Diese Feststellung können wir am Beispiel des Softwareprojektes gut nachvollziehen. Nehmen wir an, das Projektteam hat festgestellt, dass es sein Entwicklungsbudget reduzieren muss, weil die erwarteten Erträge oder Einsparungen aus dem Projektergebnis geringer ausfallen werden. Es stellt fest, dass es zu einer Budgetüberziehung kommt, wenn das Projekt sein Verhalten nicht anpasst. Das Team diskutiert darüber, wie Kosten reduziert werden können und passt die Selektion von Kommunikationen oder Verarbeitungsregeln so an, dass geringere Kosten erwartet werden.

Für den Fall, dass der Impuls zur Reduzierung des Budgets von außen kommt, sieht der Vorgang ähnlich aus. Er unterscheidet sich aber, weil die Budgetreduzierung zunächst im Projekt zu einer Irritation führt. Erst wenn das Projektteam die Irritation als maßgeblich einordnet, die voraussichtliche Budgetüberziehung nachvollzieht und entscheidet, seine Selektionen anpassen zu müssen, führt es die Diskussion, wie Kosten reduziert werden können. Im Ergebnis passt das Team die Selektionen so an, dass geringere Kosten erwartet werden. Jeder Praktiker weiß, dass dies ein schwieriger Weg sein kann.

Wir steuern immer soziale Systeme

Meine These ist, dass sich Controlling und Steuerung immer auf soziale Systeme beziehen. Bei einem Softwareprojekt, bei dem es ein Projektteam gibt, scheint das sofort einzuleuchten. Allerdings habe ich gesagt, dass das System aus Kommunikationen besteht, die durch die Steuerung verändert werden. Das ist hier aber offensichtlich nur ein technischer Aspekt.

Bei unserem Beispiel der Produktionsstraße liegen die Dinge schon etwas komplizierter. Immerhin haben wir festgestellt, dass auch Maschinen oder Roboter als Agenten auftreten können. Ihre Kommunikationen bestehen aus der Arbeit, die sie leisten. Außerdem gibt es Zulieferer, die z.B. die Räder für ein Fahrzeug liefern. In diesem Fall sind die Räder die Kommunikation der Zulieferer. Die Produktionsstraße wird aber immer noch von Menschen organisiert oder sogar betrieben. Sie können ihre Maschinen anders programmieren oder die Spezifikationen für Zulieferungen ändern. Wir haben es offenbar immer noch mit einem sozialen System zu tun.

Artefakte steuern

Wie sieht es aber aus, wenn ich eine einzelne Maschine steuern will, z.B. den Roboter, der die Räder am Fahrzeug montiert? Nehmen wir an, er sei aus irgendeinem Grund nicht mehr schnell genug. Als Maschine lässt sich der Roboter dadurch nicht irritieren. Das interessante ist, und darauf hat Bruno Latour hingewiesen, dass solche Maschinen Sprecher finden, die sich für sie einsetzen und genau die fehlenden Rollen ersetzen, die eine Maschine nicht einnehmen kann. Findet die Maschine keinen Sprecher, wird nicht irritiert und bleibt deshalb zu langsam, dann verliert sie früher oder später ihre Position im Ensemble der Produktionsstraße. Ihre Kommunikationen, also ihre Arbeitsleistung, finden nicht mehr Anschluss im System der Produktionsstraße. Die Maschine wird wahrscheinlich aussortiert.

Wenn die Maschine aber einen Sprecher findet, der sich dafür einsetzt, dass ihre Selektionen angepasst werden – nehmen wir einmal an, sie kann so programmiert werden, dass sie anschließend schneller ist – dann bleibt ihre Kommunikation weiter anschlussfähig und die Maschine im Ensemble erhalten. In diesem Fall bilden die Maschine und ihr Sprecher, es können natürlich auch mehrere sein, ein soziales System. Die Rollen der Maschine und des Sprechers ergänzen sich, so dass das aus den beiden bestehende System vollwertig agiert. Es verändert sich dann bei Bedarf aus sich selbst heraus.

Dieser Mechanismus, dass leblose Artefakte ihre Sprecher finden, zu Systemen und vollwertigen Akteuren werden, lässt sich weitertreiben und auch auf sehr einfache Artefakte anwenden. Eine Betonschwelle an der Einfahrt in eine verkehrsberuhigte Zone ist ein solches Artefakt. Sie könnte mit der Zeit zerbröseln und einen Teil ihrer Funktion verlieren. Findet sie dann keinen Sprecher, der sich für ihre Erneuerung einsetzt, dann wird sie irgendwann beseitigt. Ich plädiere deshalb dafür, künstliche Objekte in unseren Überlegungen ebenfalls als soziale Agenten zu behandeln.

Und was bedeutet das jetzt?

Ich möchte drei Ergebnisse festhalten, die ich für bedeutsam halte.

  1. Was wir steuern, sind soziale Systeme. Sie werden von der Soziologischen Systemtheorie, deren sicherlich prominentester Vertreter Niklas Luhmann ist, sehr genau beschrieben. Aus dieser Theorie wissen wir, dass Systeme ihre Eigenarten haben. Das sollten wir berücksichtigen, wenn wir sie von außen oder von innen steuern wollen.
  2. Im Kern geht es bei der Leistung von Systemen wahrscheinlich immer um irgendeine Form der Komplexitätsreduzierung. Interessant ist es, dass wir diese Leistung in Komponenten zerlegen und die Komponenten wiederum zur Bearbeitung an soziale Systeme abgeben können. Wir erkennen darin das Muster, das wahrscheinlich hinter der modernen Arbeitsteilung steht. Natürlich wissen wir, dass Arbeitsteilung ihre eigenen Probleme schafft, sie ist an der richtigen Stelle aber auch ungemein effizient.
  3. Wir wissen aus der genau umgekehrten Perspektive jetzt auch, dass Systeme miteinander kommunizieren und auf diese Weise kompliziertere Aufgaben erledigen. Theo Gehm hat diese Art kooperativer Informationsverarbeitung in sozialen Systemen beschrieben. Die Akteure im System arbeiten wie Knoten in einem neuronalen Netzwerk und beschaffen sich Informationen bzw. Kommunikationen von demjenigen anderen Akteur, von dem sie die beste Zulieferung erwarten. Sie beobachten den Erfolg und passen ihre Auswahl eventuell an. Dies ist genau jener selbstreflexive Prozess, der zu einer evolutionären Verbesserung der Systemleistung führt.
Zentral für die Steuerung

Dieser Artikel erläutert ein aus meiner Sicht ein sehr zentrales Element. Wir wissen jetzt, was wir steuern wollen und können deshalb damit beginnen zu erklären, wie wir steuern wollen. Wir wissen jetzt auch mehr darüber, wie arbeitsteilige Leistungen entstehen. Dieses Wissen können wir einsetzen, wenn wir Leistungserstellung in Modellen darstellen wollen (siehe z.B. meinen Artikel Was mache ich hier eigentlich? Services!). Das ist zentral auch für Steuerung und Controlling, denn beide erfordern modulare Konzepte, wenn sie unter Unsicherheit arbeiten sollen. Wir können jetzt erklären, wie diese modularen Modelle für das, was gesteuert werden soll, und für die Steuerung selbst konzipiert werden können. Das werden wir in weiteren Artikeln aufnehmen.

Alles natürlich mit dem Ziel: make your computers fly!

Flexibilität mit Services erreichen

Flexibilität mit Services erreichen

Wie können wir flexiblere Informationssystem schaffen? Wir brauchen sie gerade bei der Steuerung, um mit den Anforderungen mitzuhalten. Meist sind hoch integrierte Funktionssysteme auch im Controlling relativ starr. Behindern sie dann vielleicht eine kreativ-lernende Organisation?

Auf dem Weg zur kreativ-lernenden Organisation

In seiner Arbeit „Selbstorganisation und Gestaltung informationeller Systeme in sozialer Ordnung“ stellt Klaus Fuchs-Kittowski heraus, was erforderlich ist, damit Informationssysteme kreativ-lernende Organisationen nicht behindern, sondern möglichst befördern. Controlling- und Steuerungssysteme erscheinen zwar oft als technische Einrichtungen, letztlich operieren sie aber in einer sozial verankerten Umgebung. Klaus Fuchs-Kittowski hebt diese Unterscheidung hervor:

„Wichtig wird dafür die Unterscheidung zwischen maschineller (syntaktischer) und menschlicher (semantischer) Informationsverarbeitung, zwischen Speicher und Gedächtnis, zwischen Informationsverarbeitung und Erzeugung von Information und Wissen.“

Ich fasse den Text nur sehr knapp zusammen und versuche die Forderungen, die ich aus der Arbeit herauslese, auf die konkrete Design-Strategie von Services zu übertragen.


Selbstorganisation und Gestaltung informationeller Systeme

Klaus Fuchs-Kittowski (Link zu Wikipedia), in Selbstorganisation in Wissenschaft und Technik, Wissenschaftsforschung Jahrbuch 2008, Werner Ebeling, Heinrich Parthey (Herausgeber), Berlin, 2009

Mechanistisches Weltbild überwinden

Klaus Fuchs-Kittkowski schreibt in seinem Beitrag, wir müssten unser mechanistisches Weltbild überwinden. Auf diese Weise könnten wir unsere Systeme einer flexiblen Arbeitsweise anpassen. Informationssysteme sind nämlich kein Abbild der realen Welt oder des realen Arbeitsgeschehens. Sie sind stattdessen Teil einer von Akteuren konstruierten Welt. Sie tragen genauer gesagt dazu bei, neue Bedeutungen und Werte zu schaffen.

Offene Entwicklungsprozesse und autonome Tätigkeiten

Die Gestaltung von Informationssystemen sollte folglich zuerst vom Nutzerverhalten ausgehen und mit der Arbeitsgestaltung beginnen. Es empfiehlt sich, die Aufgabe ganzheitlich zu betrachten und eine Lösung mit möglichst autonomer Tätigkeit zu erreichen. Es geht um einen offenen Entwicklungsprozess und eine vorwiegend evolutionäre Systemgestaltung.

Anpassungsfähige Strukturen

Modulare, vernetzte, virtuelle Organisationen benötigen Informationssysteme mit anpassungsfähigen Strukturen. Solche Strukturen sind wichtig, weil diese Organisationen in unserer sozialen Umwelt mit großer Komplexität umgehen. Bei der Modellierung von Arbeitsprozessen steht das Ziel, Komplexität zu reduzieren, im Mittelpunkt. Befreien wir zusätzlich die Prozesse aus ihrem Kontext, so werden sie ohne die Abhängigkeit von ihrem Kontext universeller einsetzbar. Wir können sie in der Folge in neuen Konstellationen einsetzen.

Kooperativer Lernprozess: für, mit und durch den Nutzer gestaltet

Lösungsansatz mit Services

Ich übertrage diese Gedanken im nächsten Schritt auf die Design-Strategie von Services.

Unabhängig vom konkreten Anwendungsfall

Service-Design beruht hauptsächlich auf der Idee, Arbeitsprozesse unabhängig von ihrem Kontext zu machen. Die Idee der Kapselung will einen Service in seinem Innern möglichst autonom arbeiten zu lassen. Darüber hinaus wollen wir einen Service in verschiedenen Konstellationen einsetzen können. Um diese Freiheit zu erhalten, muss sich der Service von seinem Kontext lösen. Die Loslösung erreicht man wiederum, wenn man ihn allgemeiner als nötig spezifiziert. Der konkrete Anwendungsfall wird dadurch zu einem Spezialfall in einer ganzen Klasse von Aufgabenstellungen.

Selbständige Weiterentwicklung

Als allgemein spezifizierte Lösung ist der Service im weiteren Verlauf flexibler. Er kann jetzt auch andere, ähnliche Aufgaben erledigen. In seinem allgemeinen Rahmen wird er als Lösungskonzept eigenständig. Er hat die Möglichkeit sich selbst zu steuern. Bei Bedarf entwickelt er sich weiter und verfolgt, wo dies geht, eine eigene Entwicklungsstrategie. Das Konzept der Kapselung reduziert darüber hinaus Abhängigkeiten zu Servicenutzern und Serviceprovidern. Der Service muss lediglich abwärtskompatibel bleiben, um Nutzer weiter zu bedienen und Leistungen von Lieferanten annehmen zu können.

Mehr Informationen über die Grundidee hinter der Service-Orientierung finden Sie in dem Beitrag: Was mache ich hier eigentlich? Services!

Dem Service einen allgemeinen Rahmen geben
Große Ähnlichkeit der Ideen

Die allem anderen vorausgehende Übereinstimmung finden die Forderungen von Klaus Fuchs-Kittowski und das Service-Paradigma in der relativen Autonomie von Services. Erst sie erlaubt offene Entwicklungsprozesse und autonome Tätigkeiten. Die Fähigkeit eines Services, sich in dem ihm gegebenen Rahmen selbständig weiterzuentwickeln, verschafft einem auf Services basierenden Lösungskonzept große Anpassungsfähigkeit. Services können nämlich individuell reagieren, ohne dass der Gesamtzusammenhang der Lösung neugestaltet werden muss. Damit haben wir eine allzu mechanistische Vorstellung von Lösungswegen aber bereits auch schon verlassen. Die Weiterentwicklung von Strukturen ist nicht mehr nur von einem Punkt aus zu bestimmen. Dafür entlastet es die Struktur von übergroßer Kompliziertheit.


Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Dieses Vorgehen beim Design von Informationssystemen führt in der Regel zu sehr flexiblen und skalierbaren Lösungen. Ich will aber nicht verbergen, dass auch Nachteile entstehen:

1. Wenn Performance statt Flexibilität im Vordergrund steht

In einem Umfeld, in dem es mehr auf Performance als auf Flexibilität ankommt, ist die Autonomie von Services meist fehl am Platz. Das liegt daran, dass in performance-optimierten Systemen die Gestaltung der Kommunikation zwischen Arbeitsprozessen oft besonders wichtig ist. Folglich sind Kapselung und eine allgemeingültige Formulierung von Schnittstellen in einem solchen Fall oft nachteilig.

2. Wir schlagen mit dem Design vermeintlich einen Umweg ein

Analysten und Entwickler verstehen manchmal nicht, warum man nicht einfach die Anforderungen des Kunden aufnimmt. Dieser Punkt ist selbstverständlich ein berechtigter Einwand. Das Design mit seinem allgemeinen Anspruch erscheint tatsächlich manchmal als Umweg. Darüber hinaus muss auch noch der Spezialfall der konkreten Aufgabe kodiert werden. Den Umweg kann man folglich nur dann einschlagen, wenn er sich später auszahlen wird und der Auftraggeber ihn akzeptiert.


Fazit
Es gibt noch etwas zu tun

Service-Strukturen schaffen Informationslösungen, die sich in einem komplexen Umfeld schneller und zielorientierter an neue Anforderungen anpassen können. Sie sind aber auch nicht immer geeignet. Wenn die Aufgabenstellung beispielsweise einfach ist, oder mit großen Performance-Anforderungen daherkommt, dann ist es meist besser, auf eine integrierte, auf Effizienz ausgerichtete Lösung zu setzen.

In allen Fällen aber, in denen Zukunftserwartungen vage bleiben, wo mit Veränderungen gerechnet werden muss, oder wo sich Anforderungen schnell und überraschend ändern, ist der Service-Gedanke eine vielversprechende Strategie. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass aber gerade diese Szenarien häufiger werden. Das sollte ein Anreiz sein, sich mit den Ideen zur Komplexitätsbewältigung – z.B. dem Service-Paradigma – auseinander zu setzen.

Ich werde an dieser Stelle noch ein Beispiel für eine Service-Lösung anfügen.

Sprechen Sie mich jedoch einfach an, wenn Sie Fragen haben.

Frank Pieper
Mail: frank@fp-consulting.org
Tel.: +49-160 5438306

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