Was hilft, erfolgreich modern zu werden?

Was hilft, erfolgreich modern zu werden?

Dieser Kommentar bezieht sich auf folgenden Artikel (link):

Europe’s grumpy farmers are a symptom of wider malaise

Farmers are not the only ones resisting modernity

Source: The Economist, Feb 1st 2024


Der Economist stellt in einem Artikel vom 1. Februar 2024 fest, dass die Proteste der Bauern in ganz Europa auch ein Symptom für ein größeres Problem sind. Europas Bauern haben es verpasst, ihre Produktion zu modernisieren. Die Strukturen sind zu klein, um Kosten durch Skalierung zu reduzieren. Und sie sind nicht die einzigen. „Der ganze Kontinent neigt dazu, die Dinge zu mögen, wie sie sind, weil sie so sind, wie sie früher waren. Kritiker halten Europa für ein Freilichtmuseum, das für Touristen und Rentner geeignet ist; Fans des Modells mögen die 35-Stunden-Woche und den freien August.“ (The Economist, meine Übersetzung).

Die Schwierigkeiten und die Last der Landwirte sind dabei real. Sie spüren, dass sie den Anschluss verlieren, können die Kräfte, die dazu führen, aber nicht kontrollieren. Wenn sie nicht die Einzigen sind, denen es so geht, dann ist es umso wichtiger, etwas gegen die Schwierigkeiten zu tun. Für mich ist es dabei keine Option, der Modernisierung von Wirtschaft auf welchem Weg auch immer den Rücken zu kehren. Die Hoffnung, dass es dann besser wird, ist meiner Meinung nach falsch.

Resilienz stärken

Es bleibt also nur, Fähigkeiten zu stärken, die wir für eine Modernisierung brauchen. Ich konzentriere mich dabei auf Fähigkeiten, die wir für Controlling und Steuerung von Unternehmen entwickeln können. Andere bringen ihre Ideen in anderen Bereichen ein und das ist gut so. Viele Beteiligte in Unternehmen haben Angst vor Veränderungen. Diese Angst hängt oft mit der Sorge zusammen, mit unerwarteten Ereignissen nicht richtig umgehen zu können. Resilienz beruht aber gerade auf der Fähigkeit, unerwartete Einflüsse aus dem Umfeld adäquat zu verarbeiten. Diese Fähigkeiten müssen wir stärken. Der Umgang mit Unsicherheit sollte gerade bei der Unternehmenssteuerung sicher beherrscht werden, weil hier verlässliche Prognosen sowieso fast unmöglich sind.

Für den Umgang mit Unsicherheit brauchen wir deshalb die Fähigkeit, Verlässlichkeit durch eine flexible Berechenbarkeit der Selbsteinschätzung und von Zukunftserwartungen herzustellen. Berechnungen und Modelle sorgen dafür, dass es etwas Nachvollziehbares zu erzählen gibt. Sie schaffen eine Ordnung, auf die wir uns stützen können. Daraus können wir dann diejenigen Erzählungen ableiten, die uns das nötige Vertrauen in die Bewältigung zukünftiger Gegenwarten geben.

Indem wir nicht Greifbares berechenbar machen, nutzen wir Muster für den Umgang mit Komplexität. Diese Muster bleiben aber riskant, weil sie sich auf Erwartungen über die Relevanz von Beobachtungen stützen. Wir wählen aus, was wir in unsere Berechnungen einbeziehen. Deshalb ist es so wichtig, die Berechenbarkeit flexibel anzulegen und sie laufend auf Relevanz zu befragen. Und wir müssen diese Verfahren üben, weil sie auf dem Austausch von Kommunikation zwischen Beteiligten beruht, deren Bedeutung nur aus der Übung heraus verlässlich wird.

Für Controlling-Systeme heißt das, dass sie transparent und modular aufgebaut sein sollten. So bleiben sie übersichtlich und ermöglichen Änderungen ohne dabei in Komplikationen stecken zu bleiben. Um diese Anforderungen praktisch zu erfüllen, müssen wir uns damit beschäftigen, was wir steuern wollen und wie wir es steuern wollen.

Das werde ich in meinen nächsten Posts aufgreifen.

Gleichzeitig ist dieser Blog-Beitrag als Weiterleitung bei LinkedIn erschienen:

LinkedIn Beitrag

Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung

Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung

Was steuern wir?

Ich habe bis jetzt keine klare Festlegung getroffen, was ich tatsächlich steuern will. Das liegt daran, dass ich diese Frage grundsätzlich offenhalten will. Steuerungen sollen auf vielen verschiedenen Ebenen und für verschiedene Aufgaben funktionieren, auch wenn sie dabei sehr verschiedene Anforderungen erfüllen müssen. Diese Offenheit wird es uns auch erlauben, Steuerungen z.B. hierarchisch zu konzipieren. Dabei konzentriert sich die Steuerung in einer funktional übergeordneten Einheit auf andere Handlungen als die Steuerung in einer Einheit, die Leistungen zuliefert.

In einem konkreten Fall, wenn es darum geht, Steuerungssysteme zu implementieren, kann ich natürlich nicht mehr im Allgemeinen bleiben. Ich werde deshalb die abstrakten Begriffe, die ich brauche, um Steuerungen allgemein zu beschreiben, mit konkreten Beispielen erläutern.

Wir kümmern uns in diesem Beitrag ausschließlich darum, was gesteuert werden soll. Wie die Steuerung funktioniert, beschreibe ich in weiteren Artikeln. Auf dieser abstrakten Ebene geht es bei der Steuerung von wirtschaftenden Einheiten um soziale Systeme. Der Beitrag beschreibt deshalb, was soziale Systeme sind, was sie tun und welchen Einfluss das auf das Controlling und die Steuerung hat.

Was sind soziale Systeme?

Selektion von Kommunikationen

Soziale Systeme werden in der soziologischen Systemtheorie beschrieben, die davon ausgeht, dass sich Systeme ausschließlich aus Kommunikationen zusammensetzen. Nehmen wir als Beispiel ein Projektteam, das die Aufgabe hat, eine Software zu erstellen. Wenn Sie ein Mitglied des Projektteams sind, dann sind Sie, als Person, nicht Teil des sozialen Systems, um das sich die Systemtheorie kümmert. Alles, was Sie im Rahmen ihrer Projektarbeit kommunizieren, ist aber Teil des Systems. Das ist wichtig und es entspricht genau genommen auch unserer Vorstellung. Sie sind ja als Person nicht vollständig in das Projekt verstrickt, Sie nehmen stattdessen eine Rolle ein, in der Sie Beiträge zur Projektarbeit leisten. Diese Beiträge sind die Kommunikationen, um die es geht.

In anderen Systemkonstellationen können die Beiträge, die als Teil der Systemkommunikation geleistet werden, ganz anders aussehen als in einem Softwareprojekt. An die Produktionsstraße eines Automobilherstellers werden z.B. Fahrzeugkomponenten angeliefert. In das System, das die Produktionsstraße betreibt, liefert ein Zulieferer beispielsweise Räder, die Monteure am Fahrzeug anbringen. Dabei betrachten wir sowohl die Lieferung der Räder als auch die Montage am Fahrzeug als Kommunikationen, aus denen sich das System u.a. zusammensetzt. Dies ist eine Verallgemeinerung, die in der Soziologie meines Wissens nicht sehr verbreitet ist. Sie erlaubt es uns aber, den Anwendungsbereich der Theorie so zu erweitern, dass sie auf alle wirtschaftlichen Vorgänge anwendbar wird. Achten Sie bitte mit mir zusammen darauf, dass die Erklärungen in dieser Allgemeinheit sinnvoll bleiben.

Agenten

Systeme entstehen in einem ersten Schritt, wenn handelnde Personen Kommunikationen so auswählen, dass sie im System anschlussfähig sind. In einem Softwareprojekt sind das vielleicht die Funktionsbeschreibungen, die Sie von Experten in einem Interview erfragen. Sie verarbeiten diese Informationen dann in einen Anforderungskatalog für die Software. In der Produktionsstraße für Fahrzeuge wählen Sie die Räder aus, die Montiert werden sollen. In beiden Fällen werden sie prüfen, ob die in das System aufgenommene Kommunikation sinnvoll ist. Im Softwareprojekt werden Sie prüfen, ob die Expertenbeschreibung in den Projektumfang gehört. Bei den Rädern prüfen sie die Spezifikation. Nur wenn alles passt, verarbeiten Handelnde die eingehende Kommunikation im System. Das bedeutet sie ist anschlussfähig.

Um wieder allgemein genug zu bleiben, müssen wir jetzt noch klären, wer diese Handelnden sein sollen. Ich habe mit handelnden Personen begonnen und bin dann zum Schluss wieder allgemeiner geworden. Das liegt daran, dass im allgemeinsten Fall Handlungen von verschiedenen Agenten ausgeführt werden können. Diese Agenten können Menschen sein, aber auch Informationsverarbeitungssysteme oder Roboter. Die Räder könnten auch von einer Maschine an das Fahrzeug gebaut werden. Wir werden später in diesem Artikel klären, warum auch Maschinen oder künstliche Systeme Agenten sein können und wie sie in einem System sozialisiert werden.

Sinnzuschreibung

Um zu erklären, was ein soziales System ist, müssen wir noch klären, wie die Auswahl der Kommunikationen entsteht. Wir haben schon gesehen, dass durch die Auswahl und die Anschlussfähigkeit von Kommunikationen eine gewisse Ordnung entsteht. Diese Ordnung entsteht nicht zufällig, denn sie gründet sich auf eine Sinnzuschreibung zu den Handlungen der Agenten. Die Auswahl von Kommunikationen folgt dem Sinn der Systembildung.

Im Softwareprojekt besteht der Sinn der Auswahl von Interviewergebnissen darin, dass Entwickler mithilfe des Anforderungskatalogs eine Software schreiben sollen, die dem Projektzweck entspricht. In der Produktionsstraße sollen Fahrzeuge hergestellt werden, die den Anforderungen der zukünftigen Käufer der Fahrzeuge entsprechen.

Die Systeme entstehen also durch die auf eine Sinnzuschreibung gegründete Selektion von Kommunikationen.

Wie verhalten sich soziale Systeme und was bewirken sie?

Reduktion von Komplexität

Durch die Selektion von Kommunikationen, die Systeme aufnehmen und verarbeiten, machen sie den ersten Schritt zur Reduktion von Komplexität. Als zweiten Schritt dorthin errichten Systeme eine operationale Abgeschlossenheit, die zwar immer nur partiell ist, aber dazu führt, dass sie sich bei der Verarbeitung von Kommunikationen nur bedingt stören lassen. Systeme verarbeiten Kommunikationen nach ihren eigenen Regeln, die sie nur dann anpassen, wenn sie es selbst für notwendig halten.

Selektion und operationale Abgeschlossenheit sind die Voraussetzung dafür, dass Systeme Informationen verarbeiten und erzeugen können. Diese These kann man gut überprüfen, wenn man sich vorstellt, dass ein System alle Arten von Kommunikationen verarbeitet, die sie erreichen, und dass es keine festen Verarbeitungsregeln im System gibt. Gäbe es beides nicht, dann könnte sich weder ein Akteur, der am Systemgeschehen beteiligt ist, noch ein Empfänger eines Systemoutputs einen Reim darauf machen, welche Bedeutung die ihm vorliegende Kommunikation hat. Selektion und verlässliche Verarbeitung im System führen erst dazu, dass Kommunikation eine interpretierbare Bedeutung bekommt.

Am Beispiel des Softwareprojektes lassen sich diese Überlegungen gut nachvollziehen. Würden diejenigen Akteure, die eine Sammlung von Anforderungen für die Software schreiben, nicht auswählen, welche Informationen sie sammeln, dann wäre die Sammlung für die Entwickler keine Hilfe. Außerdem verarbeiten sie die Interviewergebnisse nach Regeln, die für die Entwickler der Software im nächsten Arbeitsschritt nachvollziehbar ist. Auf diese Weise enthält die Sammlung der Anforderungen Informationen, die den Entwicklern helfen, die Software zu schreiben. Auch hier gilt: würden Interviewer die Anforderungen nicht nach festen Regeln zusammenstellen, sondern z.B. jedes Mal anders, dann können Entwickler das Ergebnis nicht richtig deuten.

Wie operationale Abgeschlossenheit funktioniert und was sie bedeutet, beschreibe ich ausführlich in dem Artikel Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Erzeugung von Information

Am Beispiel der Produktionsstraße können wir die Reduktion von Komplexität nicht so gut nachvollziehen, weil nicht klar ist, was Komplexität in diesem Zusammenhang meint. Etwas abstrakter kann man aber sagen, dass der Gebrauch eines Werkzeugs für einen Nutzer umso komplexer wird, je weniger sich der Nutzer auf die Funktionsweise des Werkzeugs verlassen kann. Bei einem Fahrzeug wird die zweckentsprechende Verwendung kompliziert bis unmöglich, wenn es nicht wie vorgesehen funktioniert. Der Nutzer muss bei einem Fehler Maßnahmen ergreifen, um ihn zu beheben. Wenn ihm das nicht gelingt, nützt ihm das Fahrzeug nichts. Die ursprüngliche Komplexität, die ihm das Fahrzeug beheben sollte, nämlich von einem Ort zum anderen zu kommen, oder irgendetwas von einem Ort zum anderen zu transportieren, bleibt erhalten.

Wir können also den Gebrauch des Werkzeugs so interpretieren, dass das Werkzeug einem Nutzer hilft, das Komplexitätsproblem in eine andere Form zu bringen, die es für ihn lösbar macht. Die Erzeugung von Information geht ähnlich vor: sie bringt komplexere Signale in eine Form, die leichter zu interpretieren ist. Es geht in beiden Fällen also um das in-Form bringen. Die Fälle sind vergleichbar. Es erschließt sich jetzt, dass z.B. die Auswahl von Rädern einer ganz bestimmten Spezifikation, der Auswahl von Interviewergebnissen im Softwareprojekt entspricht.

Selbstreflexivität – Kommunikation über Kommunikation

Durch die operationale Abgeschlossenheit können Außenstehende Systeme nur bedingt beeinflussen. Ein System verändert die Selektion von Kommunikationen und seine Verarbeitungsregeln – eine Selektion von Regeln – nur dann, wenn es durch sein Umfeld irritiert wird. Es vergleicht dann das Ergebnis seiner Selektionen mit dem Sinn, auf den es sich gründet, und passt sich bei Bedarf an neue Einflüsse an. Das System führt Vergleich und Anpassung der Selektionen dabei durch Kommunikation über die produktive Kommunikation des Systems aus. Nicht dem Sinn entsprechende Selektionen werden vom System selbst aussortiert, das heißt sie sind im System nicht mehr anschlussfähig. Dieser Vorgang führt zu einer Evolution der Selektionen des Systems.

In einer Projektsituation kennen wir diese Situation. Die Softwareentwickler beklagen, dass sie die Sammlung der Anforderungen nicht gebrauchen können. Das Team, das die Anforderungen zusammenstellt, diskutiert daraufhin, ob es an der Auswahl der Interview-Ergebnisse oder an der Form ihrer Zusammenfassung etwas ändern muss. Stellt sich die bisherige Auswahl als ungeeignet heraus, wird sie fallen gelassen und durch eine neue ersetzt, die den Sinn der Arbeit mutmaßlich besser unterstützt. Im Beispiel der Produktionsstraße gilt genau das gleiche.

Wir nennen diesen Vorgang selbstreflexiv, weil er sich mit den Mitteln des Systems auf die Arbeit des Systems selbst bezieht. Und noch etwas wird deutlich. Das System kommuniziert mit sich selbst über die Art, wie die produktive Kommunikation ausgeführt werden soll. Es erzählt sich dabei selbst eine Geschichte darüber, wie die Produktion durchgeführt werden soll und vergleicht sie mit seinen Beobachtungen. Werden Selektionen geändert, dann passt sich auch die Geschichte an. Das System schreibt oder erzählt sich selbst also eine Geschichte über sich selbst. Dieser Vorgang wird Autopoiesis genannt.

Ordnung und Risiko

Selbstreflexive, autopoietische, operational abgeschlossene Systeme etablieren durch die oben beschriebenen Vorgänge eine partielle, Komplexität reduzierende Ordnung und eine darauf gegründete Rationalität. Das liegt daran, dass die Selbsterzählung des Systems dazu beiträgt, die Kommunikationen – produktive Kommunikation und Kommunikation über Kommunikation – im System zu deuten. Die Kommunikationen – beide Arten – stützen wiederum die Selbsterzählung des Systems. Dadurch, dass Selektionen wenigsten für eine Zeit lang stabil sind, etablieren sie eine Ordnung im System, die von allen Beteiligten als rational und begründet wahrgenommen wird. Das gilt wenigsten so lange, bis das System und damit seine Ordnung von seiner Umgebung irritiert wird.

Riskante Ordnung

Und darin liegt das größte Problem der Ordnung des Systems. Sie bleibt riskant, weil sich Sinnzuschreibungen und Selektionen jederzeit als fehlerhaft oder hinfällig herausstellen können. Das System übersieht eventuell Einflüsse in seiner Umgebung, die dazu führen können, das es seinen Zweck nicht mehr erfüllt.

An unseren Beispielen kann man diese Gegebenheiten gut beobachten. Am stärksten werden Ordnungen von technischen Verfahren impliziert. Das liegt daran, dass die Auswirkungen von Abweichungen in der Produktion gut vorhergesagt werden können. Die Ordnung des Ablaufs bestimmt auch die Rationalität des Systems. Auswahlkriterien müssen strikt eingehalten werden, um nicht zu Fehlern zu führen. Die gute Vorhersagbarkeit führt auch dazu, dass die Risiken der Festlegung auf die Ordnung des Systems gering sind. Mit geringer Wahrscheinlichkeit aber großem Ausmaß führen in solchen Systemen meist unerwartete Abweichungen zu Schäden.

In einer Projektsituation stellt sich die Situation schon anders dar. Selektions- und Verarbeitungsregeln sind meist sehr viel veränderlicher. Es geht z.B. bei den Anforderungen um Sachverhalte, die sich einer vollständigen Beschreibung gerne widersetzen, strittig werden, oder durch die nachträgliche Verschiebung des Projektauftrags eine andere Priorität bekommen. Projekte sind hier meist sehr wachsam. Es etabliert sich daher eher eine Ordnung für die Verfahrensregeln. Aber auch hier gibt es Diskussionspotenzial, weil Projektteilnehmer andere Erfahrungen oder Vorstellungen haben können. Üblicherweise findet sich aber nach einiger Diskussion eine Ordnung, die das Projekt produktiv werden lässt. Die Risiken bestehen dann darin, dass das System Veränderungen von Umweltbedingungen nicht mehr wahrnimmt.

Welchen Einfluss hat das auf das Thema Controlling und Steuerung?

Steuerung von außen und von innen unterscheidet sich

Die Art, wie sich Systeme konstituieren und verhalten, führt zu der Schlussfolgerung, dass Systeme sich selbst von innen heraus verändern. Eine Veränderung von außen ist prinzipiell nicht möglich. Allerdings gelingt es Einflüssen von außen, Systeme zu irritieren und das System auf diese Weise zur Veränderung zu veranlassen. Das heißt,

  • Eine Steuerung von Systemen erfolgt durch Systeme selbst, also aus ihrem Inneren, indem sie sich verändern. Wer steuert, der handelt als Teil des Systems.
  • Eine Steuerung von Systemen erfolgt von außen, indem ihre Umgebung sie beeinflusst, dadurch irritiert, und sie veranlasst sich selbst zu verändern. Wer steuert, der handelt eher als Stakeholder, denn als Teil des Systems.

Beide Steuerungsmechanismen werden eingesetzt. Wer steuert, muss die Mechanismen aber unterschieden, damit er sie wirksam einsetzen kann.

Diese Feststellung können wir am Beispiel des Softwareprojektes gut nachvollziehen. Nehmen wir an, das Projektteam hat festgestellt, dass es sein Entwicklungsbudget reduzieren muss, weil die erwarteten Erträge oder Einsparungen aus dem Projektergebnis geringer ausfallen werden. Es stellt fest, dass es zu einer Budgetüberziehung kommt, wenn das Projekt sein Verhalten nicht anpasst. Das Team diskutiert darüber, wie Kosten reduziert werden können und passt die Selektion von Kommunikationen oder Verarbeitungsregeln so an, dass geringere Kosten erwartet werden.

Für den Fall, dass der Impuls zur Reduzierung des Budgets von außen kommt, sieht der Vorgang ähnlich aus. Er unterscheidet sich aber, weil die Budgetreduzierung zunächst im Projekt zu einer Irritation führt. Erst wenn das Projektteam die Irritation als maßgeblich einordnet, die voraussichtliche Budgetüberziehung nachvollzieht und entscheidet, seine Selektionen anpassen zu müssen, führt es die Diskussion, wie Kosten reduziert werden können. Im Ergebnis passt das Team die Selektionen so an, dass geringere Kosten erwartet werden. Jeder Praktiker weiß, dass dies ein schwieriger Weg sein kann.

Wir steuern immer soziale Systeme

Meine These ist, dass sich Controlling und Steuerung immer auf soziale Systeme beziehen. Bei einem Softwareprojekt, bei dem es ein Projektteam gibt, scheint das sofort einzuleuchten. Allerdings habe ich gesagt, dass das System aus Kommunikationen besteht, die durch die Steuerung verändert werden. Das ist hier aber offensichtlich nur ein technischer Aspekt.

Bei unserem Beispiel der Produktionsstraße liegen die Dinge schon etwas komplizierter. Immerhin haben wir festgestellt, dass auch Maschinen oder Roboter als Agenten auftreten können. Ihre Kommunikationen bestehen aus der Arbeit, die sie leisten. Außerdem gibt es Zulieferer, die z.B. die Räder für ein Fahrzeug liefern. In diesem Fall sind die Räder die Kommunikation der Zulieferer. Die Produktionsstraße wird aber immer noch von Menschen organisiert oder sogar betrieben. Sie können ihre Maschinen anders programmieren oder die Spezifikationen für Zulieferungen ändern. Wir haben es offenbar immer noch mit einem sozialen System zu tun.

Artefakte steuern

Wie sieht es aber aus, wenn ich eine einzelne Maschine steuern will, z.B. den Roboter, der die Räder am Fahrzeug montiert? Nehmen wir an, er sei aus irgendeinem Grund nicht mehr schnell genug. Als Maschine lässt sich der Roboter dadurch nicht irritieren. Das interessante ist, und darauf hat Bruno Latour hingewiesen, dass solche Maschinen Sprecher finden, die sich für sie einsetzen und genau die fehlenden Rollen ersetzen, die eine Maschine nicht einnehmen kann. Findet die Maschine keinen Sprecher, wird nicht irritiert und bleibt deshalb zu langsam, dann verliert sie früher oder später ihre Position im Ensemble der Produktionsstraße. Ihre Kommunikationen, also ihre Arbeitsleistung, finden nicht mehr Anschluss im System der Produktionsstraße. Die Maschine wird wahrscheinlich aussortiert.

Wenn die Maschine aber einen Sprecher findet, der sich dafür einsetzt, dass ihre Selektionen angepasst werden – nehmen wir einmal an, sie kann so programmiert werden, dass sie anschließend schneller ist – dann bleibt ihre Kommunikation weiter anschlussfähig und die Maschine im Ensemble erhalten. In diesem Fall bilden die Maschine und ihr Sprecher, es können natürlich auch mehrere sein, ein soziales System. Die Rollen der Maschine und des Sprechers ergänzen sich, so dass das aus den beiden bestehende System vollwertig agiert. Es verändert sich dann bei Bedarf aus sich selbst heraus.

Dieser Mechanismus, dass leblose Artefakte ihre Sprecher finden, zu Systemen und vollwertigen Akteuren werden, lässt sich weitertreiben und auch auf sehr einfache Artefakte anwenden. Eine Betonschwelle an der Einfahrt in eine verkehrsberuhigte Zone ist ein solches Artefakt. Sie könnte mit der Zeit zerbröseln und einen Teil ihrer Funktion verlieren. Findet sie dann keinen Sprecher, der sich für ihre Erneuerung einsetzt, dann wird sie irgendwann beseitigt. Ich plädiere deshalb dafür, künstliche Objekte in unseren Überlegungen ebenfalls als soziale Agenten zu behandeln.

Und was bedeutet das jetzt?

Ich möchte drei Ergebnisse festhalten, die ich für bedeutsam halte.

  1. Was wir steuern, sind soziale Systeme. Sie werden von der Soziologischen Systemtheorie, deren sicherlich prominentester Vertreter Niklas Luhmann ist, sehr genau beschrieben. Aus dieser Theorie wissen wir, dass Systeme ihre Eigenarten haben. Das sollten wir berücksichtigen, wenn wir sie von außen oder von innen steuern wollen.
  2. Im Kern geht es bei der Leistung von Systemen wahrscheinlich immer um irgendeine Form der Komplexitätsreduzierung. Interessant ist es, dass wir diese Leistung in Komponenten zerlegen und die Komponenten wiederum zur Bearbeitung an soziale Systeme abgeben können. Wir erkennen darin das Muster, das wahrscheinlich hinter der modernen Arbeitsteilung steht. Natürlich wissen wir, dass Arbeitsteilung ihre eigenen Probleme schafft, sie ist an der richtigen Stelle aber auch ungemein effizient.
  3. Wir wissen aus der genau umgekehrten Perspektive jetzt auch, dass Systeme miteinander kommunizieren und auf diese Weise kompliziertere Aufgaben erledigen. Theo Gehm hat diese Art kooperativer Informationsverarbeitung in sozialen Systemen beschrieben. Die Akteure im System arbeiten wie Knoten in einem neuronalen Netzwerk und beschaffen sich Informationen bzw. Kommunikationen von demjenigen anderen Akteur, von dem sie die beste Zulieferung erwarten. Sie beobachten den Erfolg und passen ihre Auswahl eventuell an. Dies ist genau jener selbstreflexive Prozess, der zu einer evolutionären Verbesserung der Systemleistung führt.
Zentral für die Steuerung

Dieser Artikel erläutert ein aus meiner Sicht ein sehr zentrales Element. Wir wissen jetzt, was wir steuern wollen und können deshalb damit beginnen zu erklären, wie wir steuern wollen. Wir wissen jetzt auch mehr darüber, wie arbeitsteilige Leistungen entstehen. Dieses Wissen können wir einsetzen, wenn wir Leistungserstellung in Modellen darstellen wollen (siehe z.B. meinen Artikel Was mache ich hier eigentlich? Services!). Das ist zentral auch für Steuerung und Controlling, denn beide erfordern modulare Konzepte, wenn sie unter Unsicherheit arbeiten sollen. Wir können jetzt erklären, wie diese modularen Modelle für das, was gesteuert werden soll, und für die Steuerung selbst konzipiert werden können. Das werden wir in weiteren Artikeln aufnehmen.

Alles natürlich mit dem Ziel: make your computers fly!

Wie sich komplizierte Aufgaben bewältigen lassen

Wie sich komplizierte Aufgaben bewältigen lassen

Wie können wir die komplizierten Aufgaben lösen, wenn wir Unternehmen unter Unsicherheit wirklich gut steuern wollen? Wie schreibt man eine gute Dokumentation für die Anforderungen, die wir an Controlling Systeme haben? Wie vermittelt man die komplizierten Zusammenhänge des Unternehmens und seiner Steuerung?

Es gibt Antworten auf diese Fragen. Vielleicht kennen sie das Prinzip der Pyramide von Barbara Minto? Oder die Darwin Information Typing Architecture von IBM? Oder die Entwurfsmuster, die in der Softwareentwicklung eingesetzt werden?

Sie folgen alle den gleichen Prinzipien:

Sie machen Komplexität handhabbar, indem sie Module bilden, die nur lose miteinander gekoppelt sind. Dazu muss man eine Unterscheidung treffen, eine Unterscheidung zwischen dem, was interessiert und dem, was nicht interessiert. Was das ist, entscheiden wir nach dem Zweck, den wir verfolgen. Er gibt der Unterscheidung einen Sinn.

Die soziologische Systemtheorie und die Actor-Network Theorie erklären, wie das geht. Und, wo man aufpassen muss. Die Verfahren, die wir dabei anwenden, sind universell, aber durchaus riskant. Es lohnt sich, genau hinzuschauen.

Ich bereite deshalb gerade einen Beitrag vor, der uns mit etwas Theorie versorgen wird. Es geht dabei um soziale Systeme, denn in der Systembildung können wir die Muster erkennen, mit denen wir Komplexität handhabbar machen. Wir werden auch sehen, dass genau sie Gegenstand der Steuerung sind, und zwar als Objekt und als Subjekt.

Mit dieser Vorbereitung werden wir damit beginnen können, genauer zu beschreiben, was wir steuern wollen, wie wir steuern wollen. Beides sind Voraussetzungen dafür richtig gute Controlling Systeme zu bauen, die auch unter Unsicherheit schnell und flexibel reagieren können.

Weil es jetzt mehr um die Arbeit in Kooperation mit anderen Menschen geht, wechseln wir vom Motorradfahren zum Bergsteigen. Ich hoffe, das findet auch seine Liebhaber.

Design-Kriterien für Controlling Systeme

Design-Kriterien für Controlling Systeme

Beim Motoradfahren ist es nicht möglich, alle Fahrbedingungen vollständig unter Kontrolle zu haben, weil die Umweltbedingungen zu ungewiss sind. Trotzdem kommt man damit klar. Ich greife die Vorstellung der Bewegungsentwürfe noch einmal auf, um Design-Kriterien für Controlling Systeme abzuleiten. Ich beziehe sie jetzt aber auf die kompliziertere Situation bei der Steuerung von Unternehmen.

Die Automatisierung von Controlling-Prozessen ist keine leichte Aufgabe. Das liegt unter anderem daran, dass das Controlling im Rahmen der Steuerung eine Dienstleistungsfunktion hat. Controlling ist Lieferant von spezifischen Selbstbeschreibungen und Selbstbeobachtungen des Unternehmens und leistet damit einen Beitrag zur Kommunikation im Unternehmen. Dieser Beitrag hat zumeist einen Schwerpunkt auf einer modellgestützten, vernunftorientierten Sicht auf das Unternehmen. Er trägt damit zu einer möglichst rationalen, zielorientierten Selbstbeschreibung bei.

Steuerung erfolgt aber auch auf Basis nicht rationalisierbarer oder nicht in Controlling Systemen abbildbarer Vorstellungen und findet in einem Umfeld von mehr oder weniger großer Unsicherheit statt. Das führt dazu, dass sich die spezifischen Beiträge des Controllings an den Diskurs im Unternehmen und an sich verändernde Umstände anpassen müssen, um relevant zu bleiben.

Es macht also Sinn, sich Gedanken über die Gestaltung von Controlling Systemen zu machen. Um Anforderungen abzuleiten, setzt ich noch einmal bei den Bewegungsentwürfen an. Diese habe ich bereits in meinem Artikel „Vollständige Kontrolle ist eine Illusion“ mit dem Bezug zum Motoradfahren beschrieben.

Bewegungsentwürfe sind riskant

Die Steuerung von Unternehmen setzt auf einem Bewegungsentwurf auf, der meist explizit in Form einer Planung erstellt wird. Er kann aber auch implizit in der Vorstellung einer Gruppe von Entscheidern vorhanden sein und auf diese Weise Handlungen leiten. Unter Unsicherheit wird die Erzählung des Bewegungsentwurfs zur fiktiven Beschreibung einer wahrscheinlichen Realität, auf die sich alle Beteiligten einigen können. So entsteht eine Basis, die nicht Zukunft voraussagt, sondern Anschlussfähigkeit von Entscheidungen.

Jede Form der Erzählung setzt bereits eine Reduktion dessen, was erzählt, wird voraus. Die Darstellung durch mathematische Modelle und die Codierung von Kennzahlen reduziert Sachverhalte noch einmal zusätzlich. Dadurch gewinnen sie an Nachvollziehbarkeit und formelhafter Reproduzierbarkeit. Die Beschreibung wird transparent und automatisierbar. Die modellhafte Beschreibung von Bewegungsentwürfen transportiert damit eine Sicht, die auf Rationalität und eine aus Vernunft ableitbare Ordnung setzt. Wir verlassen uns auf diese Darstellung.

Diese Vorstellung lässt uns aber auch gerne vergessen, dass die Umstände nicht so sind, weil sie so sind, sondern weil wir sie so wahrnehmen beziehungsweise so beschreiben. Die Herausforderungen habe ich in zwei früheren Artikeln dargestellt. Links finden Sie etwas weiter unten.

Die Folgen der Reduktion von Codierung müssen beheben

Die Codierung von Bewegungsentwürfen mit Kennzahlen verkürzt ihre potenzielle Beschreibung. Das macht sie nachvollziehbar, regelbasiert geordnet und erlaubt eine automatisierte Herstellung der Codierung. Die Verkürzung der Beschreibung erhöht auf der anderen Seite die semantische Komplexität. Sie besteht darin, dass der Empfänger der Beschreibung auf Lücken und Auslassungen trifft, die er mit seinem Vorwissen auf eine riskante Weise schließen muss. Eine Verbesserung der Situation tritt ein, wenn sich eine Vertrautheit mit den Verkürzungen der Beschreibung einstellt. Diese kann sich auf positive Erfahrungen oder zusätzliche Informationen stützen. Dieser Umstand wirkt auf die Annahmen und Verfahren der Beschreibung zurück und bewirkt Veränderungen, die sich positive auf die Aufnahme auswirken. („Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz“)

Entscheidungsräume verhandeln

In einem Umfeld, in dem fundamentale Unsicherheit über die Wirksamkeit von Entscheidungen auf zukünftige Gegenwarten besteht, lässt sich keine Vernunft begründen, die einen Standpunkt in allen Aspekten über andere Standpunkte heraushebt. Abweichende Einschätzungen werden zumindest in Teilbereichen bestehen und für die Erzählung eines gemeinsamen Entscheidungsraumes akzeptiert werden müssen. Das erscheint mühsam, kann aber auch nützlich sein. Dann nämlich wenn in Punkten, in denen keine Einigkeit besteht, Vorsicht zur Vermeidung von Risiken führt.

Auf jeden Fall wird es neben Bereichen, in denen die Erstellung von Beschreibungen einvernehmlich automatisiert werden kann, auch Bereiche geben, in denen sich Bewertungen gegenüberstehen und einer fortgesetzten Diskussion unterliegen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Teilbereiche, in denen diskutiert wird, fortlaufend verändern, weil sich auch die Verhältnisse im Zeitablauf verändern. Und auch sicher geglaubte Bewertungen müssen neu befragt werden. („Vernunftordnung und Differenzenlogik – die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen“)

Was ist zu tun?

Die von Controlling-Systemen bereitgestellten Informationen sind im Kontext der insgesamt im Unternehmen stattfindenden Kommunikation zu sehen. Kommunikationen des Controllings stehen in Konkurrenz und manchmal im Widerspruch zu anderen Beiträgen, mit denen der Entscheidungsraum beschrieben wird. Er dient als Grundlage von Entscheidungen unter Unsicherheit. Um eine wirksame Vertrauensarena zu schaffen, muss die Erzählung des Entscheidungsraums Zustimmung finden. Hierin besteht das Ziel von Entscheidungsgrundlagen.

Wenn Bewegungsentwürfe riskant sind, dann ist es schwierig ihre Beschreibung z.B. in Kennzahlensystemen zu codieren und Zustimmung zu organisieren. In den beiden Artikeln habe ich aufgezählt, was zu tun ist, um Risiken bei der Beschreibung von Entscheidungsräumen zu vermindern. Risikominderung erfordert in der Regel die Erhebung neuer oder detaillierterer Informationen und bei Bedarf Anpassungen von Verfahren. Wo diese Anforderungen auftreten werden, ist nicht vorhersagbar.

Anforderungen

Mit dem Blick auf die Zielsetzung von Steuerungssystemen, eine gemeinschaftliche Erzählung eines möglichen Entscheidungsraums herzustellen, lassen sich die folgenden Anforderungen an Informationssysteme zusammenfassen:

  1. Alle Teile der Beschreibung des Bewegungsentwurfs brauchen eine transparente Struktur, in der Geltungsansprüche, auf die man sich einigt, mit der nötigen Detaillierung dargestellt werden.
  2. In anderen Teilen der Beschreibung können konkurrierende Versionen entstehen, die mehr oder weniger veränderlich, vielleicht auch automatisiert erstellt werden, und bei widersprüchlichen Signalen weiteren Informationsbedarf ankündigen.
  3. In allen Teilen der Beschreibung muss mit Änderungen gerechnet werden. Das macht es wünschenswert, dass sich Veränderungen an Teilaspekten möglichst wenig auf andere Teile der Beschreibung auswirken.

Diese Art der oben aufgezählten Anforderungen lässt sich am besten mit einer durchdachten Modularisierung erreichen. Die Modulbildung muss sich dabei zunächst auf den Bewegungsentwurf beziehen, der sich als Netzwerk von Teilbewegungen verstehen lassen kann. In einem weiteren Schritt sollte auch auf die Beschreibung des Bewegungsentwurfes aus Modulen bestehen, die sich als Netzwerk von Teilbeschreibung auffassen lassen.

Die Module sollten in beiden Bereichen voneinander unabhängig sein, damit Controller sie ohne Nebeneffekte verändern können. In einer solchen Struktur können sie schnell und sicher auf neue Anforderungen reagieren.

Transparenz, also eine vollständige und nachvollziehbare Erklärung, was beschrieben wird und wie Bewertungen zustande kommen, ist dabei Pflicht für alle Module. Diese Anforderung ergibt sich daraus, dass die Erzählung des Entscheidungsraums nur im Vertrauen darauf entsteht, Beschreibungen verlässlich deuten zu können. Eine gelungene Modularisierung kann hier zur Transparenz und damit zur Verlässlichkeit beitragen.

Muster für den Umgang mit Komplexität

In der Art, wie Codierungen mit Komplexität umgehen, lässt sich ein allgemeines Muster zum Umgang mit Komplexität erkennen. Indem sich ein System auf die Verarbeitung ausgewählter Beobachtungen konzentriert, reduziert es Komplexität innerhalb seiner Grenzen. Damit entsteht beziehungsweise erhöht sich die semantische Komplexität beim Empfänger der vom System verarbeiteten Informationen. Sie gefährdet den Sinn der Informationsverarbeitung. Das System nimmt diese Gefahr als Minderung der Anschlussfähigkeit seiner ausgehenden Kommunikation wahr. Bei Bedarf passt es die Selektion seiner Beobachtungen und Verarbeitungsschritte an, um die Anschlussfähigkeit wieder zu verbessern.

Was bedeutet das?

Beim Motorradfahren ist die Anzahl der Hebel und Eingriffe übersichtlich. Der Bewegungsentwurf, dem ich z.B. in einer Kurve folge, ist zwar eine Fiktion. Meine Beobachtungen und Reaktion sind dagegen aber sehr konkret oder fühlen sich für mich sehr konkret an. Mit etwas Übung kann ich mich auf meine Wahrnehmungen verlassen. Bei der Unternehmenssteuerung ist diese Art der Verlässlichkeit eine Herausforderung.

Verlässlichkeit braucht flexible Berechenbarkeit

Erzählungen sind die effektive Basis für Entscheidungen in Unternehmen. Sie können den sehr verschiedenen Vorstellungen der Erzähler folgen. Daten, Datenverarbeitung, Berechnungen, analytische Verfahren und Modelle sorgen aber dafür, dass es etwas Nachvollziehbares zu erzählen gibt. Sie bestimmen ganz entscheidend darüber, mit welcher Konsistenz, Nachprüfbarkeit und technischen Qualität Erzähler Bewertungen erstellen und zu Erzählungen machen. Sie stellen eine zwar irreale, aber möglichst realistische Realität dar, die Ordnung in das Erzählen bringt und somit unerlässlich ist.

Wir müssen noch mehr tun

Die Herausforderungen, denen Controlling Systeme gegenüberstehen, sind nicht leicht zu bewältigen. Und leider muss ich an dieser Stelle zwei Fragen offenlassen.

  1. Wie werden Unternehmen, oder allgemeiner soziale Systeme, gesteuert? Ich habe eingangs nur ein paar Bedingungen genannt, um die Überlegungen zu Controlling Systemen zu motivieren. Wir sollten aber noch einmal genauer hinsehen, welche Art von Kommunikationen verarbeiten müssen, um wirksam zu steuern.
  2. Ich bin eine Erklärung schuldig, wie wir Bewegungsentwürfe und deren Beschreibungen in ein funktionierendes, modulares Konzept übertragen können. Dafür müssen wir etwas weiter ausholen, so dass eine Erklärung hier nicht mehr Platz findet.

Bei den beiden offenen Fragen geht es darum, was Sie steuern wollen (Frage 2) und wie Sie steuern wollen (Frage 1). Beide werde ich in weiteren Artikel beantworten.

In der Zwischenzeit: Make your computers fly!

P.S.: Mittlerweiler erschienen ist mein Artikel Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung. Dieser Artikel ist zentral für eine Antwort auf die beiden offenen Fragen. Der Artikel erklärt, dass soziale Systeme der Gegenstand der Steuerung sind, und dass sie als die Module bei der Modellierung von Leistungen betrachtet werden können.

Vernunftordnung und Differenzenlogik – die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen

Vernunftordnung und Differenzenlogik – die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen

Was bedeutet Rationalität, wenn Unsicherheit nicht beseitigt werden kann?

Bei der Beschreibung und Codierung von Bewegungsentwürfen gibt es zwei Ursachen, die dazu beitragen, dass Entscheidungen auf ihrer Basis unsicher bleiben.

  • Erstens sind präzise Vorhersagen in der Ökonomie grundsätzlich nicht möglich. Sie beziehen sich nämlich auf Erwartungen, die auch von den Erwartungen anderer Marktteilnehmer abhängen.
  • Zweitens bleibt die Formulierung und Codierung von Bewegungsentwürfen eine Frage der Sichtweise, der Auslegung von Bedeutungen und der Verständigung auf Annahmen.

Kenntnisse, Einschätzungen, Präferenzen sind bei unterschiedlichen Empfängern nicht gleich. So liefert eine Codierung nur scheinbar eindeutige Antworten: die Reduktionen der Codierung eröffnen zusammen mit der generellen Unvorhersehbarkeit zukünftiger Gegenwarten ein Spannungsfeld von Bewertungen. Diese können nicht mehr in falsch und richtig eingeordnet werden. Wir müssen also davon ausgehen, dass es auch bei dem Versuch, eine gemeinschaftliche Erzählung eines Entscheidungsraums zu erstellen, zu unterschiedlichen Auffassungen kommt. Und keine von von ihnen kann noch beanspruchen, allgemeingültig zu sein. (Zur gemeinschaftlichen Erzählung von Entscheidungsräumen als plausibilisierte Quasigewissheit: Priddat, Erwartung, Prognose, Fiktion, Narration; Zur Epistemologie des Futurs in der Ökonomie, Metropolis-Verlag.)

Rekonstruktion von Rationalität

Damit stellt sich auch die Rationalität von Entscheidungsgrundlagen anders dar. Sie kann sich nicht mehr ausschließlich auf ein Vernunftmodell von Ordnung stützen, in dem es ein von allen geteiltes Wissen gibt. Sie muss eine Balance mit den Differenzen der Bewertungen finden. In dieser ist sowohl fokussierte Argumentation als auch die Legitimierung vertretbarer andere Sichtweisen möglich. Das ist besonders deshalb zu beachten, weil mit der Erzählung des möglichen Entscheidungsraums auch eine Vertrauensarena geschaffen werden soll. Hierin dürfen sich Entscheider gemeinschaftlich legitimiert zutrauen, eine Entscheidung zu treffen.

Bei den Erläuterungen der beiden Pole von Einvernehmen und Anerkennung nehme ich noch einmal Bezug auf das Modell einer abstrakten Cash-Flow erzeugenden Maschine. In dem Modell codiere ich Investitionen mit dem ROI auf Basis eines discounted cash-flow Methode. Siehe auch den Beitrag „Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz“.

Vernunft

Eindeutigkeit und Orientierung

In einer Ordnung, die davon ausgeht, dass es möglich ist, durch Argumentation den bestmöglichen Standpunkt für eine Entscheidung zu finden, spielt die Vorstellung von Vernunft eine große Rolle. Zustimmung wird demjenigen Standpunkt zugesprochen, von dem man annimmt, dass er sich aus einem allgemein einsehbaren Grund folgern lässt. So werden legitime Gründe und Sachpositionen knappgehalten und andere Positionen zur Rechtfertigung gezwungen. Auftretende Differenzen werden durch Begründung vernünftiger und Verweigerung der Anerkennung irrationaler Standpunkte reduziert. Geteiltes Wissen folgt dem Wunsch nach Eindeutigkeit und Orientierung.

Am Beispiel der Codierung von Cash-Flow Vorhersagen durch den ROI bedeutet dies, dass Annahmen und Einschätzungen als begründet und ausreichend sicher akzeptiert werden. Anwendungsfälle, in denen sich die einzelnen Investitionen, die miteinander verglichen werden sollen, nicht groß voneinander unterscheiden, erreichen dieses Ziel.

Unsicherheit macht Einigkeit unwahrscheinlich

In einer Situation, in der grundsätzliche Unsicherheit besteht, ist die Koordination durch geteiltes Wissen aber ein unwahrscheinlicher Mechanismus sozialer Handlungskoordination. Er bestärkt eventuell bestehende tiefliegende Konflikttendenzen. Außerdem läuft er grundsätzlich Gefahr, mögliche Kapazitätsgrenzen der Kommunikation zu sprengen, weil einfach nicht alles diskutiert werden kann. Mit der Zumutung der Umorganisation von Überzeugungen erreicht er im schlimmsten Fall die Belastungsgrenzen der Teilnehmer.

Bei der Bewertung von Cash-Flow-Vorhersagen treten unterschiedliche Auffassung häufig auf, wenn sehr unterschiedliche oder sehr individuelle Investitionen bewertet werden sollen. Investitionen im Projektgeschäft sind ein solcher Fall. Abgesehen davon, dass Projektverläufe und die aus ihrem Ergebnis zu erwartenden Geld-Rückflüsse nur sehr schwer vorherzusagen sind, verknüpfen sich Projekte häufig mit nicht-monetären und individuellen Erwartungen, die einen Einfluss auf die Beurteilung monetärer Aspekte nehmen. Dieser Einfluss ist oft kaum aufzulösen.

Bei Gelingen starke Koordination

Im Erfolgsfall ermöglichen Zustimmung und geteiltes Wissen jedoch eine starke Form der Handlungskoordination.

Anerkennung

Legitimität anderer Sichtweisen

Mit der Verständigung auf unterschiedliche Standpunkte erfolgt eine Ausweitung der legitimerweise vertretbaren Sichtweisen. Auf die Anerkennung von Differenz zielende Erzählungen vergegenwärtigen einen lebensweltlichen Kontext, aus dem heraus unterschiedliche Sprecherpositionen nachvollziehbar gemacht werden. Sie erreichen damit die Bestätigung von Individualität, einen Bereich einer vom System anerkannter abweichender Rationalität und eine normative Legitimität von Differenz.

Das lässt sich wieder gut an der Situation im Projektcontrolling erläutern. Ein Bewegungsentwurf, der aus der Vorhersage von Cash-Flows besteht, kann gut in die verschiedenen Lebenszyklus-Phasen des Projektes zerlegt werden. Gibt es verschiedenen Auffassungen über die Cash-Flows einzelner Phasen, dann kann die Vorhersage hier in Alternativen formuliert und bei der Analyse berücksichtigt werden. Tritt dieser Fall an mehreren Stellen auf, dann lässt sich sogar eine Verteilung möglicher ROIs aufstellen. Auf jeden Fall sollte die Differenz Anlass zum Gespräch und vielleicht zur Erhebung weiterer Informationen sein.

Die Anerkennung von Differenz kann in einer Situation der Unbestimmtheit entscheidend sein für eine gemeinschaftliche Erzählung der gegenwärtigen Zukunft. Differenzen greifen möglicherweise Risiken und Bedenken auf, die zur Vermeidung riskanter oder strittiger Handlungen führt. Auf diese Weise werden Fehleinschätzungen von Bewertungsfragen oder Vorhersagen zwar nicht als solche identifiziert, es besteht aber die Möglichkeit, dass aus Vorsicht allzu kritische Deutungen von Codierungen nicht angewendet werden.

Ein Mindestbestand an Übereinstimmung ist notwendig

Bestimmte Praktiken der Verständigung versagen allerdings auch, wenn ein bestimmter Bestand an Überzeugungen nicht mehr geteilt wird. In unserem Beispiel ist das dann der Fall, wenn die Verwendung der Kennzahl vollständig abgelehnt wird. Einverständnis und Anerkennung ergänzen sich an dieser Stelle. Die Relativierung von Ordnungsansprüchen kann es erlauben, dass thematisch eingegrenzte, fokussierte Argumentationen erfolgreich sind. Sie werden dann als Basis der Handlungskoordination wirksam und entlasten die Alltagskommunikation von Konsenszumutungen.

Im Ergebnis könnten in unserem Beispiel zwar alle Beteiligten die Verwendung des ROI unterstützen. Aber sie identifizieren vielleicht Konstellationen, in denen sie sich nicht auf die Kennzahl verlassen und bei Bedarf auf weitere Informationen zugreifen wollen. Diese gemeinschaftliche Einschätzung schafft dann genau die Vertrauensarena, innerhalb derer die Gemeinschafft das Treffen von Entscheidungen legitimiert.

Was bedeutet das?

Differenzierte Entscheidungsräume

In Situationen, in denen Unsicherheit eine eindeutige Einschätzung verhindert, treten fast immer unterschiedliche Sichtweisen auf. Das ist nicht zu verhindern und auch weiter kein Problem, solange sie den Anlass bieten, den Ursachen in weiteren Gesprächen oder Analysen auf den Grund zu gehen. Oder sie werden als Unterschiede akzeptiert und stecken damit den Entscheidungsraum anders ab. Die Differenz bleibt dann als Unsicherheit im Entscheidungsraum enthalten, ist aber zumindest schon benannt.

Eine weitere Analyse sowie eine differenziertere Gestaltung des Entscheidungsraums setzt zwei Dinge voraus:

(1) Die Beschreibung des Bewegungsentwurfs und seine Codierung sind so weit transparent, dass sie von den Beteiligten nachvollzogen werden können. Eine bessere Kommunikation von Annahmen und Methoden sollte hier bestehende Lücken schließen. Oder eine weitere Berechnung differenziert die Schwachstellen.

(2) Die Zerlegung des Analysegegenstands, hier also des Bewegungsentwurfs, erlaubt eine differenziertere Betrachtung. Sie stellt damit mehr Bereiche zur Verfügung, innerhalb derer Übereinstimmung oder Differenz festgestellt werden kann. Im Idealfall können Bereiche, in denen eine unterschiedliche Einschätzung vorliegt, präzise herausgearbeitet werden. Das stärkt Bereiche, in denen man sich einig ist, so dass sie einen möglichst großen Raum einnehmen.

Ein dynamischer Prozess

Ein auf diese Weise abgesteckter Entscheidungsraum kann eine gewisse Zeit eine stabile Basis für Entscheidungen sein. Üblicherweise bleiben die Verhältnisse aber nicht über längere Zeiträume stabil. Änderungen können deshalb erwartet werden. Das kann die Bereiche, in denen es zu Differenzen kommt, verschieben und neue Gespräche und Analysen notwendig machen.

Warum ist diese Feststellung interessant?

Für einen Praktiker aus dem Controlling ist es sicherlich nicht überraschend, dass die Beteiligten die Entscheidungsräume untereinander aushandeln. Wer Verhandlungen führt, weiß auch, dass es leichter ist, eine Verhandlungslösung zu finden, wenn man den Verhandlungsgegenstand differenziert. Jede Partei hat dann die Möglichkeit, eigene Ziele zu erreichen und gleichzeitig Zugeständnisse zu machen. Und natürlich wissen alle erfahrenen Controller, dass die Verhandlung der Entscheidungsräume ein fortwährender, dynamischer Prozess ist. Es lässt sich nicht verhindern, auch wenn es immer mühsam ist.

Anforderungen an Controlling Systeme

Daraus ergeben sich die folgenden Anforderungen an Informationssysteme im Controlling:

  1. Informationsprozesse müssen transparent sein. Die Klärung von Hintergründen und Details macht es erforderlich, bei Bedarf an verschiedenen Stellen weitere Informationen und Verfahren einzubauen. Es ist nicht vorhersehbar, wann und wo der Bedarf entsteht.
  2. Informationsprozesse müssen eine flexible Basis für die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen sein. Auch hieraus ergibt sich die Anforderung, Informationen bei Bedarf weiter differenzieren zu können. Und eventuell muss die Informationsversorgung auch mal wieder vereinfacht werden.
  3. Die Architektur von Controlling-Systemen sollte diese Anforderungen unterstützen. Ich favorisiere dafür modulare Konzepte. Aber das müssen wir ein anderes mal aufgreifen.

In der Hoffnung, dass beim nächsten Mal alles besser wird:
Make your Computers fly!

Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz

Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz

Wie stellen Controller eine Entscheidungsgrundlage her und wie kann sie durch Controlling-Prozesse automatisiert werden?

Der Steuerung liegt immer ein Bewegungsentwurf zugrunde. Er bezieht sich auf eine zukünftige Gegenwart und liefert eine Begründung für die zu treffenden Entscheidungen. Man nennt das eine Entscheidungsgrundlage. Sie wird meist vom Controlling bereitgestellt. Die Beschreibung ist dabei immer unsicher, weil die zukünftige Gegenwart nicht mit der gegenwärtigen Zukunft übereinstimmen muss.

Beispiel

Um den Vorgang zu erklären, wählen wir als Beispiel eine Cash-Flow generierenden Maschine. Sie wird im Rahmen einer Investitionsentscheidung beschafft und erzeugt dann in der Folge Cash-Flows. Im Beispiel soll dies eine abstrakte Maschine sein, so dass die Cash-Flows genauso aus der Investition in einen Kundenkredit, aus der Investition in eine Aluminium Strangpressmaschine oder aus dem Erwerb eines ganzen Unternehmens stammen können. Der Bewegungsentwurf für eine solche Investition besteht in unserem Beispiel deshalb aus Cash-Flows. Die Investition erzeugt Cash-Flows im Zeitpunkt der Investition und die abstrakte Maschine erzeugt sie während ihrer Lebenszeit. Diese Vorstellung enthält eine weitere Abstraktion. Denn es interessiert uns nicht nur nicht, was für eine Maschine die Cash-Flows erzeugt. Sondern auch alle anderen nicht-monetären Motive spielen keine Rolle. Diese Feststellung ist wichtig für unser Beispiel.

Codierung als Reduktion

Codierung

Die Allgemeinheit des Beispiel-Modells ist wichtig, weil ich jetzt versuchen kann, verschiedene Investments miteinander zu vergleichen. Um das zu tun, erstelle ich die Kennzahl „Return on Investment“ (ROI), die ich mit der Discounted-Cash-Flow Methode errechne. Dabei werden die im Bewegungsmodell erwarteten Cash-Flows mit einem risikoadjustierten Zins auf den Anfangszeitpunkt der Investition diskontiert und dem Investment gegenübergestellt. Das ist grundsätzliche eine einfache Methode, die jedem Investment einen Wert zuweist, der es codiert.

Entscheidungsgrundlage

Wenn ich in der Rolle eines Entscheiders bin, der Investitionsentscheidungen trifft, ohne sich um die Zusammensetzung des eingesetzten Kapitals kümmern zu müssen, kann ich die Investments jetzt nach ihrem ROI sortieren und mich z.B. für die Investments mit dem höchsten ROI entscheiden. Die Kennzahl stützt sich auf ein klares, methodisch sauberes Konzept, das eine wirksame Basis für eine Erzählung zur Entscheidung liefert. Sie kann wenigstens prinzipiell konsensfähig sein.

Probleme im Detail

Die Probleme liegen hier jedoch im Detail. In die Berechnung des ROI gehen viele Annahmen z.B. darüber ein, mit welchen Cash-Flows in der Zukunft zu rechnen ist. Der ROI unterstellt außerdem, dass es bei der Investitionsentscheidung ausschließlich um einen berechenbaren Geldwert geht, dass Nebenziele z.B. aus einem sozialen Engagement (soweit man sie nicht ebenfalls in Geldwerte umrechnen will) keine Rolle spielen. Zuletzt ist auch der risikoadjustierte Diskontzins alles andere als eindeutig bestimmbar. Er hängt ab vom Risiko des Investments. Damit bestimmt sich der Zins aus einer Risikoeinschätzung der zukünftigen Cash-Flows sowie einer Preiseinschätzung für diese Risiken.

Die Kennzahl reduziert als eine Codierung ihre Aufmerksamkeit auf ausgewählte Effekte und ignoriert alles andere. Das macht sie effizient und nachvollziehbar. Über ihre Berechnungsvorschrift kann ich die Erzeugung der Kennzahl automatisieren. Wenn sie meine Entscheidungsgrundlage darstellt, dann kann ich die Entscheidungsgrundlage automatisiert erzeugen.

Semantische Komplexität

Bei geringen Unterschieden gut anwendbar

Es ist klar, dass sich die Bedeutung des Wertes, den unsere Kennzahl ausweist, nicht unmittelbar jedem Empfänger erschließt. Die Bewertung funktioniert noch gut, wenn ich mit dem gleichen Rechenverfahren sehr ähnliche Investments bewerte und ihre Codierung durch die Kennzahl vergleiche. Das könnten z.B. gleichartige, festverzinsliche Wertpapiere sein, die von ähnlichen Emittenten stammen und sich im Wesentlichen in ihrer Restlaufzeit unterscheiden. Ich kann den ROI dann einfach als Aussage über den Vergleich auffassen, ohne dass ich seinen Wert als eine absolute Größe einordne.

Mit den Unterschieden wachsen die Schwierigkeiten

Sobald die Unterschiede zwischen den Investitionen größer werden, muss ich mich aber fragen, ob die von mir getroffenen Annahmen der Berechnung einen Vergleich noch zulassen. Jeder andere Nutzer der Codierung kennt vielleicht noch nicht einmal meine Annahmen. Er stellt sich zusätzlich die Frage, ob die Annahmen überhaupt zuverlässig und außerhalb von Interessenkonflikten getroffen worden sind.

Die Interpretation ist entscheidend

Wir sprechen hier von semantischer Komplexität, weil es um die Bedeutung des Zeichens (hier dem ROI als Wert) geht, mit dem wir das Investment codiert haben. Die unbeantwortbaren Fragen sorgen dafür, dass die Codierung erstens hätte anders ausfallen können. Und zweitens sorgen sie dafür, dass der Empfänger die Deutung der Kennzahl nach seinem eigenen Kenntnisstand vornehmen muss. Von dem weiß er aber nicht, ob er für eine verlässliche Bewertung ausreicht. Wenn der Empfänger der Codierung die hierdurch entstehende Unsicherheit über die Bedeutung der Kennzahl nicht ausreichend verarbeiten kann, dann wird das Ziel, eine Entscheidung mit der Beschreibung des Bewegungsentwurfs zu rechtfertigen, nicht mehr erreicht.

Was bedeutet das?

Codierung führt immer zu semantischer Komplexität

Die Voraussetzung für die Automatisierung von Entscheidungsgrundlagen besteht darin, dass die Beschreibung von Bewegungsentwürfen codiert wird. Die Codierung basiert dabei auf der Abstraktion des Bewegungsentwurfs, in unserem Beispiel der selektiven Beobachtung von Cash-Flows, und der Projektion der Cash-Flows auf einen Wert, den ich z.B. nach seiner Größe ordnen kann. In unserem Beispiel ist dieser Wert der ROI. Selbstverständlich hätte man jede Entscheidung der Abstraktion und der Projektion auch anders treffen können, aber das ist hier nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Codierung der Entscheidungsgrundlage an anderer Stelle, nämlich beim Empfänger, zu einer semantischen Komplexität führt, die der Empfänger bearbeiten muss. Das passiert immer, egal welche Entscheidungen ich bei der Codierung treffe.

Das Ziel ist gefährdet, kann aber gerettet werden

Maßnahmen, die zur Automatisierung von Entscheidungsgrundlagen getroffen werden, müssen also damit rechnen, dass es für den Nutzer der Entscheidungsgrundlage schwieriger wird, die Bedeutung der Codierung einzuordnen und sie richtig einzusetzen. Sie laufen damit Gefahr, für die Rechtfertigung von Entscheidungen weniger relevant zu werden. Das ist nicht immer der Fall. Und es können Maßnahmen ergriffen werden, die es den Nutzern von Entscheidungsgrundlagen erleichtern, die Komplexität zu behandeln.

Maßnahmen zur Behandlung von semantischer Komplexität

Abhilfe ist in dieser Situation an zwei Stellen möglich.

Erleuterung der Bewertung

Erstens kann neben der Kennzahl eine Erläuterung ihrer Berechnung und der in die Berechnung eingeflossenen Annahmen kommuniziert werden. Das wird außerdem erreicht, wenn die Berechnung weiter differenziert wird. Bei der Investition in eine Aluminium Strangpressmaschine können die erwarteten Cash-Flows z.B. in Gruppen eingeteilt werden, je nachdem ob ein kompliziertes oder ein einfaches Presswerkzeug eingesetzt wird. Die Absatzmärkte und Margen unterscheiden sich für diese Gruppen, so dass die Differenzierung einen besseren Einblick in Chancen und Risiken verschafft. Die Erläuterung von Annahmen kann z.B. enthalten, auf welche Weise der Diskontzins abgeleitet oder ermittelt wird. Diese Zusatzinformation erleichtert den Vergleich mit anderen Bewertungen. Erläuterung und Differenzierung schließen potenzielle Lücken bei der Nachvollziehbarkeit der Bewertung.

Fine Tuning durch Verwendung

Zweitens kann sich ein Zutrauen in die Bewertung der Kennzahl durch wiederholte Verwendung und Rückschau der Ergebnisse entwickeln. Vertrauen entsteht dann durch positive Erfahrungen mit der Verlässlichkeit und Vorhersagekraft der Kennzahl. Die Analyse und Diskussion von Ursachen im negativen Fall und falls hilfreich die Anpassung der Berechnungsverfahren vergrößert die Chancen auf positive Erfahrungen und die Wirksamkeit der Kennzahl. Gleichzeitig stärken sie das nötige Wissen zur Interpretation der Kennzahl.

In diesem zweiten Maßnahmenbündel wird die Herstellung der Kennzahl zum Thema der Analyse, die zur Anpassung der Beobachtung bzw. Beschreibung des Bewegungsentwurfs führt. Stellen wir z.B. als Investor einer Strangpressmaschine fest, dass die Margen bei der Produktion von Aluminiumsträngen mit einfachen Werkzeugen niedriger ausfallen als ursprünglich angenommen, dann können wir diese Annahme anpassen. Oder wir stellen fest, dass unsere Kunden Zahlungsfristen für Rechnungen regelmäßig überziehen. Dann richten wir den Bewegungsentwurf, der den zeitlichen Verlauf der Cash-Flows beschreibt, an der neuen Beobachtung aus.

Das grundsätzliche Problem bleibt zwar bestehen, dass unser Bewegungsmodell Unsicherheiten enthält und damit Komplexität in die Deutung der Kennzahl verschiebt. Die Verwendung und Deutung der Kennzahl entwickelt sich aber in einem evolutionären Prozess zu einem verlässlicheren Verfahren, das nicht-anschlussfähige Berechnungen, Annahmen und Auslegungen mit der Zeit eliminiert.

Warum ist diese Feststellung interessant?

Meine Beschreibung, zu welchen Effekten die Verwendung von Kennzahlen führt, ist nicht gerade weltbewegend. Immerhin wissen wir jetzt, dass Kennzahlen erklärt werden müssen. Wozu also die Mühe und die Verknüpfung mit den Fremdwörtern?

Anforderungen an Informationssysteme im Controlling
  1. Informationssysteme müssen sich darauf einstellen, Nutzern Kennzahlen zu erläutern und deren Bedeutung zu differenzieren. Unschärfen von Deutungen werden dabei nicht immer an den gleichen Stellen auftreten. Das macht es erforderlich, je nach Bedarf, an anderen Stellen detailliertere Informationen einzubauen.
  2. Wenn sich das Zutrauen in Kennzahlen durch praktische Übung verbessern soll, dann ist es auch notwendig, Anpassungen an der Berechnung zu ermöglichen. Dazu muss die Berechnung in den Informationssystemen transparent sein und Änderungen erlauben.
Muster für die Behandlung von Komplexität

Der Vorgang, den ich hier beschrieben habe, ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir Komplexität behandeln. Das ist in der soziologischen Systemtheorie ausführlich beschrieben. Wir haben hier ein einfaches Beispiel gesehen. Die Systemtheorie liefert aber Erklärungen auch für kompliziertere Zusammenhänge, die wir an anderer Stelle gut gebrauchen können.

  1. Sie hilft uns z.B. Anforderungen an Controlling-Systeme zu formulieren und dabei Begründung und Vollständigkeit zu prüfen.
  2. Sie zeigt uns Potenzial und Grenzen von Automatisierungen und kann auf Möglichkeiten für den Einsatz künstlicher Intelligenz hinweisen, bei der wir nicht fürchten müssen, nicht mehr Herr unserer Erzählungen zur Steuerung zu sein.
  3. Und, was mir wichtig ist: Systemtheorie ist keine Wissenschaft, die sich auf weichen Faktoren beschränkt. Ich habe ganz absichtlich ein Beispiel gewählt, das sich auf monetäre Faktoren bezieht und dabei ein großes mathematisches Gewicht haben kann. Das passt gut zusammen.

In dem Beitrag Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit habe ich das Muster zur Handhabung von Komplexität weiter beschrieben. Der Text ist etwas umfangreich, behandelt dafür aber auch Auswirkungen und Anwendungen der Abgeschlossenheit.

In diesem Sinne: Make your Computers fly!

Eine englische Version des Beitrags habe ich auf LinkedIn unter dem Titel „Automation between reduction and emergence“ gepostet.

Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung:
Tel. +49-160 5438306 oder
per mail an frank@fp-consulting.org

Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Begriffsbestimmung und Bedeutung für die Organisation von Kommunikation. 

Was nennen wir operationale Abgeschlossenheit? Die Frage begegnet uns immer häufiger und nicht nur in der Soziologie, in der das Konzept maßgeblich von Niklas Luhmann beschrieben wurde. Operationale Geschlossenheit meint, dass jedes System selbst eine Vorgehensweise wählt, ob, wie und wodurch es auf seine Umwelt reagiert. Das bleibt leider abstrakt und erklärt nicht, wie die Geschlossenheit aussieht und wie sie funktioniert. Mit diesem Text will ich erklären, was die in der sozialen Systemtheorie verwendete Figur eines operativ abgeschlossenen Systems bedeutet. Dafür ist es wichtig, ein Beispiel zu finden, mit dem man die Vorgänge erklären kann, die sich dabei ereignen. Wenn die Erklärung gut zugänglich sein und die Tragweite des Konzeptes deutlich werden soll, brauche ich ein allgemeines Beispiel, dem jeder folgen kann, und das nicht danach aussieht, als fänden die Vorgänge nur in sehr speziellen Kontexten statt.

Ich wähle deshalb diesen Text als ein Beispiel für ein operational abgeschlossenes System. Das mag überraschen, weil die Art des Beispiels vermuten lässt, dass es doch abstrakt bleibt. Ich werde versuchen, das zu vermeiden. Der Vorteil meines Beispiels ist, dass es so alltäglich ist, dass man mir die Allgemeinheit abnehmen wird. Es lassen sich auch andere Beispiele finden, die das Phänomen noch besser in seinen verschiedenen Ausprägungen erklären und gleichzeitig die Tragweite deutlich werden lassen. Das sollten wir aber erst in einem nächsten Schritt verfolgen.

Mein Text als Beispiel

Wenn ich meinen Text schreibe, dann habe ich vor Augen, welchen Zweck der Text erfüllen soll. In diesem Fall soll er einem Leser erklären, was man unter operationaler Abgeschlossenheit versteht, wie sie funktioniert und welche Effekte sie erzeugt. Zuletzt will ich noch die Tragweite des Konzeptes deutlich machen.

Reduktion

Ich beginne also zu schreiben und wähle bestimmte Gedanken aus, die mir durch den Kopf gehen und die ich dem Leser vorstellen will. Alles, was mir einfällt, kann ich nicht erzählen. Ich kann auch nicht alles Sagen, wovon ich vielleicht nur eine vage Vorstellung habe, weil mir die Worte dafür fehlen. Also reduziere ich die Gedanken, die ich vortrage, auf einen Kern, der in der Lage ist, Aufmerksamkeit, Anteilnahme und vielleicht eine gewisse affektive Besetzung zu erzeugen. Er soll dabei gleichzeitig deutlich machen, was ich sagen will. In der Reduktion auf diese Gedanken liegt auf jeden Fall eine Energieersparnis. Sie liegt sowohl bei mir, dem Autor, weil ich nicht alles aufschreiben muss. Und sie liegt beim Leser, der ja auch nicht unbegrenzt Zeit zum Lesen hat.

Schemata

Beim Schreiben verwende ich meistens ein Schema, das es dem Leser erleichtert, meinen Gedankengängen zu folgen. Das könnte das Schema sein, dem das klassische Drama folgt, also etwa:

  • Worum geht es?,
  • Wer hat wann was, wo getan, oder was ist passiert?,
  • Was passierte dann?,
  • Und was bedeutet das jetzt?,
  • Was schließlich passiert ist, oder was es bedeutet.

Solche Schemata erlauben es dem Leser, der Argumentation leichter zu folgen. Aus Gewohnheit und praktischer Übung weiß er dann schon, wie der Argumentationsverlauf sein wird.

Sequenzbildung

Den Text gliedere ich in einzelne Abschnitte. Sie behandeln jeweils einen Teil des Handlungsverlaufs und sind in sich besser zu verstehen. Sie reduzieren die Datenmenge, die pro Abschnitt zu verarbeiten ist. Die Abschnitte werden von mir anschließend verknüpft, so dass sich aus den Abschnitten eine Argumentation ergibt. Diese ist hoffentlich in der Lage, das Ziel des Textes zu erreichen. Die Sequenzbildung, die ich so einrichte, erlaubt die Anteilnahme an der Argumentation und bereitet eine Art Problemlösungsgemeinschaft vor. Die Sequenz läuft in der positiven Wendung des Textes aus, der Erklärung und vielleicht dem Aha-Effekt beim Leser.

Gegenseitige Toleranz

Ein entscheidender Beitrag für die Aufnahme des Textes durch den Leser besteht dabei in der von mir nicht vollständig festgelegten Argumentationskette zwischen den Abschnitten des Textes. Die vollständige Kontrolle über die Argumentation wird mir schon deshalb nicht gelingen, weil ich mich mit dem Umfang des Textes beschränken muss. Und ich kann nicht wissen, welches Vorwissen und welche Vorstellungen der Leser des Textes mitbringen wird. Vielleicht versteht er Argumente anders oder kann ihnen nicht folgen, weil er eine andere Vorstellung von den Umständen hat, auf die ich meine Argumente stütze. Diese nicht vollständig determinierte Zone zwischen den Modalitäten der Verknüpfung erlauben es dem Leser nun aber, seine eigenen Erwartungen an die Argumentation beim Lesen des Textes einzubringen. Er kann sich den Text in bestimmten Grenzen so zurechtbiegen, dass er zu seinem Vorverständnis passt.

Auf diese Weise ist der Text in der Lage, sich zwischen die Rollenfunktionen von mir als Autor und dem zukünftigen Leser des Textes zu schieben. Wenn es gut läuft, dann hat der Leser Verständnis oder Toleranz für den Text und der Text hat Toleranz für den Leser.

Reflexion durch den Autor

Wenn der Text jetzt geschrieben ist, dann hat er seine ganz eigene Struktur. Sie besteht aus der Auswahl von Begriffen, dem Plot, also den Einzelereignissen und ihrer Verbindung zu Episoden. Damit ist festgelegt, was in meinem Text als Ereignis gelten darf. Und es gibt eine Rollenerwartung an den Autor und den Leser, die sich in einer Erwartung an Teilnahme und Teilhabe zeigt.

In Gedanken gehe ich noch einmal durch, ob der Text, so wie er ist, in der Lage sein wird zu sagen, was ich ausdrücken will. Die Auswahl der Begriffe wird noch einmal vor dem Hintergrund des Gesamtwerkes geprüft. So auch der Plot. Sind die Reduktion und die Sequenzierung gelungen? Wird der Leser in der Lage sein, der Argumentation zu folgen, auch wenn er an manchen Stellen vielleicht zögert? Dies ist ein reflexiver Vorgang, der sich auf die im Text vorhandenen Elemente stützt, seine Selektionen vor dem Hintergrund möglicher Außenweltbezüge und meiner Erwartungen prüft, und sich vor allem an dem Sinn des Textes orientiert. Eventuell muss ich an meinen Selektionen noch einmal etwas ändern. Der reflexive Vorgang selektiert die Selektionen, die der Autor im Text vorgenommen hat.

Aufnahme des Textes durch den Leser

Der Leser des Textes geht ähnlich vor wie der Autor. Der Leser nimmt das Schema des Textes wahr, seine Sequenzierung und Rahmung. Er nimmt die Innenwelt des Textes auf, also seine Begriffe, die Verknüpfungen zwischen Abschnitten. Und er aktualisiert die Außenweltbezüge des Textes mit seinen eigenen Vorstellungen und seiner eigenen Auslegung der Bezüge. Die Lücken, die ich als Autor bei der Verknüpfung der Sequenzen oder der Detaillierung der einzelnen Ereignisse gelassen habe, füllt der Leser nach seinen Vorstellungen. Er interpretiert den Text und muss sich schließlich fragen, ob er der Argumentation folgen konnte und ob der Text ihm die Fragen beantwortet hat, die er an den Text hat.

Normalerweise bleibt dabei ein Rest an unerklärten Begriffen und Bezügen übrig. Sie müssen zu der Frage führen, ob der Leser den Text wirklich verstanden hat und wie gut die Fragen durch den Text beantwortet wurden. Vor dem Hintergrund seiner Interpretation prüft der Leser deshalb noch einmal, ob er den Text auch anders lesen könnte. Kann er Begriffe anders auslegen, die Lücken in den Verknüpfungen anders füllen, und vor allem kann er dieser anderen, alternativen Interpretation mit seinen Erwartungen und mit seinem Vorverständnis dann noch folgen? Der Leser vollzieht so einen ähnlich reflexiven Prozess, wie der Autor, nur andersherum. Er verwendet die Elemente, die ihm der Text bietet, versieht sie mit seiner Interpretation der Außenweltbezüge des Textes und seinen eigenen Vorstellungen.

Autor und Leser sind über den Text auf eine lose Art miteinander verbunden.
Gemeinsame Sinnwelt von Autor, Text und Leser

Die Vorgänge, die Autor und Leser mit dem Text vollziehen, sind sich auf eine gewisse Art ähnlich. Sie verwenden jeweils die Elemente des Textes und ihre eigenen Vorstellungen, um eine gemeinsame Sinnwelt zu erzeugen. Diese Sinnwelt, oder um einen Begriff von Maurice Merleau-Ponty zu verwenden, diese Zwischenleiblichkeit ist operational abgeschlossen. Sie arbeitet mit der abgeschlossen Menge von Elementen, die sich aus den Elementen des Textes und den Elementen des Weltbildes von Autor oder Leser ergeben, die sie zum Verständnis des Textes abrufen. Unter diesen Elementen wird ausgehandelt, ob sich ein konsistenter und sinnvoller Zusammenhang herstellen lässt. Der Sinn der Aktionen bestimmt dabei das Zielbild. Es bleibt aber fragil, weil es sowohl beim Autor als auch beim Leser diese nicht vollständig determinierten Zonen im Text gibt, die es erforderlich machen, den Sinn des Lesens oder Schreibens mit seinem Ergebnis abzugleichen.

Weil die Sinn-Ergebnis-Verknüpfung in solchen Systemen immer kontingent, das heißt nicht vollständig bestimmbar bleibt, zwingen die Selektionen des Systems, also die Auswahl von Begriffen oder die Auswahl der Interpretation von Begriffen, das System dazu, sich selbst, also seine Selektionen noch einmal zu hinterfragen. Dieser reflexive Prozess gehört zwangsläufig zur operationalen Abgeschlossenheit sozialer Systeme.

Abgeschlossenheit der Struktur des Textes

Wenn man den Begriff der operationalen Abgeschlossenheit noch etwas abstrakter auffasst, dann lässt er sich auch auf den Text selbst anwenden. Der Text ist zwar nicht in der Lage, seine Elemente eigenständig zu reflektieren, aber er löst einen solchen Prozess bei jedem Lesen aus. Dabei determiniert er durch seine Begriffe, den Plot und die Ereignisse, was ein Leser als Grundstoffe für seine Interpretation zur Verfügung hat. Diese Elemente beziehen sich im Text nur gegenseitig aufeinander. Für eine Interpretation bleibt nichts anderes übrig als das, was der Text zur Verfügung stellt.

Der Leser kann nur anhand der Elemente des Textes prüfen, ob die Mitteilungen des Textes sinnvoll sind, oder ihm durch eine andere Auslegung sinnvoll erscheinen können. Die Grundform, auf der die Interpretation des Textes beruht, ist operational abgeschlossen.

Der Text enthält nur zusätzlich noch jene Lücken der nicht vollständig determinierten Begriffe und Argumente, die Autor und Leser für sich zusammen mit dem Text erschließen. Der Text lässt einen größeren Spielraum bei der Interpretation von Begriffen, Bildern, Metaphern, bei der Auslegung des Erzählschemas und bei den tatsächlichen Rollen, die vom Autor und vom Leser beim Schreiben oder Lesen des Textes eingenommen werden, als das später in der Zwischenleiblichkeit der Fall ist, die sich zwischen Text und Leser bildet.

Auswirkungen der Abgeschlossenheit

Systemverhalten ist kontingent

Einer der wichtigsten Effekte dieser Abläufe und damit der operationalen Abgeschlossenheit ist, dass jedes der hier beschriebenen Systeme nicht alle ihre Geheimnisse preisgibt. Ein Leser des Texts kann nicht wissen, was der Autor mit dem Text wirklich sagen wollte und welche Zwiesprache zwischen Autor und Text stattgefunden hat. Nicht einmal der Autor kann sagen, was der Text wirklich aussagt, weil er nicht wissen kann, wie ein Leser die Außenweltbezüge und Lücken des Textes füllt. Der Autor kann sich nicht sicher sein, dass er den Text so geschrieben hat, dass was er sagen wollte beim Leser ankommt.

Was zwischen Leser und Text vorgeht, kann uns der Leser zwar sagen, aber was ist mit dem Unsagbaren, den latenten Zweifeln, die der Leser vielleicht hat? Wir können über dieses Ringen des Lesers mit dem Text nur das erfahren, was uns der Leser berichtet. Und auch dann bleibt es für uns nur zu einem Teil nachvollziehbar.

Abgeschlossenheit als Bedingung der Möglichkeit, Information zu verarbeiten

Es ist ziemlich einleuchtend, dass die Beschränkung dessen, was gesagt wird, die einzige Möglichkeit ist, überhaupt etwas zu sagen. Wer alles sagt, sagt im Grunde genommen nichts. Der Text als Struktur operiert auf einer Selektion von Elementen, also Begriffen, Schemata, usw., die als ein abgeschlossenes Gebilde aufeinander verweisen, und auch nur so eine Information erzeugen. In der Systemtheorie würde man sagen, die Abgeschlossenheit des Textes ist die Bedingung der Möglichkeit, Information zu sein.

Gleiches gilt für die Verarbeitung von Informationen in Systemen. Jedes System, das Informationen verarbeitet, muss auswählen, welche Informationen es verwenden und welche es ignorieren oder verwerfen will. Andernfalls würde es mit der Menge an Daten, die es aufnimmt, nicht fertig werden und zu keinen Ergebnissen kommen. Mit dieser Selektion von Informationen verschließt sich das System gegenüber bestimmten Einflüssen. Auch die Regeln, nach denen Informationen interpretiert und verarbeitet werden, müssen sich beschränken. Das System verarbeitet die aufgenommenen Informationen nach seinen Regeln und erzeugt ein Ergebnis. Auch hier gilt, ohne Selektion welche Informationen aufgenommen werden und wie sie verarbeitet werden, käme kein System zu einem Ergebnis.

Teilbarkeit von Systemen

Es ist außerdem gut zu erkennen, dass es die im Text angelegte Sequenzierung erlaubt, das Konzept der operationalen Abgeschlossenheit auch auf Teile des Textes anzuwenden. Diese Sicht kann man weiterführen bis auf die Ebene einer einzelnen Bezeichnung. George Spencer Brown hat in seinen ‘Laws of Form’ beschrieben, wie selbst der Vorgang des Bezeichnens ein operational abgeschlossener Prozess ist, der reflexiv auf sich selbst verweist. Nach seiner Darstellung ist Bezeichnen das gleiche, wie eine Unterscheidung zu treffen. Durch die grundlegende Operation des Unterscheidens entsteht letztlich, mehrfach zusammengesetzt, der Raum, an dem wir uns orientieren und über den wir reden.

Systembildung aus Kommunikationen

Um das Konzept in die andere Richtung zu erweitern, also zu einem Begriff der soziologischen Systemtheorie, müssen wir im ersten Schritt den Begriff des Textes, auf den der Kommunikation erweitern.

Ein abstrakter Kommunikationsbegriff

Kommunikation enthält dann außerdem andere Arten von Texten, nämlich z.B. Bilder und Gesten, die sehr ähnlich funktionieren und sich auch aus Innenwelt- und Außenweltbezügen zusammensetzen. Man kann schnell für sich selbst prüfen, dass das Gesagte auf Bilder und Gesten anwendbar ist. Und es kann wiederum auch auf Handlungen erweitert werden, wenn man einen Punkt berücksichtigt: nicht jede Handlung ist im Sinne des Systems automatisch auch Kommunikation. Eine Handlung erzeugt immer ein Signal, das nur dann als Kommunikation im System aufgefasst wird, wenn der Empfänger mit ihr eine Intention verbinden muss. Wer genau im Einzelfall handelt, ist dann aber schon wieder komplizierter, und muss uns hier nicht im Detail interessieren.

Konstitution durch Kommunikation

Mit dem allgemeineren Begriff der Kommunikation können wir nun in einem zweiten Schritt den Soziologen folgen und verstehen, was sie mit operationaler Abgeschlossenheit von sozialen Systemen meinen. Diese Systeme bilden sich als Selektionen von Kommunikation und funktionieren, wenn die ausgewählte Kommunikation im System anschlussfähig ist und deshalb fortgesetzt wird. Was anschlussfähig ist oder wird, entscheidet sich an dem Sinn, der das System begründet. Diese Systeme sind operational abgeschlossen, weil sich Kommunikation immer nur auf Kommunikation bezieht (in ihrer besonders allgemeinen Definition) und dabei gleichzeitig die durch den Sinn begründeten Selektionen durchführt.

Die Kommunikation enthält Innenwelt- und Außenweltbezüge. Sie ist also weder von dem isoliert, was in der Umwelt passiert, noch vollständig von ihr abhängig. Für einen Außenstehenden bleiben die Verarbeitungsregeln des Systems auf diese Weise nicht vollständig durchschaubar. Soziale Systeme kommunizieren außerdem mit sich selbst über ihre eigene Kommunikation und selektieren dadurch ihre Selektionen. Ihr Sinn wird durch diesen reflexiven Prozess eventuell präziser eingesetzt, oder neu gefasst. So kann er sich auf ein verändertes Umfeld einstellen.

Die Abgrenzung sozialer Systeme von ihrer Umwelt geschieht, weil sie ausschließlich aus Kommunikationen bestehen, über die Selektion derjenigen Kommunikationen, die im System Beachtung und Anschluss finden. Wenn wir festlegen wollen, was genau zu einem System gehört und was nicht mehr, haben wir es deshalb mit einer ziemlich fluiden Definition zu tun.

Vernetzung von Systemen

Da soziologische Systeme selbst auch Kommunikation erzeugen, die an ihre Außenwelt gerichtet ist, kommt es selbstverständlich vor, dass Systeme an der Gestaltung von anderen Systemen beteiligt sind. Der in diesen aus Systemen zusammengesetzten Systemen verhandelte Sinn, und damit die Selektionen ihrer Kommunikation, sind selbstverständlich andere als diejenigen der beteiligten Systeme. Ich vermeide es hier außerdem sorgfältig, von Hierarchien zu sprechen, weil die Vorstellung einer Über- oder Unterordnung nicht notwendig ist. Es entwickeln sich zumindest Netzwerke, die eine Landschaft aus Sinnzusammenhängen von Kommunikationen begründen. Die Bedeutung einzelner Systeme ergibt sich eher daraus, wie viele und welche Kommunikationsströme bei ihnen zusammenfließen. Manchmal ist ihre Bedeutung daran zu erkennen, mit welchen Objekten, z.B. Gebäuden, sie sich umgeben, oder wie ihre Sprecher auftreten bzw. kommunizieren.

Strukturierung durch Sinn

Zusammenfassend können wir feststellen, dass sich das Prinzip der operationalen Geschlossenheit an sehr vielen Stellen beobachten lässt. Es durchzieht unsere Lebenswelt von der einfachen Bezeichnung von Irgendetwas bis zur Gestalt sehr wirkmächtiger Systeme und Institutionen. Und es ist dabei in den verschiedensten, oft fluiden und auch oft undurchsichtigen Konstellationen zu beobachten.

Was all diesen Erscheinungen gemeinsam ist, das ist der Versuch, die Welt durch Sinn zu strukturieren, und damit sonst problematische Komplexität der Welt zu ordnen, handhabbar zu machen. Dieser Versuch hat nur leider seinen Preis. Die Reduktion der Verarbeitungsregeln und ihre operationale Abgeschlossenheit sorgen dafür, dass sie selbst und damit auch ihre Ergebnisse nicht transparent sind. Die Ordnung, so wie sie entsteht, enthält also einen unbegründeten, positivistischen Kern: Selbst schon die Unterscheidung von George Spencer Brown setzt voraus, dass ein Beobachter eine Differenz formuliert und dafür eine Ordnung vorliegt, vor der sich die Differenz abhebt.

Die Reichweite von Sinn

Und noch ein wichtiger Punkt ist zu machen. Anhand meines Textbeispiels habe ich erläutert, wie sich die Bedeutung von Begriffen und Strukturen im Text mit der Aktualisierung der Interpretation der Außenweltbezüge des Textes durch den Leser verändert. Mit der allgemeiner zu verstehenden Kommunikation, die in einem sozialen System verwendet wird, geschieht das Gleiche. Texte, Bilder, Handlungen werden vor dem Hintergrund ausgewertet, der für sie in dem jeweiligen Umfeld und den jeweiligen Momenten maßgeblich ist. Sie aktualisieren dabei direkt oder indirekt, welche Selektionen von Selektionen ausgeführt werden und wie konstituierender Sinn verstanden wird. Einfacher ausgedrückt, die Kommunikation aktualisiert das Weltverständnis des Systems und damit die Basis für die Interpretation von Kommunikation.

Im Ergebnis unterscheidet sich theoretisch, fast immer aber auch praktisch, was innerhalb eines Systems unter einem Begriff verstanden wird und wie die Strukturen der Kommunikation, also z.B. die Sequenzen eines Textes, wirken. Unsere Welt besteht aus einem Patchwork an Weltverständnissen.

Update des Kommunikationsschemas

Wir können uns deshalb von dem klassischen Kommunikationsschema verabschieden, das auf dem Vierschritt des Senders, der Codierung einer Nachricht, der Decodierung der Nachricht und dem Verständnis des Empfängers beruhte. Es nimmt an, dass Sender und Empfänger den gleichen Code verwenden. Das trifft aber nicht zu. Die Übermittlung einer Nachricht ist kein passiver Vorgang, sondern bedarf der aktiven Übersetzung, einer Neucodierung der Nachricht. In einem Sprachraum befinden sich deshalb Zonen von geringerer und größerer Sinndichte. Die Übertragung von Nachrichten enthält ein Moment der Brechung, das Übersetzung und Transformation in sich trägt. Und sie macht die Fähigkeit, mehrere ‚Sprachen‘ verwenden zu können, zu einer wichtigen funktionalen Eigenschaft von Kulturräumen.

Die Kosten gemeinsamen Verständnisses

Man ahnt es vielleicht schon. Wir können die Zonen unterschiedlicher Sinndichte und die Zonen unterschiedlichen Weltverständnisses als in einem gewissen Ausmaß gegeneinander operational abgeschlossen betrachten. Das wird insbesondere überall dort gut sichtbar, wo sich Sprache als Ausdruck einer funktionalen Spezialisierung formt, einerseits um Sachverhalte differenzierter verhandeln zu können, andererseits vielleicht auch, um sich abzugrenzen. Am Beispiel der Sprache erkennt man aber auch gut, dass die operationale Abgeschlossenheit keinesfalls strikt sein muss. Sie macht sich manchmal nur dadurch bemerkbar, dass sich bestimmte kulturelle Milieus nicht mehr gut verstehen, oder dass ein kultureller Geltungsanspruch in der Peripherie seiner räumlichen Ordnung zunehmend Begrenzung erfährt. Es entsteht das Bild eines „Pluriversums finiter Raumwelten“[1], das nicht mehr einheitlich strukturiert werden kann. Die rationalistische Vorstellung, dass sich Wissen ohne Widerstand und auf weitere Strecken ohne zusätzliche Kosten verbreiten lässt, ist unrealistisch geworden.

[1] Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 114

Fazit

Konnte der Text erklären, was operationale Abgeschlossenheit ist und wie sie funktioniert? Wurde deutlich, was die Auswirkungen sind und welche Tragweite das Konzept hat? Wir schließen hier mit der Reflexion, die ich ganz am Anfang meines Textes beschrieben habe. Welche Behauptungen über unsere Welt stellt der Text auf, die Sie veranlassen, Ihre Erwartungen noch einmal zu reflektieren?

Das Schema verfolgen

Folgen wir noch einmal den Schritten des Dramas: Wir sind den Wegen gefolgt, die wir als Autor und Leser gemeinsam mit dem Text gehen. Der Text hat uns, wenn es gut gelaufen ist, jeweils einen Spielraum gelassen, der es uns erlaubte, unsere eigenen Interpretationen einzubringen. Er war uns gegenüber tolerant und wir ihm gegenüber wahrscheinlich auch. Sonst hätten sie vielleicht nicht bis hierher gelesen. Wir haben jeder für uns eine eigene Vorstellung davon entwickelt, was operationale Abgeschlossenheit ist und was sie bewirkt. Der Text hat wahrscheinlich seine eigene Vorstellung davon. Die kenne nicht einmal ich als Autor.

Der Text nimmt Komplexität auf

Aber was bedeutet das jetzt? Wir stellen fest, die operationale Abgeschlossenheit ist die Voraussetzung dafür, dass ein durch Sinn strukturiertes Medium entsteht, mit dem wir über Sachverhalte in unserer Welt kommunizieren. Anteil daran haben die Konzentration auf das Gesagte und genauso die Lücken, die das Nicht- oder Nicht-genau-gesagte lassen. Die Lücken schließen sich zum Teil, indem sich die Elemente des Textes auf sich selbst beziehen, und den Leser mit seinen Vorstellungen zu einem Spiel einladen.

Der Text handelt geschlossen und offen zugleich und nimmt dabei einen Teil der Komplexität auf, die unser Thema bestimmt. So sind wir als Autor und Leser in der Lage uns über ein Thema zu verständigen, das nie zu Ende diskutiert werden kann.

Systeme handhaben Komplexität

Soziale Systeme, mit denen wir es in unserem Alltag zu tun haben, gehen genauso vor. Sie absorbieren einen Teil der Komplexität, mit der wir es in unserer Welt zu tun haben, indem sie uns eine vereinfachte Antwort auf eines oder mehrere unserer Anliegen geben. In einer Familie z.B. muss ich mich nicht mehr um die Frage der Zugehörigkeit kümmern. Die Familie als System nimmt diese Schwierigkeit auf. Wie jeder weiß, ist die Komplexität damit nicht verschwunden, sondern durch die Familie in andere Formen der Komplexität transformiert, die gelegentlich auch zu anderen Problemen führt.

In jedem Fall ist es die besondere Form der operationalen Abgeschlossenheit, die geschlossen und offen zugleich dafür sorgt, dass die Verhältnisse eine Zeit lang als stabil aufgefasst werden können und so das Zusammenleben ermöglichen. Die Grenzen der Systembildung sind mal stabil und mal veränderlich, sie sind mal klar und mal eher fließend. Das macht die Widerstände aus, die mit dem Begriff der Systemtheorie und der operationalen Abgeschlossenheit verbunden sind. Ohne diese Mühen wäre sie aber auch gar nicht so leistungsfähig, die Vielfalt und Komplexität unserer Welt handhabbar zu machen und zugleich Veränderung zuzulassen.

Nachhaltige Steuerung

Nachhaltige Steuerung

Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Steuerung von Unternehmen

Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen

Nachhaltigkeit ist bei der Steuerung von Unternehmen keine neue Anforderung. In der aktuellen Debatte bekommt der Begriff aber eine veränderte Bedeutung. Statt lediglich das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens zu betrachten, geht es nun auch darum, soziale und ökologische Belange zu berücksichtigen. Für die Bundesregierung z.B. bedeutet diese Forderung, gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen gerecht zu werden. Dafür bedürfe es einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung (siehe Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Weiterentwicklung 2021).


Reaktion auf eine wahrgenommene Selbstgefährdung

In die Aufmerksamkeit gerückt

Das Thema umfassender Nachhaltigkeit ist in unsere Aufmerksamkeit gerückt, weil uns Spannungen zwischen funktionaler Differenzierung und sozialer Ungleichheit sowie ökologische Bedrohungen zunehmend sichtbar werden. Es fordert uns zum Handeln, weil wir seine Bedrohungen nicht mehr als unabwendbare Gefahren, sondern als gestaltbare Risiken verstehen. Gefahren wandeln sich in Risiken, wenn erkennbar wird, wie ein Schaden durch eigenes Handeln abgewendet werden kann. Wenn Schäden vermeidbar werden, dann erscheinen sie als selbst verschuldet und die mangelnde Abwehr als Selbstgefährdung. Die Last der Selbstverschuldung treibt uns zur Suche nach Orientierung und zum Handeln.


Gefahr und Risiko

Gefahr

Schäden sind aus der Umwelt zu erwarten – sie sind nicht beeinflussbar

 

Nachhaltigkeit

Die Debatte ist eine Reaktion auf eine wahrgenommene Selbstgefährdung

Risiko

Schäden, die über systemeigene Entscheidungen vermieden werden können

Aus der Gestaltbarkeit von Risiken ergibt sich eine Last der Selbstverschuldung


Verantwortung für das Unternehmen und seine Umwelt

Eine neue Sicht nach Außen

Bei der Steuerung von Unternehmen geht es zunächst einmal um das Unternehmen selbst. Die Basis für alle Überlegungen zur Nachhaltigkeit ist deshalb seine Überlebensfähigkeit. Das entspricht dem klassischen nach innen gerichteten Blick. Neu an der Nachhaltigkeitsdebatte ist, dass sie ebenso einen Blick auf Nachhaltigkeitsthemen außerhalb des eigenen Unternehmens einfordert.

In der Nachhaltigkeitsdebatte geht es um die Bereiche Wirtschaft, Ökologie und Soziales. Anders oder zumindest stärker als in der Vergangenheit wird in allen Bereichen die Übernahme von Verantwortung eingefordert. Bei der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit z.B. geht es nicht mehr nur darum, dass das Unternehmen für sich selbst wirtschaftlich arbeitet.


Nachhaltigkeitsbereiche

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Finanzielle Stabilität (Faire Erträge, Risikobewusstsein, dauerhafte Beschäftigung, Verlässlichkeit)

Ökologische Nachhaltigkeit

Begrenzung des Verbrauchs von ökologischen Ressourcen (Klima- und Umweltschutz, nachhaltiger Konsum)

Soziale Nachhaltigkeit

Verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Ressourcen (Gesundheit, Bildung, Gleichberechtigung, Partnerschaft)


Neue Erwartungen

Es wird zusätzlich erwartet, dass ein Unternehmen seinen Beitrag als Partner für Andere anerkennt und aus diesem Grund für Stabilität und Verlässlichkeit sorgt. Das gilt ähnlich für die beiden anderen Nachhaltigkeitsbereiche. Das Unternehmen soll sein eigenes Handeln beobachten und Rückwirkungen auf sich selbst und seine Umwelt reflektieren.

Dieser Ansatz rückt die Erwartungen der Stakeholder des Unternehmens ins Bild. Die nächste Grafik zeigt mögliche Erwartungen.


Stakeholder: Erwartungen an Unternehmen

Kunden

B2B: nachhaltige Lieferkette, Effizienz

B2C: politische Präferenzen, Kosten-Nutzen-Erwartung

Mitarbeiter

Übereinstimmung von Zielen und Werten, Gesundheit, Bildung, Partnerschaft

Regulierung, Behörden
& Medien

Stellvertretende Interessenwalter

Investoren / Kapitalmarkt

Finanzierungskonditionen, Erwartung besserer Ergebnisse, politische Präferenzen

Lieferanten

Reputation, dauerhafte Kundenbeziehung


Erwartungen in Einklang bringen

Die Gestaltung eines Geschäftsmodells kann man als den Versuch verstehen, die Erwartungen der Stakeholder so miteinander in Einklang zu bringen, dass ein lebensfähiges System ‚Unternehmen‘ entsteht. Wenn sich die Erwartungen der Stakeholder wesentlich ändern, steht folglich eine Überarbeitung des Geschäftsmodells an.

Leider sind Veränderungen von Erwartungen nicht unbedingt immer klar zu benennen. Wir erleben z.B., dass Forderungen nach klimaschonenden Produkten erhoben werden, das Kaufverhalten von Kunden dem aber nicht unbedingt folgt.

Ein schrittweiser Prozess

Es wird daher so sein, dass die Veränderung von Geschäftsmodellen eher ein schrittweiser Prozess sein wird, der von Unsicherheiten begleitet ist. Diese Unsicherheit ist eine besondere Herausforderung für die Steuerungsprozesse des Unternehmens. Sie müssen sich auf mehrfach verändernde Anforderungen und die Anpassung von Maßnahmen einstellen und brauchen dafür anpassungsfähige Strukturen.


Unternehmenssteuerung auf Nachhaltigkeit anpassen

Das klassische Steuerungsmodell basiert auf einem Zyklus aus Zielen, Maßnahmen und Beobachtung. Aus einer systemischen Perspektive erweitere ich das Modell um ein paar Aspekte (siehe Grafik – weitere Informationen finden Sie in dem Beitrag „Ein Unternehmen ist keine Maschine„).


Nachhaltige Steuerung

Zukunft / Vision

Ziele, Entscheidung für eine mögliche Zukunft

Bewegungsentwurf

Basierend auf einer aus Erfahrung gebauten Ursachenkarte

Aufmerksamkeit (Fokus)

Selektion – Entscheidungen mit dem Ziel, weiterhin anschlussfähig zu sein

Beobachtung

Tatsächlich erzielte Ergebnisse, gesehen wird nur, was beobachtet wird

Nachhaltige Steuerung
Reflexion

Abweichungen – Rückschlüsse, wie sich das Unternehmen verhalten wird

Erzählung

Die imaginierte Zukunft – Sinn und Verhalten des Unternehmens


Entscheidung für eine Zukunft

Mit der Vision einer Zukunft entscheidet sich das Unternehmen für eine von ihm selbst für möglich gehaltene Zukunft. Diese Vision besteht aus verschiedenen Komponenten, beinhaltet aber immer eine Art von Erzählung, die das Verhalten des Unternehmens auf bestimmte Tätigkeiten einschränken und ihm so einen Sinn gibt.

Bewegungsentwurf und Fokussierung der Aufmerksamkeit

In einer operativen Detaillierung wird daraus ein Bewegungsentwurf, der für alle Beteiligten den Rahmen weiterer Entscheidungen und Handlungen für einen Zeitraum in der Zukunft festlegt. Er basiert auf einer aus Erfahrung gebauten Ursachenkarte und verbindet Zielsetzungen mit den Fähigkeiten des Unternehmens. Gleichzeitig wird der Fokus der Aufmerksamkeit im Unternehmen auf diejenigen Sachverhalte gelenkt, die den Bewegungsentwurf bestimmen: Ziele, Einflussfaktoren, Fähigkeiten.

Beobachtung und Reflexion

Während der Tätigkeit des Unternehmens – meist zu bestimmten Zeitpunkten – werden die Ergebnisse der Handlungen beobachtet und mit dem Bewegungsentwurf verglichen. Abweichungen von den erwarteten Ergebnissen führen zu einem aktualisierten Bild, das sich das Unternehmen von sich selbst und seiner Umwelt macht.

Anpassung des Selbstbildes als Steuerungsleistung

Das Bild soll möglichst zutreffende Rückschlüsse darauf erlauben, wie sich das Unternehmen zukünftig verhalten wird. Die Anpassung des Bildes und seiner Operationalisierung im Bewegungsentwurf führen in der Folge zu anderen Entscheidungen und begründen so die erfolgreiche Steuerung des Unternehmens.

Die veränderten Erwartungen der Stakeholder aus der Nachhaltigkeitsdebatte bilden die Grundlage für die Überarbeitung des Selbstverständnisses des Unternehmens. Es entscheidet sich möglicherweise für eine andere Version der Zukunft und lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Sachverhalte. Die Anpassung der Steuerung auf Nachhaltigkeit besteht also im Kern in der Überarbeitung des Geschäftsmodells. Änderungen im Controlling folgen daraus.


Die Verbesserung der Reflexionsfähigkeit

Autonomie und Legitimität fremder Logiken anerkennen

Im Grundsatz werden die neuen Anforderungen der Nachhaltigkeit damit nicht anders verarbeitet als frühere Anforderungen auch. Eines ist ungeachtet der Ähnlichkeit jedoch anders. Bei seinen Handlungen soll das Unternehmen viel mehr als früher fremde Logiken in sein eigenes Operieren mit einrechnen. Dafür muss es Autonomie und Legitimität fremder Systeme als Grundlage der systemeigenen Routinen anerkennen. Klar ist, eindimensionale Versuche, die Welt zu ordnen und somit unveränderliche Priorität für das eigene Handeln abzuleiten, sind nicht mehr möglich. Es ist unvermeidbar, fremde Logiken in die Planung von Handlungen des Unternehmens mit einzubeziehen.


Potenziale der Steuerung

Reflexionssteigerung

Soziale, ökologische und wirtschaftliche Gefährdungen registrieren

Potenzial

Selbstbeobachtungen den Umweltbeobachtungen gegenüberstellen

Folgen und Reaktionen auf eigenes Operieren einbeziehen

Mögliche Zustände vergleichen und Handlungen auswählen


Vorhersagen werden schwieriger

Mit der Einbeziehung fremder Logiken wird die Planung und vor allem die sichere Vorhersage von Handlungsabläufen des eigenen Unternehmens erheblich schwieriger. Vorhersagen eines Planungsmodells sind nicht sicher. Es ist deshalb oft sinnvoll, mögliche Abweichungen vom Verlauf als erwartete Schwankungen gleich in den Bewegungsentwurf aufzunehmen. Eine Planung, die also verschiedene Steuerungskapazitäten und Kontexte verbinden will, sollte als Entscheidungsunterstützung aktiv Zukunftsszenarien modellieren.

Folgen von Handlungen durch Simulationen erkennen

Das Ziel solcher Simulationen besteht zugleich darin, die Reaktionen von Geschäftspartnern mit den eigenen Handlungen zu verbinden. Mit ihrer Hilfe lassen sich mögliche Zustände vergleichen und Handlungen bewerten. Unter Berücksichtigung der eigenen Ziele, z.B. in Bezug auf die finanzielle Stabilität oder die Verlässlichkeit von Lieferketten, kann ein passender Bewegungsentwurf für das weitere Agieren ausgewählt werden.


Fazit

Reflexionsfähigkeit verbessern

Es stellt hohe Anforderungen an die Reflexionsfähigkeit der Unternehmen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Mit dem Aufbau geeigneter Reflexionsflächen kann es gelingen, Folgewirkungen eigener Handlungen transparent und die Bedingtheit gegenseitiger Aktionen greifbar zu machen. Wie schaffen wir also diese Reflexionsflächen?

Umgang mit Komplexität

Wir müssen unsere Fähigkeit verbessern, mit Komplexität umzugehen. Komplexe Themen sind dabei nicht einfach nur kompliziert. Komplex bedeutet, dass sie sich einer Beschreibung grundsätzlich entziehen und Teile kontingent – d.h. nicht vorhersehbar – bleiben werden. Für den Umgang mit Unvorhergesehenem braucht es vor allem Anpassungsfähigkeit. In dem Beitrag „Flexibilität mit Services erreichen“ beschreibe ich, wie das erreicht werden könnte.

Simulation mit anpassungsfähigen Modellen

Wir müssen lernen, unsere Handlungsabläufe in Szenarien zu simulieren. Dazu gehört es, Modelle zu entwerfen, die die richtige Balance zwischen kompliziert und verständlich finden. Und es gehört dazu, für Struktur und Parameter der Modelle ein effektives Backtesting einzusetzen (siehe hierzu auch „Entspannter mit Backtesting?„). Auf diese Weise lernen auch die Modelle mit Veränderungen umzugehen.

Ergebnisse, die Identifikation erlauben

Wir müssen die Ergebnisse so erklären, dass sie nachvollziehbar sind und Identifikation erlauben. Erzählungen beinhalten durch die in ihnen enthaltene Reduktion ein schöpferisches Moment. Sie erlauben Aufmerksamkeit und Anteilnahme, weil die Sprache als kontingentes Medium die Kontingenz des Gegenstandes aufnehmen kann.

Suche nach zukunftsfähigen Steuerungskonzepten

Die Nachhaltigkeitsdebatte ist damit aber auch eine Suche nach wirksamen pluralen Steuerungskonzepten. Sie versucht nicht funktionale Differenzierung zu reduzieren, sondern auf Selbststeuerung umzuorientieren. Wenn es gelingt, kann sie dadurch auch eine Verbesserung des Reflexionsvermögens von Sozialzusammenhängen unterstützen.

Begeben wir uns also auf die Suche nach Steuerungskonzepten, die auch in Zukunft in einer freien und multipolaren Welt funktionieren. Dies könnte eine Aufgabe sein, die weit über die Steuerung von Unternehmen hinausreicht.

Gerne diskutiere ich Details oder erkläre, was nicht klar genug geworden ist. Sprechen Sie mich einfach an, wenn Sie Anregungen oder Fragen haben.

Frank Pieper
Mail: frank@fp-consulting.org
Tel.: +49-160 5438306

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