Die moderne Zeit ist von Veränderung und Ungewissheit geprägt. Kulturen und Märkten öffnen sich und Informationen stehen praktisch uneingeschränkt zur Verfügung. Nahezu alle wirtschaftenden Personen haben hierdurch einen weiteren Spielraum zum Handeln. Die Fähigkeiten, schnell zu sein und sich gut zurecht zu finden, sind längst entscheidend. Mit ihr bleibt man dauerhaft handlungsfähig. Das Controlling spielt hierbei im Unternehmen eine gewichtige Rolle. Grund genug, die Vorstellung von den Aufgaben des Controllings zu überprüfen.
Lesen Sie, welche Aufgaben das Controlling von heute erweitern, so dass es zukunftsfähig bleibt.
Warum ist es anders als früher?
Diese abgegriffene Notiz von mir (von 1997) zeigt, was man gewöhnlich unter Controlling verstanden hat. Die Aufgaben des Controllings bestehen demzufolge darin, Entscheider mit Informationen zu versorgen. Ihre Bedürfnisse richten sich nach dem, wofür sie die Verantwortung tragen. Das Controlling beschafft dann mit seinen Methoden und Systemen die benötigten Informationen. Auf diese Weise werden Entscheidungen durchführbar. Den Rahmen hierfür bilden die Management Philosophie des Unternehmens und die daraus abgeleitete Organisation.
Man kann sich das heute noch so vorstellen. Wir müssen unseren Blick jetzt aber erweitern, weil wir ein moderneres Verständnis von wirtschaftlichem Handeln haben. Mit diesem Verständnis erfüllen wir auch in Zukunft die neuen Anforderungen an Unternehmen.
Notiz von 1997, Frank Pieper
Zwei Gründe, das Controlling von heute zu erweitern
Das übliche Controlling hat zwei Dinge zu wenig berücksichtigt. Zum einen setzt die Organisation selbst voraus, was sie leisten kann. Das trifft vor allem zu, wenn die Fähigkeit sich zu verändern wichtiger wird. Zum anderen bekommt Steuerung eine andere Qualität. Der Wert von Prognosen liegt nämlich vor allem in ihrer Erzählung. Damit gestalten sie Zukunft. Folglich wird es noch wichtiger, das Erzählen mit dem Messen zusammen zu bringen.
Das Controlling hat auch die Organisation und sich selbst und zum Thema
Das Hauptaugenmerk des Controllings setzt erst einmal an der Lokomotionsfunktion an. An dieser Stelle geht es um die Frage, wie effizient das Unternehmen seine Produkte erstellt. Außer Acht gelassen wird die Kohäsionsfunktion. Sie überprüft und adjustiert, woran das Unternehmen an sich arbeitet. Sie stellt sich den Fragen, welche Informationen im Unternehmen verarbeitet werden und wie es sich seinen Herausforderungen stellt. Diese wichtigen Fragen werden vom üblichen Controlling nur wenig in den Blick genommen. Die Antworten wirken allerdings zurück auf die Organisation. Und sie betreffen noch dazu die Management Philosophie. Auf diese Weise beeinflussen sie den Rahmen, in dem das Controlling arbeitet.
Weitere Hinweise finden Sie in dem Artikel „Ein Unternehmen ist keine Maschine“ hier im Blog.
Die Bewertung von Vorhersagen und Prognosen sollte neu getroffen werden
Von Prognosen in der Ökonomie wissen wir, dass sie keine zweifelsfreien Vorhersagen treffen können. Das ist der Fall, weil die Prognose unser Handeln und das der Wettbewerber beeinflusst. Ihr Einfluss wirkt auf das Ergebnis der Prognose zurück. Demgegenüber erhalten Prognosen eine Neuinterpretation. Sie erzeugen nicht als wahrscheinliche, sondern als wahr scheinende Aussagen fiktive Gewissheiten. Mit dieser Gewissheit ermöglicht die Prognose eine Entscheidung. Diese Basis entsteht aus einer für Entscheider vertrauten Erzählung. Sie simuliert gemeinsame Erfahrungen, die in der Gegenwart real noch nicht gemacht worden sein können. Um folglich Entscheidungen wirksam zu unterstützen, kommt auf das Controlling eine zusätzliche Aufgabe zu. Es muss Zahlen beobachten und daraus sinnhaft konstruierte, gleichsam reale Narrative herstellen. Damit schafft es eine Basis, aus der eine gemeinsame Zukunft entwickelt werden kann.
Um das Controlling auf den neusten Stand zu bringen kann es sich also nicht mehr darauf beschränken, Daten zu beschaffen und zu verarbeiten. Es muss dafür sorgen, dass die Organisation als Ganzes funktioniert. Mit dieser Ergänzung betrachtet es sich auch selbst. Und es sollte noch mehr tun. Entscheidungen brauchen Erzählungen über die Vergangenheit des Unternehmens und seine mögliche Zukunft.
Was steht auf dem Spiel?
Die beiden oben beschriebenen Einsichten haben heute mehr Gewicht als früher. Das Unternehmen greift sie auf jeden Fall auf, um Lösungen zu finden. Zur Not ohne das Controlling. Es muss beiden neuen Sichten deshalb zusammen mit seinen wirtschaftlichen Betrachtungen verhandeln. Welche Gefahr besteht andernfalls?
Die Relevanz des Controllings
Erstens, Mechanismen der Effizienzsteigerung könnten sich verselbständigen. Deshalb muss das Controlling die Strukturen der Organisation und sich selbst hinterfragen. Es besteht immer die Gefahr, dass sich Controlling-Methoden und -Systeme zu effizienzstarren Entscheidungsautomatismen entwickeln. Sie sind dann blind für alles, was sie nicht beobachten. Und sie werden unfähig, kurzfristig neue Betrachtungen einzuführen. Damit kann die Organisation nicht mehr auf schwache Signale reagieren. Diese können sich z.B. aus sich widersprechenden Beobachtungen ergeben. Die Signale erreichen die Organisation dann nicht mehr über das Controlling, sondern werden auf anderen Wegen im Unternehmen gehandelt. Das Controlling verliert an Relevanz. Es besteht die Gefahr, dass sich das Unternehmen nicht schnell genug verändert.
Darüber hinaus verhindert die oft große Investition in standhaft funktionierende Systeme deren einvernehmliche Umgestaltung. Das ist schlecht, wenn neue Märkte oder Produkte mit neuen Kennzahlen in den Blick genommen werden müssen. Das Controlling kann sich in einem solchen Fall als eine weitere Hürde erweisen. Das sollte nicht passieren, wenn sich die Organisation verändern muss. Controlling sollte sich vielmehr als Begleiter und Förderer von Neuem verstehen, wenn dies für den Erfolg des Unternehmens wichtig ist.
Die Orientierung des Unternehmens
Dem politischen Spiel im Unternehmen wird freier Lauf gelassen, wenn das Controlling zweitens darauf verzichtet, seine Methoden und Beobachtungen zu erläutern. Dies gilt auf allen Ebenen, auf denen mit Hilfe von wirtschaftlichen Daten entschieden wird. Unternehmenspolitische Fragen dürfen schon eine Rolle spielen. Sie sollten sich aber an den Zielen und Strategien des Unternehmens orientieren. Gerade diese Orientierung muss das Controlling herstellen. Es richtet seine Methoden und Systeme möglichst so ein, dass die beobachteten Daten aussagekräftig sind. Die Beobachtungen bezieht es dann wieder auf die Handlungen im Unternehmen. Das Controlling misst nämlich über die Zuordnung zu Zielen und Strategien den Handlungen Sinn zu. Der Sinn muss bei unternehmenspolitischen Fragen dringend berücksichtigt werden. Hängen Handlung und Sinn schließlich nicht mehr zusammen, dann verliert das Unternehmen seine Orientierung.
Das Unternehmen darf seine Fähigkeit zum Steuern nicht verlieren. Das macht es erforderlich, alle relevanten Aspekte der Steuerung zusammen zu verhandeln. Das Controlling bietet sich als der Ort im Unternehmen an, an dem das geschieht. Um dieser Ort zu sein und zu bleiben ist es unumgänglich relevant und zielorientiert zu bleiben.
Wie sieht ein zukunftsfähiges Controlling aus?
Das Aufgabenspektrum des Controllers sollte also erweitert werden. Es empfiehlt sich wirksam und handlungsleitend zu werden, indem das Controlling die folgenden Aufgaben aufnimmt:
- Flexibilität des Unternehmens und seiner Strukturen bewerten.
- Ökonomischen Sinn erzeugen und auf eine ökonomische Art kommunizieren.
- Modelle in eine narrative Entscheidungsbasis übersetzen.
Unternehmen haben diese Aufgaben natürlich schon immer mehr oder weniger klar bewältigt. Ich ordne sie aber jetzt eindeutig dem Controlling zu.
Bewertung der Flexibilität des Unternehmens und seiner Strukturen
In unserer komplexen Welt kommt es zunehmend wichtig, auf veränderte Wünsche von Kunden und Regeln der Gesellschaft zu reagieren. Das Controlling muss seinen Blick deshalb darauf richten, wie gut das Unternehmen genau dies tun kann. Die Fragen, mit denen wir uns befassen müssen, sind:
- Wie flexibel ist die Organisation?
- Wie schnell oder angemessen kann sich die Organisation verändern und Innovationen aufnehmen?
- Wovon hängt die Fähigkeit ab, sich zu verändern, und wie groß sollte sie sein?
Durch diese Fragen wird die Aktualität meiner Forderung, das Blickfeld zu erweitern, noch einmal deutlich: es geht um die Resilienz des Unternehmens gegenüber seinem sich verändernden Umfeld.
Erzeugung und Kommunikation von ökonomischem Sinn
Eine Fähigkeit der Organisation ist besonders wichtig, um Veränderungen auszuhalten oder aktiv zu betreiben: die Fähigkeit, Sinn zu erzeugen und zu kommunizieren. Das Controlling erzeugt Sinn, indem es Sinn und Unsinn von Handlungen vornehmlich aus einer wirtschaftlichen Perspektive definiert. Einer einseitigen Definition von Sinn sind aber Grenzen gesetzt. Wirtschaftliche Perspektiven treten nämlich mit anderen Zielen der Organisation in Konflikt. Wirtschaftlichkeit ist außerdem eine aus der Zukunft abgeleitete Eigenschaft. Sie stützt sich damit auf die Akzeptanz entsprechender Narrative. Sinn zu erzeugen ist folglich konfliktbehaftet und arbeitsaufwendig. Wir stellen uns deshalb die Fragen:
- Wie gut gelingt es, Sinn zu erzeugen? Damit ist ein Gestalten gemeint, bei dem es darum geht, Wahrnehmungen mit Erwartungen abzugleichen und Irritationen entweder zu meiden oder zu überwinden.
- In welchen Grenzen lässt sich Sinn unter Abwägen von Kosten und Nutzen erzeugen?
- Was sind die politischen Implikationen und Grenzen?
Die hier genannten Fragen zielen direkt auf die Management Philosophie und die Gestaltung der Organisation. Sinn zu erzeugen und zu kommunizieren ist teuer und die Reichweite von Sinn ist begrenzt. Es stellt sich also die Frage, ob die Organisation mit der Delegation von Sinn effektiver arbeiten könnte, und wie weit sie Sinn eher zentral erzeugt.
Übersetzung der Modelle in eine narrative Entscheidungsbasis
Damit ist die Basis für den letzten Teil der Fragen gelegt, mit denen sich das Controlling beschäftigen muss. Hierbei handelt es sich zunächst um den eher technischen Teil. In ihm werden Zahlen als Messwerte beobachtet und interpretiert. Das geschieht auf Basis eines modellhaften Verständnisses der Organisation. Diese Modelle müssen sich an den von der Organisation getragenen Definitionen von Sinn orientieren. Sie erzeugen sonst sinn-lose Zahlen. Beurteilen wir also Modelle danach, wie gut sie Sinn transportieren. Es stellen sich die Fragen:
- Wie gut bilden die verwendeten Modelle die im Unternehmen vorliegenden Definitionen von Sinn ab?
- Decken die Modelle alle wesentlichen Sinn-Definitionen des Unternehmens ab, oder wird der Sinn von Entscheidungen an Kriterien festgemacht, die nicht vom Controlling behandelt werden?
- Wie gut gelingt es, Zahlen und ihre Modelle in eine entscheidungstragende Erzählung der Organisation zurück zu übersetzen?
Diese Fragen sind keinesfalls nur technisch oder methodisch zu betrachten. Es geht im Kern um die Auswahl und Interpretation von Methoden, die zum Selbstverständnis der Organisation passen.
Alle klassischen Kompetenzen des Controllings sind unbedingt noch immer hoch relevant. Die Anforderungen haben sich sogar erhöht, weil Daten viel leichter verfügbar sind. Und es gibt viel bessere Algorithmen, mit denen sie ausgewertet werden können. Und natürlich ist seitdem darüber hinaus methodisch einiges hinzugekommen. Herausheben möchte ich hier vorrangig die Erkenntnisse und Methoden, mit denen wir ökonomische Risiken behandeln. Eine Zusammenarbeit mit dem Risikomanagement ist ohne Zweifel eine Pflicht.
Fazit
Die klassischen Aufgaben bleiben herausfordernd
Neben diesen neuen Aufgaben müssen im Controlling ohne Zweifel weiterhin die angestammten Aufgaben erfüllt werden, bei denen Informationen gesammelt und aufbereitet werden. Das allein ist alles andere als einfach. Wichtig ist, dass die neuen Aufgaben benannt sind und nicht nur zufällig bearbeitet werden.
Bekannte und neue Aufgaben des Controllings lassen sich mit einem Service-Konzept gut verbinden. Sie erhalten damit den Platz, an dem sie wirksam werden. So liefern sie ihren vollen Mehrwert.
Zu den Grundideen der Service-Orientierung finden Sie eine Beschreibung in dem Artikel „Was mache ich hier eigentlich?“ in diesem Blog.
Theorie in Praxis umsetzen
Zunächst sind die in diesem Artikel vorgestellten Gedanken sehr theoretisch. Sie müssen angemessen pragmatisch und gut verständlich in die Praxis umgesetzt werden.
Das hat besondere Bedeutung, wenn in sehr unterschiedlichen Szenarien gesteuert wird. Eine Maschine z.B., die ihren Nachschub selbst bestellt und optimiert, hat andere Bedürfnisse als die Bank, die Treasury, Risikomanagement und Vertrieb integrieren muss. Der etwas weit gespannte theoretische Rahmen ist trotzdem auch für die Maschine relevant. Die Fragen nach Resilienz, Sinn und Selbstverständnis sind die gleichen. Sie beantworten sich nur anders. Sie verweisen auf eine klare Zielfunktion, eine robuste Steuerungslogik und auf ein sauber konstruiertes Datenmodell.
Der Theorierahmen hat noch eine weitere wichtige Bedeutung. Er gibt wertvolle Hinweise, wann Steuerung weitreichender delegiert werden soll als heute. Wir brauchen ihn, wenn uns z.B. selbständig steuernde Maschinen als soziale Agenten im Unternehmenskontext begegnen. Oder, was viel eher wirklich werden kann: Wenn wir z.B. mit New Work dezentraler verantworten und steuern wollen.
Nicht alles auf einmal
Alle diese Fragen können wir nicht sofort für jeden Kontext beantworten. Das ist aber kein Problem. Sie erweitern bereits den Blick und sind so wegweisend für die Architektur von Lösungen. Erfolge können auch in kleinen Schritten erreicht werden und es bleibt ein spannendes Feld für weitere Arbeiten übrig.
Ich freue mich auf eine Diskussion. Sprechen Sie mich einfach an.
Frank Pieper
Mail: frank@fp-consulting.org
Tel.: +49-160 5438306