Operationale Abgeschlossenheit

Die Bedeutung von Controlling-Instrumenten

Narrative und Selbstbeschreibungen spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Unternehmen. Controlling Instrumente sind ein wichtiger Teil davon. Sie sind die Basis für die Selbstbeobachtung von sozialen Systemen, denn sie ermöglichen den Vergleich mit dem, was wir gerade beobachten. Sie schaffen so die Grundlage für Irritationen, die unser Verhalten verändern.

Die Selbstbeschreibung ist eine Kommunikation durch und über das Unternehmen. In ihr konkretisiert sich, was das Unternehmen in seiner funktionalen Rolle und in der Form seiner kulturellen Interpretation prägt. Dabei interpretiert Kommunikation, was das System ist oder sein könnte. Das System interpretiert, was Kommunikation meint oder meinen könnte. Nach Thomas A. Bauer ist Komplexität eine Eigenschaft dieser kommunikativ gefassten Beobachtung des Geschehens. Sie erweitert den Horizont möglicher Deutungen und Bedeutungen, weil sie nicht nur umfasst, was ist, sondern auch, was sein könnte.

Muster der Bearbeitung von Komplexität

In unserer Praxis verwenden wir bestimmte Muster, mit denen wir Komplexität handhaben. Auf Basis einer von uns unterstellten Ordnung selektieren wir Informationen und Verarbeitungsregeln. So schaffen wir ein Komplexitätsgefälle zwischen dem, was wir betrachten, und dem, was möglich ist. 

Da wir uns auf eine unterstellte Ordnung beziehen, bleibt unsere Auswahl der von uns verarbeiteten Informationen und der Verarbeitungsregeln unsicher. Wir sind gut beraten, diese Auswahl zu reflektieren. Dabei können wir nur berücksichtigen, was wir als Beschreibung von uns selbst vorliegen haben, und wie sich unsere Beobachtungen in ein Bild einfügen, das durch unsere Selbstbeschreibung geprägt ist.

Wir erzählen uns also eine Geschichte von uns selbst und interpretieren unsere Beobachtungen in diesem Kontext. Dabei wählen wir aus, was wir für wichtig halten. Das bestimmt wiederum, wie wir uns, uns selbst, erzählen. Dieser Vorgang ist operational abgeschlossen, weil sich unsere Interpretation und unsere Selbsterzählung nur aufeinander beziehen können. Von außen werden sie höchstens irritiert. Der Vorgang ist selbstreflexiv, weil wir uns unserer Voreingenommenheit bewusst sind und unser eigenes Verhalten reflektieren. Die Biologie und die Soziologie nennen diesen Vorgang einer sich selbst fortschreibenden Erzählung Autopoiesis.

Die Rolle von Informationsartefakten

Seit der Erfindung der Schrift nehmen Informationsartefakte in den Verfahren der Selbsterzählung eine bedeutende Rolle ein. Sie übersetzen kommunikative Funktionen in eine konkrete, reproduzierbare Form. Und sie können Bestandteil oder Erzeuger anderer Informationsartefakte sein. Bruno Latour definiert einen Akteur in einem sozialen Netzwerk als jemand oder etwas, das von vielen anderen zum Handeln gebracht wird. Akteure können auch nicht-menschliche Dinge, wie z.B. Verkehrszeichen, sein. Sie bringen uns z.B. dazu, einem anderen Verkehrsteilnehmer an einer Kreuzung Vorfahrt zu gewähren. Informationsartefakte, als Texte, Statistiken oder Grafiken, bringen uns ebenfalls dazu, unser Verhalten zu verändern. Insbesondere haben sie die Fähigkeit, unsere Selbsterzählungen zu bestätigen, oder zu irritieren. 

Im Controlling und bei der Planung setzen wir Informationsartefakte ein, die eine spezielle Wirkung erzielen sollen. Sie werden damit zu einem Akteur im Unternehmen, oder bei allem, was wir steuern wollen. Ihre Gestalt basiert auf einem Konzept, das die Vergegenständlichung von Rationalität ermöglicht und funktionale als auch kulturelle Bedeutung generiert. Sie wirken dabei aber nur vor dem Hintergrund des Umfeldes, in dem wir sie einsetzen. Controlling-Instrumente und Unternehmen bedingen sich gegenseitig. Controlling-Instrumente interpretieren, was das Unternehmen ist oder sein könnte. Das Unternehmen interpretiert, was Controlling meint oder meinen könnte.

Diese gegenseitige Bezogenheit ist Anlass genug, dass wir uns die Vorgänge von Autopoiesis und operationaler Abgeschlossenheit genauer ansehen. Mehr Informationen finden Sie in meinem Beitrag zur Operationalen Abgeschlossenheit.

Veröffentlichung auf LinkedIn

Der Text ist außerdem in englischer Sprache am 29. März 2024 auf LinkedIn erschienen.

Anforderungen an Planungssysteme

Die richtigen Anforderungen an Planungssysteme

Wer kennt das nicht, Anforderungen an Planungssysteme sind nicht erfüllt? Sie sind so starr eingerichtet, dass sie sich kaum verändern können. Oder Projekte überschreiten Zeit und Budget, weil der Aufwand für die Implementierung unterschätzt wird. Sie verzichten dann wegen der knappen Mittel auf wichtige Funktionen. Oder die Implementierung wird so groß und kompliziert, dass es niemand unternimmt, das System an neue Bedingungen anzupassen.

Auf den ersten Blick sieht Planen so aus, als ginge es vor allem darum, Daten zu verarbeiten. Das ist auch ein Teil der Aufgabe, es ist aber nicht der wichtigste. Wenn wir einen Plan aufstellen, dann beschreibt er vor allem einen Entscheidungsraum. Ein Planungssystem ist deshalb eher ein Konfigurator für diesen imaginierten Raum. Wenn wir ihn konfigurieren, werden selbstverständlich Daten verarbeitet, der wesentliche Punkt aber ist, dass ein Konfigurator neue Daten erzeugt. Dafür brauchen Benutzer einen Freiraum, in dem sie ihre Konfiguration ausprobieren können.

Die Konzentration auf Prozesse macht Planungssysteme zu starr

Lösungsanbieter aus der IT konzentrieren sich oft auf die Prozesse, die notwendig sind, um Daten zu verarbeiten. Sie erstellen eine Architektur des Planungssystems, die diese Aufgabe in den Mittelpunkt der Anforderungen stellt. Das System, egal ob aus Standardsoftware konfiguriert oder individuell entwickelt, verarbeitet Daten dann sehr effizient. Leider verhindert die Architektur, dass das System auch andere Herausforderungen bewältigt. Soll die Planung den Fokus wechseln, oder den Gegenstand der Planung anders aufteilen, dann wird es schwierig oder teuer. Diese Änderungen sind aber meistens das Ergebnis, wenn die Beteiligten miteinander über ihre Planung verhandeln. Und Verhandlungen sind notwendig, wenn die Teilnehmer verschiedene Sichtweisen auf den Gegenstand der Planung mitbringen.

Andererseits machen es große Datenmengen heute auch notwendig, Planungen mit automatisierten Verfahren zu unterstützen. Sie sollen vorhandene Daten berücksichtigen. Und sie sollen schneller und genauer werden. Dies ist der prozessuale Teil der Planung. Die Herausforderung besteht also darin, Daten effizient zu verarbeiten, ohne die Reaktionsfähigkeit der Planung zu gefährden. Anforderungen sind gut formuliert, wenn sie alles Aspekte dieses Spannungsverhältnisses berücksichtigen.

Eine Planung besteht aus drei Teilen

Wir können die Formulierung von Anforderungen an Planungssystem verbessern, wenn wir die Aufgabe etwas genauer betrachten. Planen besteht dann aus drei Teilen.

Der erste Teil ist eine Selbstbeschreibung. Sie besteht aus den Geschichten, die sich das Unternehmen über sich selbst und sein Umfeld erzählt. Die Geschichten wiederum basieren darauf, was das Unternehmen in seiner Praxis erfährt. Und sie stützen sich auf die Daten, die es dazu in seiner Praxis sammelt.

Der zweite Teil besteht aus der eigentlichen Planung. In diesem Teil entwickeln die Planenden eine Vorstellung von einer Zukunft des Unternehmens, die sie für möglich halten. Dazu kombinieren sie ihr Wissen aus der Selbstbeschreibung des Unternehmens mit Entscheidungen, die sie zukünftig treffen können.

Aus der Kombination ergeben sich als dritter Teil Folgen, die sie mit dem Nutzen für das Unternehmen bewerten. Wir arbeiten bei einer Planung also mit einer Selbstbeschreibung und der Simulation von Entscheidungen und ihrer Folgen. Die Folgen von Entscheidungen werden dabei wieder ein Teil der Selbstbeschreibung und fließen so in die Konfiguration des Entscheidungsraums mit ein.

Die 3 Komponenten der Planung

Genau besehen, bestehen die Anforderungen an ein Planungssystem deshalb aus Anforderungen an drei Komponenten. 

  • Anforderungen, an eine Selbstbeschreibung, in der das Unternehmen entwickelt, wie es im Zusammenspiel mit seinen Partnern funktioniert. Dazu analysiert es Informationen, die ihm über sich selbst und über die Märkte, in denen es tätig ist, vorliegen. Diese Komponente ist eine klassische Aufgabe der Datenverarbeitung und Analyse.
  • Anforderungen an die eigentliche Planung, in der die Teilnehmer einen Entwurf der Zukunft des Unternehmens erstellen. Sie gehen dabei so vor, als würden sie einen Konfigurator verwenden. Sie probieren mögliche Entscheidungen und betrachten deren Folgen. Für diese Aufgabe benötigen die Teilnehmer der Planung einen Spielraum, in dem sie probieren können.
  • Anforderungen an die dritte Komponente, die darin besteht, die Folgen der Konfiguration zukünftiger Entscheidungen zu berechnen. Das baut wieder auf dem Selbstbild des Unternehmens auf, denn es bestimmt, mit welchen Folgen zu rechnen ist. Die Folgen zukünftiger Entscheidungen werden nach ihrem Nutzen bewertet. Das setzt voraus, dass Bewertungskriterien vorliegen, nicht aber, dass es nur genau eine Zielfunktion gibt. Zwischen Zielen, die miteinander konkurrieren, kann immer noch entschieden werden. 

Die Konfiguration des Entscheidungsraums ist die Kernfrage

Aus der Sicht der Informationsverarbeitung ist es der schwierigste Teil der Planung, den Entscheidungsraum zu konfigurieren. Das liegt daran, dass ein Planungssystem nicht vorhersehen kann, wie Planende vorgehen. Je mehr Freiraum das System den Nutzern lässt, desto unvorhersehbarer werden die Vorgänge, die das System bewältigen muss. Schwierig wird es, weil das System die Folgen von Entscheidungen berechnet. Das kann es nur dann bewältigen, wenn es wenigstens im Prinzip die Konstellationen kennt, die sich aus den geplanten Entscheidungen ergeben. 

Was genau bei einer Planung zu tun ist, können auch die Teilnehmer der Planung nicht vorhersagen. Planungen sind immer unsicher, weil sie sich auf die Zukunft beziehen. Die Unsicherheit aber sorgt bei den Teilnehmern dafür, dass sie Möglichkeiten und Szenarien unterschiedlich einschätzen.

So gibt es verschiedene Sichtweisen, die die Teilnehmer miteinander verhandeln. Dabei werden Sachverhalte betrachtet, auf die sich die Teilnehmer einigen. Und es gibt Sachverhalte, bei denen eine Einigung nicht möglich ist. Die Planenden werden in diesen Fällen anerkennen, dass ihre Einschätzungen voneinander abweichen, und den Unterschied akzeptieren. Die Planung erfordert es deshalb in vielen Fällen, den Gegenstand der Planung zu differenzieren, um den Verhandlungsprozess zu erleichtern.

Die Folgen zukünftiger Entscheidungen

Wir sollten auch noch betrachten, was wir planen, um die Folgen von Entscheidungen zu bewerten und den Verhandlungsprozess zu verstehen. Grundsätzlich planen wir Investitionsobjekte mit einem je eigenen Charakter. Die Objekte haben vielleicht einen eigenen Lebenszyklus, der geplant oder durch Zufall endet. Oder er startet nur unter bestimmten Bedingungen. Wir können solche Eigenschaften mit verschiedenen mathematischen Verfahren und stochastischen Theorien modellieren.

Die Bewertung der Planung ergibt sich in der Regel als Profitabilität aus der Summe von Kosten und Erlösen, die über die Lebenszeit entstehen. Aber auch andere Maße sind verbreitet und meist sinnvoll. Die Bewertungen können sie anwenden, auch wenn sie in Konkurrenz zur Profitabilität treten oder ihr widersprechen.  

Ähnliches gilt für den Einfluss der geplanten Investitionen auf die Rechenwerke des Unternehmens. Die geplanten Objekte hinterlassen dort eine Spur von Kosten, Erlösen und Cash-Flows. Wir fassen sie in den Rechenwerken zu Summen zusammen. Gibt es sehr viele Objekte, mit denen wir umgehen, dann kommen noch Portfolio-Effekte ins Spiel.

Wenn wir über Flexibilität bei der Planung sprechen, dann geht es darum, neue Klassen geplanter Objekte zu definieren. Solange sich das Geschäftsmodell des Unternehmens nicht verändert, unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den Objekten, die wir schon berücksichtigen. Sie variieren stattdessen Parameter, die ihren Lebenszyklus beschreiben und auf die zukünftigen, geplanten Entscheidungen zurückgehen.

Es lohnt sich, die Anforderungen an die Komponenten zu formulieren

Projektteams kümmern sich oft als erstes um die Prozesse, mit denen ein Planungssystem seine Daten verarbeitet. Diese Prozessfragen sind auch die einfachen Fragen, weil sie direkt sichtbar sind.

Die Methoden, mit denen die Teilnehmer einer Planung einen Entscheidungsraum verhandeln, sind dagegen viel schwieriger zu erkennen. Sie werden nur sichtbar, wenn wir wissen, was wir beobachten wollen. Ihre Spuren hinterlassen sie nur indirekt, weil Planungen vielfach nur das Ergebnis der Verhandlungen in den Vordergrund stellen. 

Wenn wir gut konfigurierte Planungssysteme haben wollen, dann müssen wir aber das ganze Spektrum der Anforderungen berücksichtigen.

Betrachten wir Planung als den Prozess, in dem Entscheidungsräume konfiguriert werden, dann sind Planungssysteme vor allem Konfiguratoren für mögliche, gegenwärtige Zukünfte. 

  • Als Konfiguratoren handhaben sie Klassen von Investitionsobjekten mit einer Lebenszeit und Eigenschaften, die ihren wirtschaftlichen Nutzen bestimmen. Sie erlauben es, die Eigenschaften der Objekte zu verändern. Sie erlauben es, neue, ähnliche Objekte zu erstellen und im System zu behandeln. 
  • Sie verarbeiten Daten, mit denen Planende ein Selbstbild des Unternehmens herstellen. Es besteht aus Geschichten, die sich das Unternehmen über sich selbst und sein Umfeld erzählt. Die Geschichten basieren auf Informationen, die das Unternehmen über sich und sein Umfeld besitzt, und durch Analysen verfügbar macht. Sie bestimmen die Vorstellungen über die zu planenden Objekte, ihre Eigenschaften und Parameter der Investition in die Objekte. Sie bestimmen außerdem, mit welchen Einflüssen aus seinem Umfeld das Unternehmen plant.
  • Planungssysteme verarbeiten schließlich Daten, um die im System konfigurierten Zukünfte darzustellen und zu bewerten. Das kann eine umfassende Aufgabe sein und hängt davon ab, wie differenziert der Entscheidungsraum ist. Wichtig ist, dass die Aufbereitung der Informationen ein plausibles und nachvollziehbares Bild erzeugt.
Modulare Planungssysteme

Ein Planungssystem, das aus diesen Komponenten besteht und sie technisch sauber voneinander trennt, kann auf neue Anforderungen reagieren. Geänderte Analysen, mit denen das Unternehmen sich selbst beobachtet, haben dann zunächst keinen Einfluss auf die anderen Komponenten. Die Ergebnisse der Analysen beeinflussen aber natürlich das Selbstbild und wirken so auf die Konfiguration und Bewertung des Entscheidungsraums. Eine geänderte Konfiguration möglicher, gegenwärtiger Zukünfte hat zunächst keinen Einfluss auf die Methoden, mit denen die Planung sie bewertet. Die Ergebnisse der Bewertung wirken aber auf die Konfiguration zurück. Im Idealfall verknüpfen nicht technische Abhängigkeiten die Komponenten miteinander, sondern nur noch inhaltliche.

Damit stellen wir das Planungssystem so auf, dass wir es an neue Anforderungen anpassen können. Und neue Anforderungen kommen sicher. Es bedeutet immer Aufwand, sie in ein Planungssystem aufzunehmen. Die Höhe des Aufwands ist mit einer modularen Struktur des Systems aber geringer, weil weniger technische Abhängigkeiten bestehen. So erleichtert es das System, Einverständnis und Anerkennung im Entscheidungsraum zu verhandeln. 

Fazit

Beginnen wir die Analyse der Anforderungen an ein Planungssystem mit der Frage nach der Konfiguration des Entscheidungsraums. Sie bestimmt nämlich, welche Informationen aus der Selbstbeschreibung des Unternehmens erforderlich sind. Diese bestimmen dann, welche Analysen bei der Vorbereitung der Entscheidungen in der Planung helfen. Und sie bestimmen, welche Auswirkungen geplanter Entscheidungen betrachtet und bewertet werden.

Alles, was wir hier jetzt getan haben, ist es, die Reihenfolge der Analyse zu verändern. Wir beginnen dabei mit der schwierigeren Frage danach, wer, was mit wem in einer Planung verhandelt. Erst danach fragen wir nach den Objekten und Prozessen, die in der Planung eine Rolle spielen. Diese zweite Gruppe von Fragen können wir dann nämlich beantworten. So stellen wir sicher, dass Planungssysteme das tun, was wir von ihnen erwarten.

Dieser Beitrag ist gleichzeitig in englischer Sprache bei LinkedIn erschienen.
2 Gründe warum Planungen als Vertrauensarena so wichtig sind

2 Gründe warum Planungen als Vertrauensarena so wichtig sind

Wir verstehen Planungen oft falsch. Man erwartet von ihnen, dass sie die Zukunft vorhersagen und so eine sichere Entscheidungsgrundlage bieten. Das trifft jedoch nicht zu. Sie sagen die Zukunft nicht vorher. Eine zukünftige Gegenwart wird niemals so sein, wie sie in einer Planung erscheint. Sie ist aber als Vertrauensarena wichtig. 

Gründe für die Unsicherheit von Planungen gibt es viele. Sie lassen sich in einem wirtschaftlichen Umfeld auf ein Muster zurückführen. Wer plant, unterliegt nämlich gerne der Illusion, er selbst könne sich frei entscheiden und damit zukünftige Ereignisse bestimmen. Man übersieht dabei, dass auch alle anderen Teilnehmer von Märkten entscheiden und sich dabei an ihren Erwartungen orientieren. So planen alle Marktteilnehmer mit ihren eigenen Erwartungen von den Erwartungen der anderen. Vorhersagen sind wegen dieser Selbstbezüglichkeit nicht möglich. In der Wirtschaft sind Vorhersagen grundlegend unsicher.

Wegen dieser elementaren Unsicherheit planen wir mit einer Fiktion. Sie umfassen die Vorstellung von kausalen Zusammenhängen, die von unserer gegenwärtigen Vorstellung der Zukunft zu einer zukünftigen Gegenwart führen. Die Illusion besteht, weil wir kausale Zusammenhänge unterstellen.

Wer die Planung als eine Fiktion erkennt, lehnt sie gerne ab, weil sie zukünftige Gegenwarten nicht vorhersagt. Das ist jedoch nicht richtig. Sie hat eine wichtige andere Funktion. Die eigentliche Fiktion, dass wir uns Kausalität vorstellen, kann auch motivieren und eine Quelle der Kreativität sein.

Entscheidungen brauchen eine Grundlage

Um wirtschaftlich zu handeln, treffen wir Entscheidungen, für die wir eine Grundlage brauchen. So rechtfertigen wir sie uns selbst und anderen gegenüber. Wenn wir über die Zukunft entscheiden, Prognosen aber unsicher bleiben, dann brauchen wir eine andere Grundlage. Diese finden wir in einer plausibilisierten Quasigewissheit, die wir durch hinreichende Gründe für eine zukünftige Gegenwart finden.

Es ist eine gewagte Vorstellung der Ökonomie, dass wir in einem klassischen Sinn rational entscheiden. Wenn wir entscheiden, reicht es tatsächlich aus, dass wir eine narrative Gewissheit haben. Diese erreichen wir durch eine plausible Erzählung, die eine Art Versicherung ist, richtig zu handeln. Dabei wissen wir nicht genau, ob und wie zukünftige Ereignisse eintreten. Die Versicherung gewährleistet, dass eine Handlung anschlussfähig ist. Sie garantiert jedoch nicht das beste Ergebnis zu prognostizieren.

Unter Unsicherheit müssen wir überdenken, was rationales Handeln bedeutet. Wir sollten so handeln, dass wir nicht enttäuscht werden. Auch sollten wir vermeiden, handlungsunfähig zu sein, falls die Dinge anders laufen als erwartet. Wenn wir Zukunft als Möglichkeitsraum verstehen, dann ist es für uns möglich, anders zu handeln. Wir benötigen dann für jede Form der Zukunft ein Handlungsprogramm, damit wir reaktions- und adaptationsfähig disponieren.

Planung als Vertrauensarena

Mit der Idee einer Vertrauensarena interpretieren wir die Vorhersage anders als in der klassischen Vorstellung. Sie besteht jetzt aus unserer Erzählung eines Entscheidungsraums für die Gestaltung zukünftiger Gegenwarten. In ihr trauen wir uns, zu entscheiden. Dabei müssen wir nicht sicher sein, dass das, was wir uns darin vorstellen, tatsächlich eintritt. Wir finden eine fiktive Gewissheit, die ausreicht, um zu entscheiden.

Der Gewinn besteht darin, ein gemeinsames mentales Modell zu haben, das Orientierung schafft. Mitglieder eines Teams orientieren sich an diesem Modell mehr oder weniger kohärent. Sie richten ihr Verhalten am Modell und aneinander aus. Dabei schaffen sie Möglichkeiten für neue Ideen und machen ihr Verhalten berechenbar.

Die Vertrauensarena sorgt so dafür, dass Mitglieder des Teams ihr Verhalten als Team genauer einschätzen. Das betrifft Kommunikationen auf der Hinterbühne, Trends und Verhaltensänderungen. Vorhersagen bleiben ungenau. Das Team passt sie aber auf Sicht mit weiteren Informationen an und präzisiert sie. Die Erzählung des Entscheidungsraums macht sichtbar, was anders verlaufen oder überraschen könnte. Sie eröffnet den Blick auf alternative und parallele Szenarien und erlaubt, zumindest auf der Hinterbühne, die Diskussion von Nichtwissen.

Gewinn an Möglichkeiten

Die Fähigkeit des Teams, ihr eigenes Verhalten besser einzuschätzen, erhöht die Bereitschaft, auf neue Situationen zu reagieren. Sie erlaubt es, Entscheidungen zu delegieren und sie dabei auch zu einem gewissen Grad abweichen zu lassen. Dies geschieht, ohne das Risiko zu erhöhen, dass sie nicht anschlussfähig sein werden. Jens Beckert („Imaginierte Zukunft: Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus“) geht davon aus, dass diese Art der Anschlusskultur wesentlich ist für die Dynamik des Kapitalismus.

Unerwartetes bleibt natürlich nicht aus. Es führt zu Vorhersagefehlern, die soziale Systeme erkennen und daraufhin ihr Verhalten anpassen. Der Prozess folgt der Idee, dass soziale Systeme fortlaufend ein mentales Modell erzeugen und aktualisieren. Die notwendige Fiktion des Modells ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Wir können nicht anders als uns vorzustellen, was geschehen wird, um es dann bestätigt zu finden oder zu korrigieren. Dabei erzählen wir uns immer die gleiche Geschichte von uns selbst und von dem, was uns umgibt. Wir revidieren sie, wenn uns unsere Beobachtungen überraschen oder irritieren.

Unsere Erzählung von uns selbst und vom Entscheidungsraum eröffnen uns dabei neue Möglichkeiten. Die Vertrauensarena ist eine öffnende Versicherung neuer Handlungsfelder. Durch das Verfahren des ’sich-versicherns‘ schaffen wir einen Zugewinn an Anschlussmöglichkeiten. Auf diese Weise folgen wir dem, was uns Heinz von Förster empfiehlt: Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.

Warum erzähle ich das?

Eine Planung ist ein wichtiger Bestandteil der Erzählungen, die ein Unternehmen über sich selbst erstellt. Diese Erzählungen erlauben den Vergleich mit dem, was wir aktuell beobachten. So schaffen sie die Grundlagen für Irritationen, die unser Verhalten ändern. Bezogen auf zukünftige Gegenwarten schafft die Planung die Basis für das, was das Unternehmen in der Gegenwart entscheidet. Wir verstehen sie nur nicht als Prognose. Sie schafft stattdessen eine Vertrauensarena, in der wir immer auch riskant entscheiden.

Diese Form der Selbsterzählung ist eine typische Eigenschaft sozialer Systeme und die Grundlage für ihre Steuerung. Sie enthält eine Auswahl der Sachverhalte / Kommunikationen, für die sich das Unternehmen interessiert. Und sie enthält eine Auswahl der Verfahren, mit denen das Unternehmen Kommunikationen verarbeitet. Dadurch bildet sie die Grundlage für das, was das Unternehmen beobachtet und wie es die Ergebnisse bewertet. Geändertes Verhalten bezieht sich dann, etwas abstrakter formuliert, auf die Selektion von Kommunikationen und Verfahren.

Die Vertrauensarena funktioniert, wenn die Teilnehmer der Planung die Erzählung plausibel finden. Die Erzählung selbst ist eine Fiktion. Sie erhält ihren Wert dadurch, dass wir Schlussfolgerungen aus der Fiktion auf unser reales Handeln übertragen. Das bedeutet, dass wir den in der Erzählung verwendeten Gedankenmodellen folgen können müssen. Zukünftige Gegenwarten lassen sich nicht kausal aus einer gegenwärtigen Zukunft ableiten. Die Erzählung muss aber unseren kausalen Ansprüchen genügen.

Dadurch bekommen solche kausalen Modelle eine Bedeutung, wie wir sie mit mathematischen Mitteln aufstellen. Mathematische Genauigkeit ist dabei nur Mittel zum Zweck. Sie sichert die genaue Nachvollziehbarkeit, aber nicht die Genauigkeit der Ergebnisse. Denn die Ergebnisse der Planung hängen von so vielen Faktoren ab, die wir nicht verlässlich vorhersagen können. 

Das genaue Vorgehen der Mathematik erlaubt es, dass wir mit ihren Modellen nachvollziehbar schlussfolgern. Und was nachvollziehbar ist, erlaubt in der Regel, dass wir es automatisiert herstellen. Das Verfahren ist wiederholbar. Die strengen Regeln der Mathematik eröffnen zudem einen Blick auf Folgen und Nebenfolgen unseres Handelns, die sich sonst nicht erkennen ließen. Sie lassen uns schwierige Zusammenhänge erkennen. Mit den Modellen der Mathematik leuchten wir den Entscheidungsraum sehr viel heller aus, als das ohne sie der Fall wäre.

Fazit

Hier sind jetzt die beiden Gründe, warum mit Planungen so wichtig sind.

  1. Vielleicht klingt es paradox, aber ich schlage vor, mehr Mathematik einzusetzen, gerade weil sie eine Fiktion der Wirklichkeit ist. Wir werden uns damit noch genauer befassen müssen. Die Fiktion erlaubt es der Welt so klar zu erscheinen, wie wir sie normalerweise nicht beobachten. Sie wird so zum Spiegel, in dem wir als Gesellschaft und im Unternehmen unsere eigene Kontingenz reflektieren. Elena Esposito erklärt es in ihrem Buch „Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität“. Der Wert der Prognose liegt nicht darin, dass sie die Undurchschaubarkeit der Zukunft reduziert oder beseitigt. Er liegt darin, dass sie die Zukunft als Informationsquelle nutzbar macht. Dies ist der erste Grund, warum mir Prognosen wichtig sind.
  2. Der zweite Grund besteht darin, dass wir mit der Prognose ein Muster der Systembildung beobachten. Systembildung ist Reduktion und Positivismus, also Beseitigung von Undurchschaubarkeit. Als Kommunikation über Kommunikation ist sie die Basis für Informationsbildung. Wenn wir diesen Zusammenhang untersuchen, dann gelangen wir genau an den Punkt, in dem Controlling und Steuerung stattfinden. Das klingt jetzt komplizierter als es ist. Aber wir wollen die Rolle des Controllings bei der Steuerung von Unternehmen genau verstehen. So können wir dann sagen, wann es seine Rolle erfüllt und welche Anforderungen wir stellen. Die Idee der Vertrauensarena ist dabei ein wichtiger Bestandteil.

Es gibt noch einiges zu tun. Und in der Zwischenzeit gilt: Make your computers fly!

Data Mesh und Data as a Product sind großartige Konzepte in der IT - die Verknüpfung zum Business ist eine Anwendung der Systemtheorie

Data as a Product als Anwendung der Systemtheorie

Die neueste Entwicklung im Datenmanagement der IT befasst sich mit dem Data Mesh und mit Data as a Product. Die Strategie verspricht Anpassungsfähigkeit, Skalierbarkeit, Schnelligkeit und Agilität. Das ist genau das, was Self-Services in Datenanwendungen benötigen. Und es verspricht den Anwendern die Autonomie und Flexibilität, die nur mit einer dezentralen Lösung möglich sind. Im Controlling und bei der Steuerung von Unternehmen sind dies wichtige Anforderungen. Grund genug, dass wir uns das näher ansehen.

Data Mesh und Data as a Product

Mit der Idee von Data Mesh und Data as a Product liegt eine ernsthafte Strategie für eine dezentrale Verwaltung von Daten und das Design von Anwendungen vor. Das Data Mesh gibt einer Bewegung einen Namen, die es dem Self-Service Ansatz erlaubt Daten effektiver zu nutzen. Data Mesh beinhaltet die Idee der organisatorischen Dezentralisierung, die durch die Idee des Domänen-spezifischen Eigentums an Daten und Datenprodukten, der Self-Service-Datenplattform und der computergestützten Governance unterstrichen wird.

Data as a Product ist dabei ein Schlüsselkonzept, weil der Idee ein organisatorisches Paradigma zugrunde liegt.

  • Ein Datenprodukt ist ein spezifisches Datenobjekt, das für verschiedene Zwecke verwendet werden kann. Es ist so gestaltet, dass es verlässliche Informationen für seine Nutzer gewährleistet, die dabei als Kunden betrachtet werden. Die Idee verstärkt so die Vorstellung von Produkten, die immer einen klaren kundenorientierten Zweck haben.
  • Und Datenprodukte unterscheiden sich auch von Datenprojekten, weil Projekte immer ein geplantes Ende haben. Mit dem Datenprodukte wird ein Umfeld geschaffen, in dem sich die Dinge ändern und weiterentwickeln können. Eigenschaften eines Produktes wie Verantwortlichkeit, Modularität, Marketing usw. sind entscheidend und vorteilhaft, wenn es darum geht das Datenprodukt an Veränderungen anzupassen, ohne an Qualität zu verlieren.

Als Konzept für das Management von Daten in der IT ist dies ein großartiger Ansatz, der sicherlich in der Lage ist Flexibilität und Qualität miteinander in Einklang zu bringen.

Für den erfolgreichen Einsatz im Geschäft fehlt ein Stück

Wenn wir das Konzept des Data Mesh und von Data as a Product nutzen wollen, dann müssen wir uns aber auch darum kümmern, welche Datenprodukte wir identifizieren können und verwenden wollen. Die Datenverarbeitung ist in einem Unternehmen nämlich genau deshalb wirksam, weil IT-Services Geschäftsfunktionen repräsentieren können und sich dann aus den in der IT verwendeten Modellen Impulse für konkretes Handeln ableiten lassen. Wir müssen also wissen, was repräsentiert werden soll.

Bei dieser Aufgabe hilft uns die Idee der Modularisierung von geschäftlichen Leistungen. Aus der Theorie der sozialen Systeme wissen wir, dass komplizierte Aufgaben in Module zerlegt werden können. Sie spezialisieren sich dabei auf Teile der Aufgabe und folgen den Verhaltensregeln von sozialen Systemen. Die Module handeln als Agenten eigenständig, steuern sich bei der Erstellung ihrer Leistung selbst und lösen komplizierte Aufgaben durch kooperative Informationsverarbeitung. Jedes Modul erfüllt hierbei einen Zweck, der sich aus den Anforderungen ihres Umfeldes, wenn wir so wollen, aus den Bedürfnissen ihrer Kunden, ergibt. Dieser Zweck gibt den Selektionen des Systems ihre Bedeutung.

Wir erkennen sofort die Ähnlichkeit der Struktur. Während Data as a Product sich aber auf Datenprodukte beschränkt, arbeiten die Geschäftsprozesse mit Kommunikationen, die unterschiedliche Gestalten annehmen können. Es gibt Wertschöpfungsprozesse, die aus der Verarbeitung von Informationen bestehen und Daten herstellen. Es gibt aber auch Wertschöpfungsprozesse, die Waren und Dienstleistungen herstellen.

In allen diesen Fällen können wir Aktionen der Prozesse mit Daten beschreiben, indem wir zählen, messen und wiegen, und Bestände oder Veränderungen in den Blick nehmen. Wir erstellen damit eine Kommunikation über die Kommunikationen des betrachteten Systems. Das IT-Konzept des Data as a Produkt wird zum Repräsentanten einer sehr ähnlichen Struktur. Dazu müssen wir Wertschöpfung als Netzwerk kooperierender Agenten verstehen.

Genau auf diesem Weg finden wir diejenigen Datenprodukte, die wir in einem Data Mesh definieren wollen. Sie repräsentieren dann den Geschäftsablauf und können Impulse für Handlungen auslösen. Und diese Herangehensweise funktioniert gut. Wir haben das in einigen Projekten schon mit Erfolg angewendet.

Beispiel: Zinskurve

In einem großen Treasury-Projekt z.B. haben wir das Objekt der Zinskurve als Data as a Product eingeführt. Normalerweise erwartet man unter dem Begriff “Zinskurve” eine Datenstruktur mit Zeitangaben, Stützpfeilern der Zinskurve und den dazugehörigen Zinssätzen.

In unserer Definition als Produkt haben wir dieses Objekt jedoch zusätzlich mit verschiedenen Methoden ausgestattet. Diese Methoden können beispielsweise mithilfe von Interpolationsverfahren Zinssätze zwischen den Stützpfeilern liefern und die Interpolationsmethode anpassen. Hinter dem Objekt verbirgt sich außerdem eine ganze Welt von Update-, Wartungs-, Pflege- und Entwicklungs-Services. Diese sind zwar für den Nutzer der Zinskurve nicht unbedingt interessant, tragen aber maßgeblich zur Qualität des gesamten Systems bei und ermöglichen klare Verantwortlichkeiten.

Das fachliche Design und die Dokumentation von Systemanforderungen werden dadurch erheblich vereinfacht. Die Zinskurve ist an ihrer Oberfläche lediglich ein Datenobjekt, das beispielsweise in Berechnungen Werte liefert, ohne dass wir uns um die Details kümmern müssen. Dennoch stehen uns alle Möglichkeiten offen, die Vorgänge unter der Oberfläche beliebig komplex zu gestalten.

Diese Auffassung der Leistungserstellung in einem Netzwerk von Zulieferungen korrespondiert stark mit der Vorstellung der objektorientierten Programmierung. In dieser Vorstellung wird eine Programmausführung ebenfalls als ein System kooperativer Objekte betrachtet. Der Unterschied in der Modellierung von Wertschöpfungsprozessen besteht darin, dass die Module in der Lage sind, sich selbständig an die Anforderungen ihrer Umgebung anzupassen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei dem Modul um ein System handelt, dem wir sein Handeln direkt über menschlichen Einfluss zuschreiben, oder ob es ein Artefakt ist, das sich seine Sprecher sucht und auf diese Weise handelt.

Eine Zinskurve z.B. handelt nicht von sich aus. In unserem Treasury-Projekt hatte die Zinskurve eine ganze Reihe von Experten als Sprecher gefunden. Diese kümmerten sich mit viel Aufwand um die Optimierung ihrer Methoden.

Fazit

Das Konzept des Data as a Product in der IT wird wirksam, wenn es in der Lage ist, Abläufe in den Wertschöpfungstätigkeiten eines Unternehmens sinnvoll zu repräsentieren. Nur dann können aus den Modellen der IT Impulse für Handlungen abgeleitet werden, die die Erwartungen an die Repräsentationsfähigkeit der Datenobjekte erfüllen.

Der vielversprechende Ansatz von Data Mesh und Data as a Product ist also erst dann vollständig, wenn er mit einer kompatiblen Modellierung von Geschäftsprozessen verbunden wird. Beim Design von Software-Systemen ist dieser Schritt dabei der erste.

Die Modellierung von Geschäftsprozessen passt aus meiner Sicht sehr gut zu den Vorstellungen von Data Mesh und Data as a Product. Wir müssen sie hierzu als Modularisierung und Systembildung verstehen. Wenn die Repräsentation zu dem passt, was sie repräsentiert, und gleichzeitig auf die Unabhängigkeit der Module und ihrer Repräsentation als Datenprodukte achtet, dann erreichen wir sicherlich die Flexibilität, die wir zum Handeln unter Unsicherheit brauchen. Das gilt vor allem auch für Anwendungen im Controlling und bei der Steuerung von Unternehmen.

Lassen Sie uns daran arbeiten, und: Make your computers fly!

Widerstand in Zusammenarbeit verwandeln

Widerstand in Zusammenarbeit verwandeln

Unternehmensbereiche wehren sich oft, Transparenz durch die Analyse ihrer Wertschöpfung zu schaffen. Als ehemaliger CFO eines Unternehmens, das mit Halbfertigwaren aus Metallen handelt, kenne ich das Problem.

Die Leistungen, die ein Unternehmen mit dem länderübergreifenden Handel von Metallprodukten erbringt, sind umfangreich: Produkt Know-How: woher beschaffe ich welche Qualität? Prozess Know-How: richtige Ladungssicherung für den Transport, Auswahl von Reeder, Spediteur, Abwicklung der Frachtpapiere. Finanzierung während der Transportzeit, Zahlungsziele zur Finanzierung während der Verarbeitungszeit, Absicherung von Währungsrisiken, Metallpreisrisiken, Lieferantenrisiken. Häufig Übernahme von Kreditrisiken und nicht zu vergessen: in den Produkten können sich eingebettete Optionen befinden.

Bei der Zerlegung der Leistung in Module wird für all diese Bestandteile dargestellt, wie die jeweilige Leistung erbracht wird. Die Absicherung des Lieferantenrisikos erfolgt bei länderübergreifendem Handel z.B. meist über Importakkreditive, die man bei seiner Bank beschafft.  Die Zerlegung muss sich nicht auf die formale Organisation des Handelsbereichs beziehen. Es genügt, wenn der Beitrag als eigenständig behandelt wird und so Bedeutung bekommt. Die Gesamtleistung des Handels entsteht als eine netzwerkartige Verknüpfung der einzelnen Beiträge.

Chancen zur Verbesserung gehen verloren, wenn sich die Experten gegen Transparenz wehren.

Die Experten von Produktionsbereichen wehren sich oft gegen die genauere Analyse ihrer Leistungen. So auch im Fall meines Beispiels. Sie wollen sich nicht in die Karten schauen lassen, geben keine Auskunft, was sie tun und warum, und erschweren die Bereitstellung von Daten. Damit verhindern sie, dass ihre Leistung transparenter und widerstandsfähiger wird. Wenn man nämlich das Produkt als eine Kombination von Beiträgen betrachtet, dann lässt es sich (1) anders rekombinieren und damit differenziertere Kundenbedürfnisse erfüllen, und (2) im Fall einer Krise, wenn z.B. die Erstellung eines Beitrags nicht mehr auf die bisherige Art möglich ist, bei entsprechender Vorsorge schnell auch anders herstellen. Ohne Transparenz und die Vorstellung unabhängiger Beiträge können Veränderungen weniger gut behandelt werden.

Woher kommt die Zurückhaltung der Experten?

Der Handelsbereich ist als ein soziales System zu verstehen, das seine Leistung als eine Systemleistung hervorbringt. Systeme müssen sich auf eine Auswahl von Informationen fokussieren, um erfolgreich zu arbeiten. So reduzieren sie die Komplexität in ihrem Inneren und erzeugen einen verlässlichen Output.

Differenzierungen der Leistungsbestandteile irritieren eventuell den Handlungsablauf, wenn Bestandteile hervorgehoben werden, die der Bereich vielleicht nicht gerne sieht, z.B. die Übernahme von Kreditrisiken bei Lieferung mit Zahlungsziel. Transparenz über die Leistungserstellung herzustellen, erhöht außerdem die Gefahr, dass es durch Nachfragen und Einmischungen zu weiteren Irritationen kommt. Systeme wehren sich deshalb gegen die Irritation, die eine Analyse der Wertschöpfungsbeiträge auslöst. Natürlich geht es meist auch um Einfluss, aber es wäre naiv zu glauben, das ginge ohne Performance.

Wie kann man das Problem auflösen?

Zunächst sollte man die Autonomie des Handelsbereichs beachten. Veränderungen finden im Inneren eines Systems statt und wir wissen, dass sie nur dann stattfinden, wenn sich das System selbst irritiert und dann auf diese Irritation reagiert. Gleichzeitig müssen wir als Controller klarstellen, dass das System, also der Handelsbereich, von externen Ressourcen abhängig ist. In der Regel besteht eine Abhängigkeit von dem Kapital, das zur Finanzierung des Betriebs notwendig ist. Intransparenz erhöht nur die Kosten des Kapitals für einen Investor. Und höhere Kosten für das erforderliche Kapital verschlechtern die Erfolgsaussichten des Handels. Der Handel kann also nicht völlig unabhängig agieren.

Die Lösung besteht darin, einen gemeinsamen Ansatz zu finden. Transparenz über die Module und ihre Beiträge, können auch vom Handelsbereich selbst genutzt werden, um sich zu verbessern. So findet eine Delegation von Steuerung in den Bereich statt. Im Finanzcontrolling können wir uns auf die Aspekte konzentrieren, die für das Unternehmen als Ganzes wichtig sind: Darstellung von Rentabilität und Risiken für Shareholder und Investoren. Dazu ist Einblick in die Abläufe des Handelsbereich notwendig. In Summe behandeln wir den Handels- und den Finanzbereich ebenfalls als Module, die zusammenarbeiten und dabei miteinander kommunizieren.

In dem kleinen Unternehmen, das ich hier als Beispiel im Sinn haben, wurden die Maßnahmen zur Absicherung von Zins-, Währungs- und Metallpreisrisiken im Finanzbereich verantwortet. Wir hatten einen guten Überblick über unsere Wertschöpfung und welche Beiträge dazu notwendig waren. So konnten wir auch Krisen, wie z.B. die Insolvenz unserer Hausbank, bei der Kreditlinien, Währungs- und Import-Absicherungen gefährdet waren, ohne Schäden überstehen.

Ich wünsche auch Ihnen immer viel Erfolg.

Was hilft, erfolgreich modern zu werden?

Was hilft, erfolgreich modern zu werden?

Dieser Kommentar bezieht sich auf folgenden Artikel (link):

Europe’s grumpy farmers are a symptom of wider malaise

Farmers are not the only ones resisting modernity

Source: The Economist, Feb 1st 2024


Der Economist stellt in einem Artikel vom 1. Februar 2024 fest, dass die Proteste der Bauern in ganz Europa auch ein Symptom für ein größeres Problem sind. Europas Bauern haben es verpasst, ihre Produktion zu modernisieren. Die Strukturen sind zu klein, um Kosten durch Skalierung zu reduzieren. Und sie sind nicht die einzigen. „Der ganze Kontinent neigt dazu, die Dinge zu mögen, wie sie sind, weil sie so sind, wie sie früher waren. Kritiker halten Europa für ein Freilichtmuseum, das für Touristen und Rentner geeignet ist; Fans des Modells mögen die 35-Stunden-Woche und den freien August.“ (The Economist, meine Übersetzung).

Die Schwierigkeiten und die Last der Landwirte sind dabei real. Sie spüren, dass sie den Anschluss verlieren, können die Kräfte, die dazu führen, aber nicht kontrollieren. Wenn sie nicht die Einzigen sind, denen es so geht, dann ist es umso wichtiger, etwas gegen die Schwierigkeiten zu tun. Für mich ist es dabei keine Option, der Modernisierung von Wirtschaft auf welchem Weg auch immer den Rücken zu kehren. Die Hoffnung, dass es dann besser wird, ist meiner Meinung nach falsch.

Resilienz stärken

Es bleibt also nur, Fähigkeiten zu stärken, die wir für eine Modernisierung brauchen. Ich konzentriere mich dabei auf Fähigkeiten, die wir für Controlling und Steuerung von Unternehmen entwickeln können. Andere bringen ihre Ideen in anderen Bereichen ein und das ist gut so. Viele Beteiligte in Unternehmen haben Angst vor Veränderungen. Diese Angst hängt oft mit der Sorge zusammen, mit unerwarteten Ereignissen nicht richtig umgehen zu können. Resilienz beruht aber gerade auf der Fähigkeit, unerwartete Einflüsse aus dem Umfeld adäquat zu verarbeiten. Diese Fähigkeiten müssen wir stärken. Der Umgang mit Unsicherheit sollte gerade bei der Unternehmenssteuerung sicher beherrscht werden, weil hier verlässliche Prognosen sowieso fast unmöglich sind.

Für den Umgang mit Unsicherheit brauchen wir deshalb die Fähigkeit, Verlässlichkeit durch eine flexible Berechenbarkeit der Selbsteinschätzung und von Zukunftserwartungen herzustellen. Berechnungen und Modelle sorgen dafür, dass es etwas Nachvollziehbares zu erzählen gibt. Sie schaffen eine Ordnung, auf die wir uns stützen können. Daraus können wir dann diejenigen Erzählungen ableiten, die uns das nötige Vertrauen in die Bewältigung zukünftiger Gegenwarten geben.

Indem wir nicht Greifbares berechenbar machen, nutzen wir Muster für den Umgang mit Komplexität. Diese Muster bleiben aber riskant, weil sie sich auf Erwartungen über die Relevanz von Beobachtungen stützen. Wir wählen aus, was wir in unsere Berechnungen einbeziehen. Deshalb ist es so wichtig, die Berechenbarkeit flexibel anzulegen und sie laufend auf Relevanz zu befragen. Und wir müssen diese Verfahren üben, weil sie auf dem Austausch von Kommunikation zwischen Beteiligten beruht, deren Bedeutung nur aus der Übung heraus verlässlich wird.

Für Controlling-Systeme heißt das, dass sie transparent und modular aufgebaut sein sollten. So bleiben sie übersichtlich und ermöglichen Änderungen ohne dabei in Komplikationen stecken zu bleiben. Um diese Anforderungen praktisch zu erfüllen, müssen wir uns damit beschäftigen, was wir steuern wollen und wie wir es steuern wollen.

Das werde ich in meinen nächsten Posts aufgreifen.

Gleichzeitig ist dieser Blog-Beitrag als Weiterleitung bei LinkedIn erschienen:

LinkedIn Beitrag

Vorhersagefehler sind unvermeidlich – wie geht man damit um?

Vorhersagefehler sind unvermeidlich – wie geht man damit um?

Vorhersagefehler sind unvermeidlich. Das stellt das Peterson Institute for International Economics (PIIE) zur Geldpolitik fest (siehe Artikel). Gleichzeitig gibt es eine gute Nachricht. Genaue Prognosen sind keine Voraussetzung für eine gute Geldpolitik.

Für die Steuerung von Unternehmen gilt das gleiche. Natürlich ist es besser, eine gute Prognose zu haben als eine ungenaue, aber Steuerung funktioniert auch, wenn Vorhersagen schwierig und damit ungenau werden. Das PIIE schreibt, dass die wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Steuerung die Vorbereitung der Entscheidungsträger auf Überraschungen im wirtschaftlichen Umfeld und die passende Reaktion darauf ist. Entscheidungsträger müssten ihren Kurs vernünftig, systematisch und energisch an die neuen Umstände anpassen können.

Wie kann man das machen?

So wichtig wie die Vorhersage von Entwicklungen ist die Einschätzung der gegenwärtigen Umstände. Es ist also ratsam, neben der Fähigkeit zur Vorhersage auch die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung zu stärken (PIIE).

Entscheider sollten die Aussagekraft von Vorhersagen nicht überschätzen. Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen sollen Unsicherheiten bleiben. Das bedeutet, dass bestimmte Vorhersagen auch unterbleiben können, oder deutlich relativiert werden sollten (PIIE).

Als Aufgabe bleibt die Vorbereitung auf Überraschungen, um bei Bedarf konsequent reagieren zu können. Unternehmen brauchen dafür Controlling- und Steuerungs-Systeme, die genau das leisten:

  1. IT-Systeme müssen Bewegungsentwürfe von Unternehmen transparent, mit der nötigen Detaillierung beschreiben und jederzeit selbst mit Änderungen rechnen.
  2. Bewegungsentwürfe und ihre Beschreibungen bauen am besten auf unabhängigen Modulen auf, um bei Bedarf Änderungen zu ermöglichen.
  3. Organisationen sollten Muster zu Bewältigung von Komplexität einüben, damit sie bei Bedarf anwendbar sind. Diese Verfahren sind selbst riskant, weil sie sich daran orientieren, was die Organisation als relevant erwartet.

Wenn Sie dafür sorgen wollen, dass das klappt, dann müssen Sie Ihre Systeme an Ihre individuellen Bedürfnisse anpassen. Schauen Sie sich dazu an, was Sie steuern und wie Sie steuern wollen. Die gute Nachricht wird auch für Sie gelten: Genaue Prognosen sind keine Voraussetzung für gutes Management.


Dieser Post ist zuerst auf LinkedIn in englischer Sprache erschienen:
Mein Beitrag vom 2. Februar 2024

Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung

Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung

Was steuern wir?

Ich habe bis jetzt keine klare Festlegung getroffen, was ich tatsächlich steuern will. Das liegt daran, dass ich diese Frage grundsätzlich offenhalten will. Steuerungen sollen auf vielen verschiedenen Ebenen und für verschiedene Aufgaben funktionieren, auch wenn sie dabei sehr verschiedene Anforderungen erfüllen müssen. Diese Offenheit wird es uns auch erlauben, Steuerungen z.B. hierarchisch zu konzipieren. Dabei konzentriert sich die Steuerung in einer funktional übergeordneten Einheit auf andere Handlungen als die Steuerung in einer Einheit, die Leistungen zuliefert.

In einem konkreten Fall, wenn es darum geht, Steuerungssysteme zu implementieren, kann ich natürlich nicht mehr im Allgemeinen bleiben. Ich werde deshalb die abstrakten Begriffe, die ich brauche, um Steuerungen allgemein zu beschreiben, mit konkreten Beispielen erläutern.

Wir kümmern uns in diesem Beitrag ausschließlich darum, was gesteuert werden soll. Wie die Steuerung funktioniert, beschreibe ich in weiteren Artikeln. Auf dieser abstrakten Ebene geht es bei der Steuerung von wirtschaftenden Einheiten um soziale Systeme. Der Beitrag beschreibt deshalb, was soziale Systeme sind, was sie tun und welchen Einfluss das auf das Controlling und die Steuerung hat.

Was sind soziale Systeme?

Selektion von Kommunikationen

Soziale Systeme werden in der soziologischen Systemtheorie beschrieben, die davon ausgeht, dass sich Systeme ausschließlich aus Kommunikationen zusammensetzen. Nehmen wir als Beispiel ein Projektteam, das die Aufgabe hat, eine Software zu erstellen. Wenn Sie ein Mitglied des Projektteams sind, dann sind Sie, als Person, nicht Teil des sozialen Systems, um das sich die Systemtheorie kümmert. Alles, was Sie im Rahmen ihrer Projektarbeit kommunizieren, ist aber Teil des Systems. Das ist wichtig und es entspricht genau genommen auch unserer Vorstellung. Sie sind ja als Person nicht vollständig in das Projekt verstrickt, Sie nehmen stattdessen eine Rolle ein, in der Sie Beiträge zur Projektarbeit leisten. Diese Beiträge sind die Kommunikationen, um die es geht.

In anderen Systemkonstellationen können die Beiträge, die als Teil der Systemkommunikation geleistet werden, ganz anders aussehen als in einem Softwareprojekt. An die Produktionsstraße eines Automobilherstellers werden z.B. Fahrzeugkomponenten angeliefert. In das System, das die Produktionsstraße betreibt, liefert ein Zulieferer beispielsweise Räder, die Monteure am Fahrzeug anbringen. Dabei betrachten wir sowohl die Lieferung der Räder als auch die Montage am Fahrzeug als Kommunikationen, aus denen sich das System u.a. zusammensetzt. Dies ist eine Verallgemeinerung, die in der Soziologie meines Wissens nicht sehr verbreitet ist. Sie erlaubt es uns aber, den Anwendungsbereich der Theorie so zu erweitern, dass sie auf alle wirtschaftlichen Vorgänge anwendbar wird. Achten Sie bitte mit mir zusammen darauf, dass die Erklärungen in dieser Allgemeinheit sinnvoll bleiben.

Agenten

Systeme entstehen in einem ersten Schritt, wenn handelnde Personen Kommunikationen so auswählen, dass sie im System anschlussfähig sind. In einem Softwareprojekt sind das vielleicht die Funktionsbeschreibungen, die Sie von Experten in einem Interview erfragen. Sie verarbeiten diese Informationen dann in einen Anforderungskatalog für die Software. In der Produktionsstraße für Fahrzeuge wählen Sie die Räder aus, die Montiert werden sollen. In beiden Fällen werden sie prüfen, ob die in das System aufgenommene Kommunikation sinnvoll ist. Im Softwareprojekt werden Sie prüfen, ob die Expertenbeschreibung in den Projektumfang gehört. Bei den Rädern prüfen sie die Spezifikation. Nur wenn alles passt, verarbeiten Handelnde die eingehende Kommunikation im System. Das bedeutet sie ist anschlussfähig.

Um wieder allgemein genug zu bleiben, müssen wir jetzt noch klären, wer diese Handelnden sein sollen. Ich habe mit handelnden Personen begonnen und bin dann zum Schluss wieder allgemeiner geworden. Das liegt daran, dass im allgemeinsten Fall Handlungen von verschiedenen Agenten ausgeführt werden können. Diese Agenten können Menschen sein, aber auch Informationsverarbeitungssysteme oder Roboter. Die Räder könnten auch von einer Maschine an das Fahrzeug gebaut werden. Wir werden später in diesem Artikel klären, warum auch Maschinen oder künstliche Systeme Agenten sein können und wie sie in einem System sozialisiert werden.

Sinnzuschreibung

Um zu erklären, was ein soziales System ist, müssen wir noch klären, wie die Auswahl der Kommunikationen entsteht. Wir haben schon gesehen, dass durch die Auswahl und die Anschlussfähigkeit von Kommunikationen eine gewisse Ordnung entsteht. Diese Ordnung entsteht nicht zufällig, denn sie gründet sich auf eine Sinnzuschreibung zu den Handlungen der Agenten. Die Auswahl von Kommunikationen folgt dem Sinn der Systembildung.

Im Softwareprojekt besteht der Sinn der Auswahl von Interviewergebnissen darin, dass Entwickler mithilfe des Anforderungskatalogs eine Software schreiben sollen, die dem Projektzweck entspricht. In der Produktionsstraße sollen Fahrzeuge hergestellt werden, die den Anforderungen der zukünftigen Käufer der Fahrzeuge entsprechen.

Die Systeme entstehen also durch die auf eine Sinnzuschreibung gegründete Selektion von Kommunikationen.

Wie verhalten sich soziale Systeme und was bewirken sie?

Reduktion von Komplexität

Durch die Selektion von Kommunikationen, die Systeme aufnehmen und verarbeiten, machen sie den ersten Schritt zur Reduktion von Komplexität. Als zweiten Schritt dorthin errichten Systeme eine operationale Abgeschlossenheit, die zwar immer nur partiell ist, aber dazu führt, dass sie sich bei der Verarbeitung von Kommunikationen nur bedingt stören lassen. Systeme verarbeiten Kommunikationen nach ihren eigenen Regeln, die sie nur dann anpassen, wenn sie es selbst für notwendig halten.

Selektion und operationale Abgeschlossenheit sind die Voraussetzung dafür, dass Systeme Informationen verarbeiten und erzeugen können. Diese These kann man gut überprüfen, wenn man sich vorstellt, dass ein System alle Arten von Kommunikationen verarbeitet, die sie erreichen, und dass es keine festen Verarbeitungsregeln im System gibt. Gäbe es beides nicht, dann könnte sich weder ein Akteur, der am Systemgeschehen beteiligt ist, noch ein Empfänger eines Systemoutputs einen Reim darauf machen, welche Bedeutung die ihm vorliegende Kommunikation hat. Selektion und verlässliche Verarbeitung im System führen erst dazu, dass Kommunikation eine interpretierbare Bedeutung bekommt.

Am Beispiel des Softwareprojektes lassen sich diese Überlegungen gut nachvollziehen. Würden diejenigen Akteure, die eine Sammlung von Anforderungen für die Software schreiben, nicht auswählen, welche Informationen sie sammeln, dann wäre die Sammlung für die Entwickler keine Hilfe. Außerdem verarbeiten sie die Interviewergebnisse nach Regeln, die für die Entwickler der Software im nächsten Arbeitsschritt nachvollziehbar ist. Auf diese Weise enthält die Sammlung der Anforderungen Informationen, die den Entwicklern helfen, die Software zu schreiben. Auch hier gilt: würden Interviewer die Anforderungen nicht nach festen Regeln zusammenstellen, sondern z.B. jedes Mal anders, dann können Entwickler das Ergebnis nicht richtig deuten.

Wie operationale Abgeschlossenheit funktioniert und was sie bedeutet, beschreibe ich ausführlich in dem Artikel Komplexität managen mit Operationaler Abgeschlossenheit

Erzeugung von Information

Am Beispiel der Produktionsstraße können wir die Reduktion von Komplexität nicht so gut nachvollziehen, weil nicht klar ist, was Komplexität in diesem Zusammenhang meint. Etwas abstrakter kann man aber sagen, dass der Gebrauch eines Werkzeugs für einen Nutzer umso komplexer wird, je weniger sich der Nutzer auf die Funktionsweise des Werkzeugs verlassen kann. Bei einem Fahrzeug wird die zweckentsprechende Verwendung kompliziert bis unmöglich, wenn es nicht wie vorgesehen funktioniert. Der Nutzer muss bei einem Fehler Maßnahmen ergreifen, um ihn zu beheben. Wenn ihm das nicht gelingt, nützt ihm das Fahrzeug nichts. Die ursprüngliche Komplexität, die ihm das Fahrzeug beheben sollte, nämlich von einem Ort zum anderen zu kommen, oder irgendetwas von einem Ort zum anderen zu transportieren, bleibt erhalten.

Wir können also den Gebrauch des Werkzeugs so interpretieren, dass das Werkzeug einem Nutzer hilft, das Komplexitätsproblem in eine andere Form zu bringen, die es für ihn lösbar macht. Die Erzeugung von Information geht ähnlich vor: sie bringt komplexere Signale in eine Form, die leichter zu interpretieren ist. Es geht in beiden Fällen also um das in-Form bringen. Die Fälle sind vergleichbar. Es erschließt sich jetzt, dass z.B. die Auswahl von Rädern einer ganz bestimmten Spezifikation, der Auswahl von Interviewergebnissen im Softwareprojekt entspricht.

Selbstreflexivität – Kommunikation über Kommunikation

Durch die operationale Abgeschlossenheit können Außenstehende Systeme nur bedingt beeinflussen. Ein System verändert die Selektion von Kommunikationen und seine Verarbeitungsregeln – eine Selektion von Regeln – nur dann, wenn es durch sein Umfeld irritiert wird. Es vergleicht dann das Ergebnis seiner Selektionen mit dem Sinn, auf den es sich gründet, und passt sich bei Bedarf an neue Einflüsse an. Das System führt Vergleich und Anpassung der Selektionen dabei durch Kommunikation über die produktive Kommunikation des Systems aus. Nicht dem Sinn entsprechende Selektionen werden vom System selbst aussortiert, das heißt sie sind im System nicht mehr anschlussfähig. Dieser Vorgang führt zu einer Evolution der Selektionen des Systems.

In einer Projektsituation kennen wir diese Situation. Die Softwareentwickler beklagen, dass sie die Sammlung der Anforderungen nicht gebrauchen können. Das Team, das die Anforderungen zusammenstellt, diskutiert daraufhin, ob es an der Auswahl der Interview-Ergebnisse oder an der Form ihrer Zusammenfassung etwas ändern muss. Stellt sich die bisherige Auswahl als ungeeignet heraus, wird sie fallen gelassen und durch eine neue ersetzt, die den Sinn der Arbeit mutmaßlich besser unterstützt. Im Beispiel der Produktionsstraße gilt genau das gleiche.

Wir nennen diesen Vorgang selbstreflexiv, weil er sich mit den Mitteln des Systems auf die Arbeit des Systems selbst bezieht. Und noch etwas wird deutlich. Das System kommuniziert mit sich selbst über die Art, wie die produktive Kommunikation ausgeführt werden soll. Es erzählt sich dabei selbst eine Geschichte darüber, wie die Produktion durchgeführt werden soll und vergleicht sie mit seinen Beobachtungen. Werden Selektionen geändert, dann passt sich auch die Geschichte an. Das System schreibt oder erzählt sich selbst also eine Geschichte über sich selbst. Dieser Vorgang wird Autopoiesis genannt.

Ordnung und Risiko

Selbstreflexive, autopoietische, operational abgeschlossene Systeme etablieren durch die oben beschriebenen Vorgänge eine partielle, Komplexität reduzierende Ordnung und eine darauf gegründete Rationalität. Das liegt daran, dass die Selbsterzählung des Systems dazu beiträgt, die Kommunikationen – produktive Kommunikation und Kommunikation über Kommunikation – im System zu deuten. Die Kommunikationen – beide Arten – stützen wiederum die Selbsterzählung des Systems. Dadurch, dass Selektionen wenigsten für eine Zeit lang stabil sind, etablieren sie eine Ordnung im System, die von allen Beteiligten als rational und begründet wahrgenommen wird. Das gilt wenigsten so lange, bis das System und damit seine Ordnung von seiner Umgebung irritiert wird.

Riskante Ordnung

Und darin liegt das größte Problem der Ordnung des Systems. Sie bleibt riskant, weil sich Sinnzuschreibungen und Selektionen jederzeit als fehlerhaft oder hinfällig herausstellen können. Das System übersieht eventuell Einflüsse in seiner Umgebung, die dazu führen können, das es seinen Zweck nicht mehr erfüllt.

An unseren Beispielen kann man diese Gegebenheiten gut beobachten. Am stärksten werden Ordnungen von technischen Verfahren impliziert. Das liegt daran, dass die Auswirkungen von Abweichungen in der Produktion gut vorhergesagt werden können. Die Ordnung des Ablaufs bestimmt auch die Rationalität des Systems. Auswahlkriterien müssen strikt eingehalten werden, um nicht zu Fehlern zu führen. Die gute Vorhersagbarkeit führt auch dazu, dass die Risiken der Festlegung auf die Ordnung des Systems gering sind. Mit geringer Wahrscheinlichkeit aber großem Ausmaß führen in solchen Systemen meist unerwartete Abweichungen zu Schäden.

In einer Projektsituation stellt sich die Situation schon anders dar. Selektions- und Verarbeitungsregeln sind meist sehr viel veränderlicher. Es geht z.B. bei den Anforderungen um Sachverhalte, die sich einer vollständigen Beschreibung gerne widersetzen, strittig werden, oder durch die nachträgliche Verschiebung des Projektauftrags eine andere Priorität bekommen. Projekte sind hier meist sehr wachsam. Es etabliert sich daher eher eine Ordnung für die Verfahrensregeln. Aber auch hier gibt es Diskussionspotenzial, weil Projektteilnehmer andere Erfahrungen oder Vorstellungen haben können. Üblicherweise findet sich aber nach einiger Diskussion eine Ordnung, die das Projekt produktiv werden lässt. Die Risiken bestehen dann darin, dass das System Veränderungen von Umweltbedingungen nicht mehr wahrnimmt.

Welchen Einfluss hat das auf das Thema Controlling und Steuerung?

Steuerung von außen und von innen unterscheidet sich

Die Art, wie sich Systeme konstituieren und verhalten, führt zu der Schlussfolgerung, dass Systeme sich selbst von innen heraus verändern. Eine Veränderung von außen ist prinzipiell nicht möglich. Allerdings gelingt es Einflüssen von außen, Systeme zu irritieren und das System auf diese Weise zur Veränderung zu veranlassen. Das heißt,

  • Eine Steuerung von Systemen erfolgt durch Systeme selbst, also aus ihrem Inneren, indem sie sich verändern. Wer steuert, der handelt als Teil des Systems.
  • Eine Steuerung von Systemen erfolgt von außen, indem ihre Umgebung sie beeinflusst, dadurch irritiert, und sie veranlasst sich selbst zu verändern. Wer steuert, der handelt eher als Stakeholder, denn als Teil des Systems.

Beide Steuerungsmechanismen werden eingesetzt. Wer steuert, muss die Mechanismen aber unterschieden, damit er sie wirksam einsetzen kann.

Diese Feststellung können wir am Beispiel des Softwareprojektes gut nachvollziehen. Nehmen wir an, das Projektteam hat festgestellt, dass es sein Entwicklungsbudget reduzieren muss, weil die erwarteten Erträge oder Einsparungen aus dem Projektergebnis geringer ausfallen werden. Es stellt fest, dass es zu einer Budgetüberziehung kommt, wenn das Projekt sein Verhalten nicht anpasst. Das Team diskutiert darüber, wie Kosten reduziert werden können und passt die Selektion von Kommunikationen oder Verarbeitungsregeln so an, dass geringere Kosten erwartet werden.

Für den Fall, dass der Impuls zur Reduzierung des Budgets von außen kommt, sieht der Vorgang ähnlich aus. Er unterscheidet sich aber, weil die Budgetreduzierung zunächst im Projekt zu einer Irritation führt. Erst wenn das Projektteam die Irritation als maßgeblich einordnet, die voraussichtliche Budgetüberziehung nachvollzieht und entscheidet, seine Selektionen anpassen zu müssen, führt es die Diskussion, wie Kosten reduziert werden können. Im Ergebnis passt das Team die Selektionen so an, dass geringere Kosten erwartet werden. Jeder Praktiker weiß, dass dies ein schwieriger Weg sein kann.

Wir steuern immer soziale Systeme

Meine These ist, dass sich Controlling und Steuerung immer auf soziale Systeme beziehen. Bei einem Softwareprojekt, bei dem es ein Projektteam gibt, scheint das sofort einzuleuchten. Allerdings habe ich gesagt, dass das System aus Kommunikationen besteht, die durch die Steuerung verändert werden. Das ist hier aber offensichtlich nur ein technischer Aspekt.

Bei unserem Beispiel der Produktionsstraße liegen die Dinge schon etwas komplizierter. Immerhin haben wir festgestellt, dass auch Maschinen oder Roboter als Agenten auftreten können. Ihre Kommunikationen bestehen aus der Arbeit, die sie leisten. Außerdem gibt es Zulieferer, die z.B. die Räder für ein Fahrzeug liefern. In diesem Fall sind die Räder die Kommunikation der Zulieferer. Die Produktionsstraße wird aber immer noch von Menschen organisiert oder sogar betrieben. Sie können ihre Maschinen anders programmieren oder die Spezifikationen für Zulieferungen ändern. Wir haben es offenbar immer noch mit einem sozialen System zu tun.

Artefakte steuern

Wie sieht es aber aus, wenn ich eine einzelne Maschine steuern will, z.B. den Roboter, der die Räder am Fahrzeug montiert? Nehmen wir an, er sei aus irgendeinem Grund nicht mehr schnell genug. Als Maschine lässt sich der Roboter dadurch nicht irritieren. Das interessante ist, und darauf hat Bruno Latour hingewiesen, dass solche Maschinen Sprecher finden, die sich für sie einsetzen und genau die fehlenden Rollen ersetzen, die eine Maschine nicht einnehmen kann. Findet die Maschine keinen Sprecher, wird nicht irritiert und bleibt deshalb zu langsam, dann verliert sie früher oder später ihre Position im Ensemble der Produktionsstraße. Ihre Kommunikationen, also ihre Arbeitsleistung, finden nicht mehr Anschluss im System der Produktionsstraße. Die Maschine wird wahrscheinlich aussortiert.

Wenn die Maschine aber einen Sprecher findet, der sich dafür einsetzt, dass ihre Selektionen angepasst werden – nehmen wir einmal an, sie kann so programmiert werden, dass sie anschließend schneller ist – dann bleibt ihre Kommunikation weiter anschlussfähig und die Maschine im Ensemble erhalten. In diesem Fall bilden die Maschine und ihr Sprecher, es können natürlich auch mehrere sein, ein soziales System. Die Rollen der Maschine und des Sprechers ergänzen sich, so dass das aus den beiden bestehende System vollwertig agiert. Es verändert sich dann bei Bedarf aus sich selbst heraus.

Dieser Mechanismus, dass leblose Artefakte ihre Sprecher finden, zu Systemen und vollwertigen Akteuren werden, lässt sich weitertreiben und auch auf sehr einfache Artefakte anwenden. Eine Betonschwelle an der Einfahrt in eine verkehrsberuhigte Zone ist ein solches Artefakt. Sie könnte mit der Zeit zerbröseln und einen Teil ihrer Funktion verlieren. Findet sie dann keinen Sprecher, der sich für ihre Erneuerung einsetzt, dann wird sie irgendwann beseitigt. Ich plädiere deshalb dafür, künstliche Objekte in unseren Überlegungen ebenfalls als soziale Agenten zu behandeln.

Und was bedeutet das jetzt?

Ich möchte drei Ergebnisse festhalten, die ich für bedeutsam halte.

  1. Was wir steuern, sind soziale Systeme. Sie werden von der Soziologischen Systemtheorie, deren sicherlich prominentester Vertreter Niklas Luhmann ist, sehr genau beschrieben. Aus dieser Theorie wissen wir, dass Systeme ihre Eigenarten haben. Das sollten wir berücksichtigen, wenn wir sie von außen oder von innen steuern wollen.
  2. Im Kern geht es bei der Leistung von Systemen wahrscheinlich immer um irgendeine Form der Komplexitätsreduzierung. Interessant ist es, dass wir diese Leistung in Komponenten zerlegen und die Komponenten wiederum zur Bearbeitung an soziale Systeme abgeben können. Wir erkennen darin das Muster, das wahrscheinlich hinter der modernen Arbeitsteilung steht. Natürlich wissen wir, dass Arbeitsteilung ihre eigenen Probleme schafft, sie ist an der richtigen Stelle aber auch ungemein effizient.
  3. Wir wissen aus der genau umgekehrten Perspektive jetzt auch, dass Systeme miteinander kommunizieren und auf diese Weise kompliziertere Aufgaben erledigen. Theo Gehm hat diese Art kooperativer Informationsverarbeitung in sozialen Systemen beschrieben. Die Akteure im System arbeiten wie Knoten in einem neuronalen Netzwerk und beschaffen sich Informationen bzw. Kommunikationen von demjenigen anderen Akteur, von dem sie die beste Zulieferung erwarten. Sie beobachten den Erfolg und passen ihre Auswahl eventuell an. Dies ist genau jener selbstreflexive Prozess, der zu einer evolutionären Verbesserung der Systemleistung führt.
Zentral für die Steuerung

Dieser Artikel erläutert ein aus meiner Sicht ein sehr zentrales Element. Wir wissen jetzt, was wir steuern wollen und können deshalb damit beginnen zu erklären, wie wir steuern wollen. Wir wissen jetzt auch mehr darüber, wie arbeitsteilige Leistungen entstehen. Dieses Wissen können wir einsetzen, wenn wir Leistungserstellung in Modellen darstellen wollen (siehe z.B. meinen Artikel Was mache ich hier eigentlich? Services!). Das ist zentral auch für Steuerung und Controlling, denn beide erfordern modulare Konzepte, wenn sie unter Unsicherheit arbeiten sollen. Wir können jetzt erklären, wie diese modularen Modelle für das, was gesteuert werden soll, und für die Steuerung selbst konzipiert werden können. Das werden wir in weiteren Artikeln aufnehmen.

Alles natürlich mit dem Ziel: make your computers fly!

Wie sich komplizierte Aufgaben bewältigen lassen

Wie sich komplizierte Aufgaben bewältigen lassen

Wie können wir die komplizierten Aufgaben lösen, wenn wir Unternehmen unter Unsicherheit wirklich gut steuern wollen? Wie schreibt man eine gute Dokumentation für die Anforderungen, die wir an Controlling Systeme haben? Wie vermittelt man die komplizierten Zusammenhänge des Unternehmens und seiner Steuerung?

Es gibt Antworten auf diese Fragen. Vielleicht kennen sie das Prinzip der Pyramide von Barbara Minto? Oder die Darwin Information Typing Architecture von IBM? Oder die Entwurfsmuster, die in der Softwareentwicklung eingesetzt werden?

Sie folgen alle den gleichen Prinzipien:

Sie machen Komplexität handhabbar, indem sie Module bilden, die nur lose miteinander gekoppelt sind. Dazu muss man eine Unterscheidung treffen, eine Unterscheidung zwischen dem, was interessiert und dem, was nicht interessiert. Was das ist, entscheiden wir nach dem Zweck, den wir verfolgen. Er gibt der Unterscheidung einen Sinn.

Die soziologische Systemtheorie und die Actor-Network Theorie erklären, wie das geht. Und, wo man aufpassen muss. Die Verfahren, die wir dabei anwenden, sind universell, aber durchaus riskant. Es lohnt sich, genau hinzuschauen.

Ich bereite deshalb gerade einen Beitrag vor, der uns mit etwas Theorie versorgen wird. Es geht dabei um soziale Systeme, denn in der Systembildung können wir die Muster erkennen, mit denen wir Komplexität handhabbar machen. Wir werden auch sehen, dass genau sie Gegenstand der Steuerung sind, und zwar als Objekt und als Subjekt.

Mit dieser Vorbereitung werden wir damit beginnen können, genauer zu beschreiben, was wir steuern wollen, wie wir steuern wollen. Beides sind Voraussetzungen dafür richtig gute Controlling Systeme zu bauen, die auch unter Unsicherheit schnell und flexibel reagieren können.

Weil es jetzt mehr um die Arbeit in Kooperation mit anderen Menschen geht, wechseln wir vom Motorradfahren zum Bergsteigen. Ich hoffe, das findet auch seine Liebhaber.

Design-Kriterien für Controlling Systeme

Design-Kriterien für Controlling Systeme

Beim Motoradfahren ist es nicht möglich, alle Fahrbedingungen vollständig unter Kontrolle zu haben, weil die Umweltbedingungen zu ungewiss sind. Trotzdem kommt man damit klar. Ich greife die Vorstellung der Bewegungsentwürfe noch einmal auf, um Design-Kriterien für Controlling Systeme abzuleiten. Ich beziehe sie jetzt aber auf die kompliziertere Situation bei der Steuerung von Unternehmen.

Die Automatisierung von Controlling-Prozessen ist keine leichte Aufgabe. Das liegt unter anderem daran, dass das Controlling im Rahmen der Steuerung eine Dienstleistungsfunktion hat. Controlling ist Lieferant von spezifischen Selbstbeschreibungen und Selbstbeobachtungen des Unternehmens und leistet damit einen Beitrag zur Kommunikation im Unternehmen. Dieser Beitrag hat zumeist einen Schwerpunkt auf einer modellgestützten, vernunftorientierten Sicht auf das Unternehmen. Er trägt damit zu einer möglichst rationalen, zielorientierten Selbstbeschreibung bei.

Steuerung erfolgt aber auch auf Basis nicht rationalisierbarer oder nicht in Controlling Systemen abbildbarer Vorstellungen und findet in einem Umfeld von mehr oder weniger großer Unsicherheit statt. Das führt dazu, dass sich die spezifischen Beiträge des Controllings an den Diskurs im Unternehmen und an sich verändernde Umstände anpassen müssen, um relevant zu bleiben.

Es macht also Sinn, sich Gedanken über die Gestaltung von Controlling Systemen zu machen. Um Anforderungen abzuleiten, setzt ich noch einmal bei den Bewegungsentwürfen an. Diese habe ich bereits in meinem Artikel „Vollständige Kontrolle ist eine Illusion“ mit dem Bezug zum Motoradfahren beschrieben.

Bewegungsentwürfe sind riskant

Die Steuerung von Unternehmen setzt auf einem Bewegungsentwurf auf, der meist explizit in Form einer Planung erstellt wird. Er kann aber auch implizit in der Vorstellung einer Gruppe von Entscheidern vorhanden sein und auf diese Weise Handlungen leiten. Unter Unsicherheit wird die Erzählung des Bewegungsentwurfs zur fiktiven Beschreibung einer wahrscheinlichen Realität, auf die sich alle Beteiligten einigen können. So entsteht eine Basis, die nicht Zukunft voraussagt, sondern Anschlussfähigkeit von Entscheidungen.

Jede Form der Erzählung setzt bereits eine Reduktion dessen, was erzählt, wird voraus. Die Darstellung durch mathematische Modelle und die Codierung von Kennzahlen reduziert Sachverhalte noch einmal zusätzlich. Dadurch gewinnen sie an Nachvollziehbarkeit und formelhafter Reproduzierbarkeit. Die Beschreibung wird transparent und automatisierbar. Die modellhafte Beschreibung von Bewegungsentwürfen transportiert damit eine Sicht, die auf Rationalität und eine aus Vernunft ableitbare Ordnung setzt. Wir verlassen uns auf diese Darstellung.

Diese Vorstellung lässt uns aber auch gerne vergessen, dass die Umstände nicht so sind, weil sie so sind, sondern weil wir sie so wahrnehmen beziehungsweise so beschreiben. Die Herausforderungen habe ich in zwei früheren Artikeln dargestellt. Links finden Sie etwas weiter unten.

Die Folgen der Reduktion von Codierung müssen beheben

Die Codierung von Bewegungsentwürfen mit Kennzahlen verkürzt ihre potenzielle Beschreibung. Das macht sie nachvollziehbar, regelbasiert geordnet und erlaubt eine automatisierte Herstellung der Codierung. Die Verkürzung der Beschreibung erhöht auf der anderen Seite die semantische Komplexität. Sie besteht darin, dass der Empfänger der Beschreibung auf Lücken und Auslassungen trifft, die er mit seinem Vorwissen auf eine riskante Weise schließen muss. Eine Verbesserung der Situation tritt ein, wenn sich eine Vertrautheit mit den Verkürzungen der Beschreibung einstellt. Diese kann sich auf positive Erfahrungen oder zusätzliche Informationen stützen. Dieser Umstand wirkt auf die Annahmen und Verfahren der Beschreibung zurück und bewirkt Veränderungen, die sich positive auf die Aufnahme auswirken. („Automatisierung im Spannungsfeld von Reduktion und Emergenz“)

Entscheidungsräume verhandeln

In einem Umfeld, in dem fundamentale Unsicherheit über die Wirksamkeit von Entscheidungen auf zukünftige Gegenwarten besteht, lässt sich keine Vernunft begründen, die einen Standpunkt in allen Aspekten über andere Standpunkte heraushebt. Abweichende Einschätzungen werden zumindest in Teilbereichen bestehen und für die Erzählung eines gemeinsamen Entscheidungsraumes akzeptiert werden müssen. Das erscheint mühsam, kann aber auch nützlich sein. Dann nämlich wenn in Punkten, in denen keine Einigkeit besteht, Vorsicht zur Vermeidung von Risiken führt.

Auf jeden Fall wird es neben Bereichen, in denen die Erstellung von Beschreibungen einvernehmlich automatisiert werden kann, auch Bereiche geben, in denen sich Bewertungen gegenüberstehen und einer fortgesetzten Diskussion unterliegen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Teilbereiche, in denen diskutiert wird, fortlaufend verändern, weil sich auch die Verhältnisse im Zeitablauf verändern. Und auch sicher geglaubte Bewertungen müssen neu befragt werden. („Vernunftordnung und Differenzenlogik – die Verhandlung von Entscheidungsgrundlagen“)

Was ist zu tun?

Die von Controlling-Systemen bereitgestellten Informationen sind im Kontext der insgesamt im Unternehmen stattfindenden Kommunikation zu sehen. Kommunikationen des Controllings stehen in Konkurrenz und manchmal im Widerspruch zu anderen Beiträgen, mit denen der Entscheidungsraum beschrieben wird. Er dient als Grundlage von Entscheidungen unter Unsicherheit. Um eine wirksame Vertrauensarena zu schaffen, muss die Erzählung des Entscheidungsraums Zustimmung finden. Hierin besteht das Ziel von Entscheidungsgrundlagen.

Wenn Bewegungsentwürfe riskant sind, dann ist es schwierig ihre Beschreibung z.B. in Kennzahlensystemen zu codieren und Zustimmung zu organisieren. In den beiden Artikeln habe ich aufgezählt, was zu tun ist, um Risiken bei der Beschreibung von Entscheidungsräumen zu vermindern. Risikominderung erfordert in der Regel die Erhebung neuer oder detaillierterer Informationen und bei Bedarf Anpassungen von Verfahren. Wo diese Anforderungen auftreten werden, ist nicht vorhersagbar.

Anforderungen

Mit dem Blick auf die Zielsetzung von Steuerungssystemen, eine gemeinschaftliche Erzählung eines möglichen Entscheidungsraums herzustellen, lassen sich die folgenden Anforderungen an Informationssysteme zusammenfassen:

  1. Alle Teile der Beschreibung des Bewegungsentwurfs brauchen eine transparente Struktur, in der Geltungsansprüche, auf die man sich einigt, mit der nötigen Detaillierung dargestellt werden.
  2. In anderen Teilen der Beschreibung können konkurrierende Versionen entstehen, die mehr oder weniger veränderlich, vielleicht auch automatisiert erstellt werden, und bei widersprüchlichen Signalen weiteren Informationsbedarf ankündigen.
  3. In allen Teilen der Beschreibung muss mit Änderungen gerechnet werden. Das macht es wünschenswert, dass sich Veränderungen an Teilaspekten möglichst wenig auf andere Teile der Beschreibung auswirken.

Diese Art der oben aufgezählten Anforderungen lässt sich am besten mit einer durchdachten Modularisierung erreichen. Die Modulbildung muss sich dabei zunächst auf den Bewegungsentwurf beziehen, der sich als Netzwerk von Teilbewegungen verstehen lassen kann. In einem weiteren Schritt sollte auch auf die Beschreibung des Bewegungsentwurfes aus Modulen bestehen, die sich als Netzwerk von Teilbeschreibung auffassen lassen.

Die Module sollten in beiden Bereichen voneinander unabhängig sein, damit Controller sie ohne Nebeneffekte verändern können. In einer solchen Struktur können sie schnell und sicher auf neue Anforderungen reagieren.

Transparenz, also eine vollständige und nachvollziehbare Erklärung, was beschrieben wird und wie Bewertungen zustande kommen, ist dabei Pflicht für alle Module. Diese Anforderung ergibt sich daraus, dass die Erzählung des Entscheidungsraums nur im Vertrauen darauf entsteht, Beschreibungen verlässlich deuten zu können. Eine gelungene Modularisierung kann hier zur Transparenz und damit zur Verlässlichkeit beitragen.

Muster für den Umgang mit Komplexität

In der Art, wie Codierungen mit Komplexität umgehen, lässt sich ein allgemeines Muster zum Umgang mit Komplexität erkennen. Indem sich ein System auf die Verarbeitung ausgewählter Beobachtungen konzentriert, reduziert es Komplexität innerhalb seiner Grenzen. Damit entsteht beziehungsweise erhöht sich die semantische Komplexität beim Empfänger der vom System verarbeiteten Informationen. Sie gefährdet den Sinn der Informationsverarbeitung. Das System nimmt diese Gefahr als Minderung der Anschlussfähigkeit seiner ausgehenden Kommunikation wahr. Bei Bedarf passt es die Selektion seiner Beobachtungen und Verarbeitungsschritte an, um die Anschlussfähigkeit wieder zu verbessern.

Was bedeutet das?

Beim Motorradfahren ist die Anzahl der Hebel und Eingriffe übersichtlich. Der Bewegungsentwurf, dem ich z.B. in einer Kurve folge, ist zwar eine Fiktion. Meine Beobachtungen und Reaktion sind dagegen aber sehr konkret oder fühlen sich für mich sehr konkret an. Mit etwas Übung kann ich mich auf meine Wahrnehmungen verlassen. Bei der Unternehmenssteuerung ist diese Art der Verlässlichkeit eine Herausforderung.

Verlässlichkeit braucht flexible Berechenbarkeit

Erzählungen sind die effektive Basis für Entscheidungen in Unternehmen. Sie können den sehr verschiedenen Vorstellungen der Erzähler folgen. Daten, Datenverarbeitung, Berechnungen, analytische Verfahren und Modelle sorgen aber dafür, dass es etwas Nachvollziehbares zu erzählen gibt. Sie bestimmen ganz entscheidend darüber, mit welcher Konsistenz, Nachprüfbarkeit und technischen Qualität Erzähler Bewertungen erstellen und zu Erzählungen machen. Sie stellen eine zwar irreale, aber möglichst realistische Realität dar, die Ordnung in das Erzählen bringt und somit unerlässlich ist.

Wir müssen noch mehr tun

Die Herausforderungen, denen Controlling Systeme gegenüberstehen, sind nicht leicht zu bewältigen. Und leider muss ich an dieser Stelle zwei Fragen offenlassen.

  1. Wie werden Unternehmen, oder allgemeiner soziale Systeme, gesteuert? Ich habe eingangs nur ein paar Bedingungen genannt, um die Überlegungen zu Controlling Systemen zu motivieren. Wir sollten aber noch einmal genauer hinsehen, welche Art von Kommunikationen verarbeiten müssen, um wirksam zu steuern.
  2. Ich bin eine Erklärung schuldig, wie wir Bewegungsentwürfe und deren Beschreibungen in ein funktionierendes, modulares Konzept übertragen können. Dafür müssen wir etwas weiter ausholen, so dass eine Erklärung hier nicht mehr Platz findet.

Bei den beiden offenen Fragen geht es darum, was Sie steuern wollen (Frage 2) und wie Sie steuern wollen (Frage 1). Beide werde ich in weiteren Artikel beantworten.

In der Zwischenzeit: Make your computers fly!

P.S.: Mittlerweiler erschienen ist mein Artikel Soziale Systeme – Gegenstand der Steuerung. Dieser Artikel ist zentral für eine Antwort auf die beiden offenen Fragen. Der Artikel erklärt, dass soziale Systeme der Gegenstand der Steuerung sind, und dass sie als die Module bei der Modellierung von Leistungen betrachtet werden können.